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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und der amerikanisch-japanische Gegensatz
Von Professor Dr. I. Hcishazen

or dem Kriege und während des Krieges haben die Deutschen die
verschiedenen Unstimmigkeiten, die innerhalb der vielköpfigen Ge¬
sellschaft ihrer Feinde hervorgetreten sind, gerne zugunsten
Deutschlands gebucht. Besonders dem sich erweiternden Vier¬
verbande ist wegen seiner angeblich unüberbrückbaren inneren
Gegensätze oft genug ein nahes Ende mit aller Bestimmtheit vorausgesagt
worden. Leider ist von diesen Prophezeiungen bis jetzt keine verwirklicht worden.
Auch bei der Würdigung des amerikanisch-japanischen Gegensatzes hat man in
Deutschland öfters mehr das in nahe Aussicht gestellt, was man wünschte,
nämlich einen Zusammenstoß, am liebsten einen Krieg zwischen Japan und den
Vereinigten Staaten, damit der von manchen Kreisen so lebhaft gefurchtste
Krieg zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten dann unmöglich
würde -- als daß man die politischen Tatsachen und die wirkliche Wahrheit
mit Ruhe ins Auge gefaßt hätte und zu der für Deutschland freilich bitteren
Erkenntnis gelangt wäre, daß Amerikas Gegensatz gegen Japan eine welt¬
politische Erscheinung ist, die mit allen ihren weitgreifenden Folgen nicht zu¬
gunsten, sondern zuungunsten Deutschlands gewirkt hat.

Wie bei den meisten außerpolitischen und weltpolitischen Mißerfolgen, die
Deutschland vor dem Kriege und während des Krieges erlitten hat, die eng¬
lischen Diplomaten irgendwie ihre Hand im Spiele haben, so auch bei der
gegen Deutschland gerichteten Ausnutzung des amerikanisch-japanischen Gegen¬
satzes. Und zwar ist dieser tiefgreifende, nicht auf Mißverständnissen oder auf
Hetze, sondern auf sachlich unausgleichbaren JnteressenkonMen beruhende Gegensatz
nicht erst während des Krieges, sondern bereits vor dem Kriege, in einer der
kritischesten Epochen der Vorgeschichte des Krieges, von England zuungunsten
Deutschlands ausgenutzt worden.

Es war in den aufgeregtesten Wochen der letzten und schwersten Marokko¬
krise im Sommer 1911, die infolge der englischen Machenschaften den Welt¬
frieden bereits aufs schwerste bedrohten, als England mit kühnem Griffe eine
für Deutschland ungünstige Neuorientierung feiner ostasiatischen Politik vornahm.
Obwohl der kurz vor Beendigung des russisch-japanischen Krieges abgeschlossene
zweite Vertrag mit Japan noch nicht abgelaufen war, erzwang England eben
damals, als sich die allgemeine weltpolitische Lage bedenklich zuspitzte, eine




Deutschland und der amerikanisch-japanische Gegensatz
Von Professor Dr. I. Hcishazen

or dem Kriege und während des Krieges haben die Deutschen die
verschiedenen Unstimmigkeiten, die innerhalb der vielköpfigen Ge¬
sellschaft ihrer Feinde hervorgetreten sind, gerne zugunsten
Deutschlands gebucht. Besonders dem sich erweiternden Vier¬
verbande ist wegen seiner angeblich unüberbrückbaren inneren
Gegensätze oft genug ein nahes Ende mit aller Bestimmtheit vorausgesagt
worden. Leider ist von diesen Prophezeiungen bis jetzt keine verwirklicht worden.
Auch bei der Würdigung des amerikanisch-japanischen Gegensatzes hat man in
Deutschland öfters mehr das in nahe Aussicht gestellt, was man wünschte,
nämlich einen Zusammenstoß, am liebsten einen Krieg zwischen Japan und den
Vereinigten Staaten, damit der von manchen Kreisen so lebhaft gefurchtste
Krieg zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten dann unmöglich
würde — als daß man die politischen Tatsachen und die wirkliche Wahrheit
mit Ruhe ins Auge gefaßt hätte und zu der für Deutschland freilich bitteren
Erkenntnis gelangt wäre, daß Amerikas Gegensatz gegen Japan eine welt¬
politische Erscheinung ist, die mit allen ihren weitgreifenden Folgen nicht zu¬
gunsten, sondern zuungunsten Deutschlands gewirkt hat.

