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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Russische Möglichkeiten und deutsche Zukunft

Jahrhunderten eine leidliche Gewähr für ein erträgliches, zeitweise sogar freund¬
schaftliches Verhältnis zwischen Rußland und den Staaten Mitteleuropas holt
Haben wir vergessen, daß noch Bismarck mit guten Gründen auf ihn und auf
die dynastische Freundschaft zwischen Hohenzollern und Romanows die Hoffnung
baute, diese Beziehungen zu retten, und daß ihm erst dann diese Hoffnung
immer mehr zusammenschmolz, als er sehen mußte, wie eine zunächst rein
intellektuelle, dann immer mehr wirtschaftlich und religiös bestimmte Strömung
innerhalb des hochkommenden Großbürgertums den schwankenden Zarismus seit
Alexander dem Dritten mitriß? War es nicht der Zarismus, der noch in diesem
Kriege selbst einer Verständigung mit uns geneigt war und der schließlich ge¬
stürzt werden mußte, um die drohende Gefahr eines Sonderfriedens abzuwenden?
Sind nicht die Miljukow und die Seinen, diese einzig zur Führung in einer
föderalistischen russischen Republik fähigen und berufenen Kreise des kapitalistischen
Großbürgertums, gerade die leidenschaftlichsten Kriegsschürer, die begeistertsten
Verkünder des religiös-wirtschaftlichen Janusziels Konstantinopel?

In der Tat stellen sich vom Standpunkt unserer Interessen die Dinge so:
eine jede starke zentralisierte Regierungsgewalt in Rußland, womöglich mit
dynastischer Spitze, liegt insofern in unserem Interesse, als von ihr allein eine
durch kühle politische Erwägung geleitete Umorientierung des russischen Imperialis¬
mus mit der Stirne nach Osten und zugleich eine Abschüttelung des ameri¬
kanisch-englischen Joches zu erwarten ist. Eine solche auf positive politische
Ziele gerichtete Regierungsgewalt von russisch-konservativer Art, unserethalben
selbst mit einem starken nationalistischen Einschuß, würde sich auch am ehesten
mit einem vorläufigen Verzicht auf das unrussische baltische und polnische West¬
rußland aussöhnen. Der Hintergedanke einer Wiedereroberung dieser Gebiete
nach einigen Jahrzehnten bleibt ihr unbenommen. Auch wir müssen in jedem
Falle mit der Möglichkeit eines neuen Krieges in einigen Jahrzehnten rechnen,
beide Teile aber haben ein Interesse daran, diese letzte endgültige Auseinander¬
setzung zwischen Ost-und Mitteleuropa möglichst weit hinauszuschieben: Rußland
aus der Not der Erschöpfung, wir aus der Tugend echter Friedensliebe. Nur
eine fühlbare Niederlage Rußlands oder ein nicht in Frage kommender glänzender
Sieg über uns kann diesen Krieg wirksam hinausschieben: ein verkappter
diplomatischer Halbsieg, wie es ein Ermattungsfriede auf Grund des statu8 quo
für das militärisch unterlegene Rußland wäre, würde unserem russischen Nach¬
barn nur umso früher den Kamm schwellen lassen. Daß wir wirtschaftlich
aufeinander angewiesen sind, weiß man hüben wie drüben, und ein starker
deutscher Friede, der uns allein zu tatkräftiger Hilfe beim russischen Wieder¬
aufbau befähigte, wäre eben darum zwischen beiden Nationen zugleich die beste
Verständigung.




Russische Möglichkeiten und deutsche Zukunft

Jahrhunderten eine leidliche Gewähr für ein erträgliches, zeitweise sogar freund¬
schaftliches Verhältnis zwischen Rußland und den Staaten Mitteleuropas holt
Haben wir vergessen, daß noch Bismarck mit guten Gründen auf ihn und auf
die dynastische Freundschaft zwischen Hohenzollern und Romanows die Hoffnung
baute, diese Beziehungen zu retten, und daß ihm erst dann diese Hoffnung
immer mehr zusammenschmolz, als er sehen mußte, wie eine zunächst rein
intellektuelle, dann immer mehr wirtschaftlich und religiös bestimmte Strömung
innerhalb des hochkommenden Großbürgertums den schwankenden Zarismus seit
Alexander dem Dritten mitriß? War es nicht der Zarismus, der noch in diesem
Kriege selbst einer Verständigung mit uns geneigt war und der schließlich ge¬
stürzt werden mußte, um die drohende Gefahr eines Sonderfriedens abzuwenden?
Sind nicht die Miljukow und die Seinen, diese einzig zur Führung in einer
föderalistischen russischen Republik fähigen und berufenen Kreise des kapitalistischen
Großbürgertums, gerade die leidenschaftlichsten Kriegsschürer, die begeistertsten
Verkünder des religiös-wirtschaftlichen Janusziels Konstantinopel?

