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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Russische Möglichkeiten und deutsche Zukunft

bedarf noch auf Jahrzehnte hinaus einer Obrigkeit, die die Zügel fest in der
Hand hat. Und die ungeheure Aufgabe der Durchorganisierung dieses Riesen-
reiches ist nicht ohne eine Bureaukratie zu lösen, die das Mark einer gehörigen
Brutalität in den Knochen hat. Diese Brutalität ist der apathischen weibischen
Slawennatur gemäß, sie liebt geradezu diese Brutalität, und sei es, daß sie sie
-- ein Dichter prägte in anderem Zusammenhang den Ausdruck -- mit ihrem
Hasse liebte. Monarchie oder Oligarchie oder schließlich eine Mischform beider
sind also die einzigen Möglichkeiten, auch einen föderalistischen russischen Staat
Zu regieren. Auf die Knute wird dabei kein russisches Regime verzichten können.
Und sollten selbst solche scheindemokratischen Einrichtungen, wie die Arbeiter¬
und Soldatenräte der wenigen großen Städte, sich auf die Dauer behaupten
und irgendwie verfassungsmäßig verfestigen, so wäre auch das noch keine
Durchbrechung des oligarchischen Prinzips. Bei einem so überwiegend länd¬
lichen Riesenreich spielen ein paar solcher städtisch-proletarischer Organisationen
natürlich zahlenmäßig eine ganz verschwindende Rolle.

Es ist aber sehr fraglich, ob das Land es sich auf die Dauer gefallen
lassen wird, von einer Handvoll gestikulierender Großstadtagitatoren geleitet zu
werden. Schon jetzt sehen wir am Beispiel Kerenskis. wie sehr das russische
Volk geneigt ist. einem einzigen den Nimbus der Allmacht zu verleihen: es ist
der unausrottbare heimliche Zarismus des Nussentums, der hier den Demo¬
kratismus der Gebärde durchbricht. Und ob dieser oder irgend ein anderer
Kerenski auf die Dauer der Versuchung widerstehen wird, die tatsächliche
monarchische Machtstellung durch Anknüpfung an die alten zaristischen Über¬
lieferungen vor der stillen Sehnsucht seines Volkes zu legitimieren, das bleibt
Zum mindesten höchst fraglich. Im großen Napoleon und im kleinen Aar-schikei
hat diesem kommenden Mann die Geschichte eindringlich warnende Beispiele
nahe genug vor Augen gestellt. Aber was gelten geschichtliche Warnungen
dem ehrgeizigen Machtwillen politischer Herrschernaturen? Es sind nicht die
schlechtesten Kenner der russischen Seele, die dieses Volk durch ein Meer von
Blut und Tränen, durch Jahre unendlicher Wirren der Selbstzerfleischung sich
nach einer neuen Autokratie, einem verjüngten Zarismus hintasten sehen.

Doch wir verlieren uns allzu tief in der zuschauerhasten Freude in
selbstlosen Prognosen der russischen Zukunft. Aber es wurde bereits
betont, daß wir das nicht dürfen, daß wir immer und überall
unsere eigenen deutschen und mitteleuropäischen Selbsterhaltungsnotwendig-
keiten im Auge behalten müssen. Was haben wir Deutsche von
einem solchen Gang der Ereignisse zu erwarten? Hier nun gilt es
vor allem einem Wahn entgegenzutreten, der sich -- genährt durch
allerlei doktrinäre innerpolitische Vorurteile -- tief in unsere öffentliche Meinung
eingefressen hat. Breite Schichten unseres Volkes erwarten -- kurz gesagt --
eine Minderung der russischen Gefahr gerade vom Sturze des Zarismus. Ist
es wirklich nötig, daran zu erinnern, daß gerade der Zarismus in den letzten'


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Russische Möglichkeiten und deutsche Zukunft

bedarf noch auf Jahrzehnte hinaus einer Obrigkeit, die die Zügel fest in der
Hand hat. Und die ungeheure Aufgabe der Durchorganisierung dieses Riesen-
reiches ist nicht ohne eine Bureaukratie zu lösen, die das Mark einer gehörigen
Brutalität in den Knochen hat. Diese Brutalität ist der apathischen weibischen
Slawennatur gemäß, sie liebt geradezu diese Brutalität, und sei es, daß sie sie
— ein Dichter prägte in anderem Zusammenhang den Ausdruck — mit ihrem
Hasse liebte. Monarchie oder Oligarchie oder schließlich eine Mischform beider
sind also die einzigen Möglichkeiten, auch einen föderalistischen russischen Staat
Zu regieren. Auf die Knute wird dabei kein russisches Regime verzichten können.
Und sollten selbst solche scheindemokratischen Einrichtungen, wie die Arbeiter¬
und Soldatenräte der wenigen großen Städte, sich auf die Dauer behaupten
und irgendwie verfassungsmäßig verfestigen, so wäre auch das noch keine
Durchbrechung des oligarchischen Prinzips. Bei einem so überwiegend länd¬
lichen Riesenreich spielen ein paar solcher städtisch-proletarischer Organisationen
natürlich zahlenmäßig eine ganz verschwindende Rolle.