Wie bei den meisten außerpolitischen und weltpolitischen Mißerfolgen, die
Deutschland vor dem Kriege und während des Krieges erlitten hat, die eng¬
lischen Diplomaten irgendwie ihre Hand im Spiele haben, so auch bei der
gegen Deutschland gerichteten Ausnutzung des amerikanisch-japanischen Gegen¬
satzes. Und zwar ist dieser tiefgreifende, nicht auf Mißverständnissen oder auf
Hetze, sondern auf sachlich unausgleichbaren JnteressenkonMen beruhende Gegensatz
nicht erst während des Krieges, sondern bereits vor dem Kriege, in einer der
kritischesten Epochen der Vorgeschichte des Krieges, von England zuungunsten
Deutschlands ausgenutzt worden.

Es war in den aufgeregtesten Wochen der letzten und schwersten Marokko¬
krise im Sommer 1911, die infolge der englischen Machenschaften den Welt¬
frieden bereits aufs schwerste bedrohten, als England mit kühnem Griffe eine
für Deutschland ungünstige Neuorientierung feiner ostasiatischen Politik vornahm.
Obwohl der kurz vor Beendigung des russisch-japanischen Krieges abgeschlossene
zweite Vertrag mit Japan noch nicht abgelaufen war, erzwang England eben
damals, als sich die allgemeine weltpolitische Lage bedenklich zuspitzte, eine


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[0022] [Abbildung] Deutschland und der amerikanisch-japanische Gegensatz Von Professor Dr. I. Hcishazen or dem Kriege und während des Krieges haben die Deutschen die verschiedenen Unstimmigkeiten, die innerhalb der vielköpfigen Ge¬ sellschaft ihrer Feinde hervorgetreten sind, gerne zugunsten Deutschlands gebucht. Besonders dem sich erweiternden Vier¬ verbande ist wegen seiner angeblich unüberbrückbaren inneren Gegensätze oft genug ein nahes Ende mit aller Bestimmtheit vorausgesagt worden. Leider ist von diesen Prophezeiungen bis jetzt keine verwirklicht worden. Auch bei der Würdigung des amerikanisch-japanischen Gegensatzes hat man in Deutschland öfters mehr das in nahe Aussicht gestellt, was man wünschte, nämlich einen Zusammenstoß, am liebsten einen Krieg zwischen Japan und den Vereinigten Staaten, damit der von manchen Kreisen so lebhaft gefurchtste Krieg zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten dann unmöglich würde — als daß man die politischen Tatsachen und die wirkliche Wahrheit mit Ruhe ins Auge gefaßt hätte und zu der für Deutschland freilich bitteren Erkenntnis gelangt wäre, daß Amerikas Gegensatz gegen Japan eine welt¬ politische Erscheinung ist, die mit allen ihren weitgreifenden Folgen nicht zu¬ gunsten, sondern zuungunsten Deutschlands gewirkt hat. Wie bei den meisten außerpolitischen und weltpolitischen Mißerfolgen, die Deutschland vor dem Kriege und während des Krieges erlitten hat, die eng¬ lischen Diplomaten irgendwie ihre Hand im Spiele haben, so auch bei der gegen Deutschland gerichteten Ausnutzung des amerikanisch-japanischen Gegen¬ satzes. Und zwar ist dieser tiefgreifende, nicht auf Mißverständnissen oder auf Hetze, sondern auf sachlich unausgleichbaren JnteressenkonMen beruhende Gegensatz nicht erst während des Krieges, sondern bereits vor dem Kriege, in einer der kritischesten Epochen der Vorgeschichte des Krieges, von England zuungunsten Deutschlands ausgenutzt worden. Es war in den aufgeregtesten Wochen der letzten und schwersten Marokko¬ krise im Sommer 1911, die infolge der englischen Machenschaften den Welt¬ frieden bereits aufs schwerste bedrohten, als England mit kühnem Griffe eine für Deutschland ungünstige Neuorientierung feiner ostasiatischen Politik vornahm. Obwohl der kurz vor Beendigung des russisch-japanischen Krieges abgeschlossene zweite Vertrag mit Japan noch nicht abgelaufen war, erzwang England eben damals, als sich die allgemeine weltpolitische Lage bedenklich zuspitzte, eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/22>, abgerufen am 29.06.2024.