In der Tat stellen sich vom Standpunkt unserer Interessen die Dinge so:
eine jede starke zentralisierte Regierungsgewalt in Rußland, womöglich mit
dynastischer Spitze, liegt insofern in unserem Interesse, als von ihr allein eine
durch kühle politische Erwägung geleitete Umorientierung des russischen Imperialis¬
mus mit der Stirne nach Osten und zugleich eine Abschüttelung des ameri¬
kanisch-englischen Joches zu erwarten ist. Eine solche auf positive politische
Ziele gerichtete Regierungsgewalt von russisch-konservativer Art, unserethalben
selbst mit einem starken nationalistischen Einschuß, würde sich auch am ehesten
mit einem vorläufigen Verzicht auf das unrussische baltische und polnische West¬
rußland aussöhnen. Der Hintergedanke einer Wiedereroberung dieser Gebiete
nach einigen Jahrzehnten bleibt ihr unbenommen. Auch wir müssen in jedem
Falle mit der Möglichkeit eines neuen Krieges in einigen Jahrzehnten rechnen,
beide Teile aber haben ein Interesse daran, diese letzte endgültige Auseinander¬
setzung zwischen Ost-und Mitteleuropa möglichst weit hinauszuschieben: Rußland
aus der Not der Erschöpfung, wir aus der Tugend echter Friedensliebe. Nur
eine fühlbare Niederlage Rußlands oder ein nicht in Frage kommender glänzender
Sieg über uns kann diesen Krieg wirksam hinausschieben: ein verkappter
diplomatischer Halbsieg, wie es ein Ermattungsfriede auf Grund des statu8 quo
für das militärisch unterlegene Rußland wäre, würde unserem russischen Nach¬
barn nur umso früher den Kamm schwellen lassen. Daß wir wirtschaftlich
aufeinander angewiesen sind, weiß man hüben wie drüben, und ein starker
deutscher Friede, der uns allein zu tatkräftiger Hilfe beim russischen Wieder¬
aufbau befähigte, wäre eben darum zwischen beiden Nationen zugleich die beste
Verständigung.




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[0224] Russische Möglichkeiten und deutsche Zukunft Jahrhunderten eine leidliche Gewähr für ein erträgliches, zeitweise sogar freund¬ schaftliches Verhältnis zwischen Rußland und den Staaten Mitteleuropas holt Haben wir vergessen, daß noch Bismarck mit guten Gründen auf ihn und auf die dynastische Freundschaft zwischen Hohenzollern und Romanows die Hoffnung baute, diese Beziehungen zu retten, und daß ihm erst dann diese Hoffnung immer mehr zusammenschmolz, als er sehen mußte, wie eine zunächst rein intellektuelle, dann immer mehr wirtschaftlich und religiös bestimmte Strömung innerhalb des hochkommenden Großbürgertums den schwankenden Zarismus seit Alexander dem Dritten mitriß? War es nicht der Zarismus, der noch in diesem Kriege selbst einer Verständigung mit uns geneigt war und der schließlich ge¬ stürzt werden mußte, um die drohende Gefahr eines Sonderfriedens abzuwenden? Sind nicht die Miljukow und die Seinen, diese einzig zur Führung in einer föderalistischen russischen Republik fähigen und berufenen Kreise des kapitalistischen Großbürgertums, gerade die leidenschaftlichsten Kriegsschürer, die begeistertsten Verkünder des religiös-wirtschaftlichen Janusziels Konstantinopel? In der Tat stellen sich vom Standpunkt unserer Interessen die Dinge so: eine jede starke zentralisierte Regierungsgewalt in Rußland, womöglich mit dynastischer Spitze, liegt insofern in unserem Interesse, als von ihr allein eine durch kühle politische Erwägung geleitete Umorientierung des russischen Imperialis¬ mus mit der Stirne nach Osten und zugleich eine Abschüttelung des ameri¬ kanisch-englischen Joches zu erwarten ist. Eine solche auf positive politische Ziele gerichtete Regierungsgewalt von russisch-konservativer Art, unserethalben selbst mit einem starken nationalistischen Einschuß, würde sich auch am ehesten mit einem vorläufigen Verzicht auf das unrussische baltische und polnische West¬ rußland aussöhnen. Der Hintergedanke einer Wiedereroberung dieser Gebiete nach einigen Jahrzehnten bleibt ihr unbenommen. Auch wir müssen in jedem Falle mit der Möglichkeit eines neuen Krieges in einigen Jahrzehnten rechnen, beide Teile aber haben ein Interesse daran, diese letzte endgültige Auseinander¬ setzung zwischen Ost-und Mitteleuropa möglichst weit hinauszuschieben: Rußland aus der Not der Erschöpfung, wir aus der Tugend echter Friedensliebe. Nur eine fühlbare Niederlage Rußlands oder ein nicht in Frage kommender glänzender Sieg über uns kann diesen Krieg wirksam hinausschieben: ein verkappter diplomatischer Halbsieg, wie es ein Ermattungsfriede auf Grund des statu8 quo für das militärisch unterlegene Rußland wäre, würde unserem russischen Nach¬ barn nur umso früher den Kamm schwellen lassen. Daß wir wirtschaftlich aufeinander angewiesen sind, weiß man hüben wie drüben, und ein starker deutscher Friede, der uns allein zu tatkräftiger Hilfe beim russischen Wieder¬ aufbau befähigte, wäre eben darum zwischen beiden Nationen zugleich die beste Verständigung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/224>, abgerufen am 01.07.2024.