Es ist aber sehr fraglich, ob das Land es sich auf die Dauer gefallen
lassen wird, von einer Handvoll gestikulierender Großstadtagitatoren geleitet zu
werden. Schon jetzt sehen wir am Beispiel Kerenskis. wie sehr das russische
Volk geneigt ist. einem einzigen den Nimbus der Allmacht zu verleihen: es ist
der unausrottbare heimliche Zarismus des Nussentums, der hier den Demo¬
kratismus der Gebärde durchbricht. Und ob dieser oder irgend ein anderer
Kerenski auf die Dauer der Versuchung widerstehen wird, die tatsächliche
monarchische Machtstellung durch Anknüpfung an die alten zaristischen Über¬
lieferungen vor der stillen Sehnsucht seines Volkes zu legitimieren, das bleibt
Zum mindesten höchst fraglich. Im großen Napoleon und im kleinen Aar-schikei
hat diesem kommenden Mann die Geschichte eindringlich warnende Beispiele
nahe genug vor Augen gestellt. Aber was gelten geschichtliche Warnungen
dem ehrgeizigen Machtwillen politischer Herrschernaturen? Es sind nicht die
schlechtesten Kenner der russischen Seele, die dieses Volk durch ein Meer von
Blut und Tränen, durch Jahre unendlicher Wirren der Selbstzerfleischung sich
nach einer neuen Autokratie, einem verjüngten Zarismus hintasten sehen.

Doch wir verlieren uns allzu tief in der zuschauerhasten Freude in
selbstlosen Prognosen der russischen Zukunft. Aber es wurde bereits
betont, daß wir das nicht dürfen, daß wir immer und überall
unsere eigenen deutschen und mitteleuropäischen Selbsterhaltungsnotwendig-
keiten im Auge behalten müssen. Was haben wir Deutsche von
einem solchen Gang der Ereignisse zu erwarten? Hier nun gilt es
vor allem einem Wahn entgegenzutreten, der sich — genährt durch
allerlei doktrinäre innerpolitische Vorurteile — tief in unsere öffentliche Meinung
eingefressen hat. Breite Schichten unseres Volkes erwarten — kurz gesagt —
eine Minderung der russischen Gefahr gerade vom Sturze des Zarismus. Ist
es wirklich nötig, daran zu erinnern, daß gerade der Zarismus in den letzten'


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[0223] Russische Möglichkeiten und deutsche Zukunft bedarf noch auf Jahrzehnte hinaus einer Obrigkeit, die die Zügel fest in der Hand hat. Und die ungeheure Aufgabe der Durchorganisierung dieses Riesen- reiches ist nicht ohne eine Bureaukratie zu lösen, die das Mark einer gehörigen Brutalität in den Knochen hat. Diese Brutalität ist der apathischen weibischen Slawennatur gemäß, sie liebt geradezu diese Brutalität, und sei es, daß sie sie — ein Dichter prägte in anderem Zusammenhang den Ausdruck — mit ihrem Hasse liebte. Monarchie oder Oligarchie oder schließlich eine Mischform beider sind also die einzigen Möglichkeiten, auch einen föderalistischen russischen Staat Zu regieren. Auf die Knute wird dabei kein russisches Regime verzichten können. Und sollten selbst solche scheindemokratischen Einrichtungen, wie die Arbeiter¬ und Soldatenräte der wenigen großen Städte, sich auf die Dauer behaupten und irgendwie verfassungsmäßig verfestigen, so wäre auch das noch keine Durchbrechung des oligarchischen Prinzips. Bei einem so überwiegend länd¬ lichen Riesenreich spielen ein paar solcher städtisch-proletarischer Organisationen natürlich zahlenmäßig eine ganz verschwindende Rolle. Es ist aber sehr fraglich, ob das Land es sich auf die Dauer gefallen lassen wird, von einer Handvoll gestikulierender Großstadtagitatoren geleitet zu werden. Schon jetzt sehen wir am Beispiel Kerenskis. wie sehr das russische Volk geneigt ist. einem einzigen den Nimbus der Allmacht zu verleihen: es ist der unausrottbare heimliche Zarismus des Nussentums, der hier den Demo¬ kratismus der Gebärde durchbricht. Und ob dieser oder irgend ein anderer Kerenski auf die Dauer der Versuchung widerstehen wird, die tatsächliche monarchische Machtstellung durch Anknüpfung an die alten zaristischen Über¬ lieferungen vor der stillen Sehnsucht seines Volkes zu legitimieren, das bleibt Zum mindesten höchst fraglich. Im großen Napoleon und im kleinen Aar-schikei hat diesem kommenden Mann die Geschichte eindringlich warnende Beispiele nahe genug vor Augen gestellt. Aber was gelten geschichtliche Warnungen dem ehrgeizigen Machtwillen politischer Herrschernaturen? Es sind nicht die schlechtesten Kenner der russischen Seele, die dieses Volk durch ein Meer von Blut und Tränen, durch Jahre unendlicher Wirren der Selbstzerfleischung sich nach einer neuen Autokratie, einem verjüngten Zarismus hintasten sehen. Doch wir verlieren uns allzu tief in der zuschauerhasten Freude in selbstlosen Prognosen der russischen Zukunft. Aber es wurde bereits betont, daß wir das nicht dürfen, daß wir immer und überall unsere eigenen deutschen und mitteleuropäischen Selbsterhaltungsnotwendig- keiten im Auge behalten müssen. Was haben wir Deutsche von einem solchen Gang der Ereignisse zu erwarten? Hier nun gilt es vor allem einem Wahn entgegenzutreten, der sich — genährt durch allerlei doktrinäre innerpolitische Vorurteile — tief in unsere öffentliche Meinung eingefressen hat. Breite Schichten unseres Volkes erwarten — kurz gesagt — eine Minderung der russischen Gefahr gerade vom Sturze des Zarismus. Ist es wirklich nötig, daran zu erinnern, daß gerade der Zarismus in den letzten' 14»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/223>, abgerufen am 01.07.2024.