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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kräfte von innen

Je prinzipieller er den Kapitalismus mit allen seinen Folgeerscheinungen in
Staat, Parlament. Gemeinde, Erziehung und Lehre ablehnt, um so mehr soll
sich der einzelne Katholik der Mittel und Kräfte dieses Kapitalismus bedienen.
Nur wer die Macht hat, kann die Welt bestimmen. Auch der moderne Geist
kaun nur durch seine eigenen Machtmittel überwunden werden.

Rund heraus gesagt: Scheler will den Gesamtgeist unseres Volkes mit
allen Mitteln moderner Wissenschaft und Organisation über das hinaussehen,
was er schädlichen Modernismus nennt. Dazu bietet sich der Katholizismus
als besonderer Helfer an. Woher soll aber außerhalb der katholischen Welt¬
anschauung die Hilfe kommen? Sie muß im Grunde ebenfalls immer wieder
vom Christentum kommen, und die evangelischen Kirchen müssen ihre Aufgaben
auch erkennen. In die Extreme des kapitalistisch-demokratischen Nationalismus,
die wir bei gegnerischen Staaten wuchern sehen, dürfen wir unser Volk nicht
hineinwachsen lassen. Wir haben mehr Bedarf nach einer Dosis Christentum
als nach noch mehr Nationalismus oder Demokratie, und der Protestantismus
dürfte, wenn er in diesem Luthergedenkjahre wirklich Lutherkräfte in sich wachsen
lassen will, ruhig einmal auch den Mut zu einem gewissen "Antimodernismus"
lernen. Die wissenschaftlichen Methoden der evangelischen Theologie und der
religiöse Subjektivismus der protestantischen Gebildeten sind an sich sehr schöne
Errungenschaften, aber sie machen die Kirchen noch nicht fähig, Kräfte zum
inneren Aufbau des Volkes zu schaffen. Am besten dienen beide Konfessionen
sich selber und dem Vaterlande, wenn sie möglichst entschieden christlich und
mutig den feindlichen Tendenzen der Zeit entgegentreten. Hier könnte auch der
Weg zu wirklicher konfessioneller Verständigung gefunden werden. "Dieser
Weg ist die beiderseitige möglichst tiefe und intensive Aufnahme und Ver¬
arbeitung der neuen und lebendigen Erfahrungen dieser Kriegszeit und das
schöne Ringen darum, vom beiderseitigen festen Glaubensbestande aus die
Wurzeln der neuen religiösen und moralischen Zerfallserscheinungen abzugraben.
Wer dieser Aufgabe besser angepaßt ist, wer hier mehr schenken und geben kann,
der wird darin auch der anderen Konfession einen neuen Tatbeweis liefern
für die Echtheit, Tiefe und Kraft feines Glaubens und seiner Christlichkeit."
(Scheler S. 302.)

Das Vaterland aber wird innere moralisch-religiöse Kräfte, die es braucht,
immer nehmen müssen, wo sie ihm geboten werden. Darum wird die Welt¬
anschauung, die am meisten moralische Autorität zu behaupten oder zu erneuern,
die die beste Gesinnung und Sitte zu pflanzen versteht, auch dem Vaterlande
den besten Dienst leisten und die endgültige Kulturbedeutung des deutschen
Namens am meisten fördern. Jedenfalls wäre es verkehrt, den nationalen
Willen des Katholizismus nicht gelten zu lassen. Möchten unseren! Volke aus
allen seinen Weltanschauungen Kräfte der inneren Erneuerung in reichen Strömen
zufließen!




Kräfte von innen

Je prinzipieller er den Kapitalismus mit allen seinen Folgeerscheinungen in
Staat, Parlament. Gemeinde, Erziehung und Lehre ablehnt, um so mehr soll
sich der einzelne Katholik der Mittel und Kräfte dieses Kapitalismus bedienen.
Nur wer die Macht hat, kann die Welt bestimmen. Auch der moderne Geist
kaun nur durch seine eigenen Machtmittel überwunden werden.

Rund heraus gesagt: Scheler will den Gesamtgeist unseres Volkes mit
allen Mitteln moderner Wissenschaft und Organisation über das hinaussehen,
was er schädlichen Modernismus nennt. Dazu bietet sich der Katholizismus
als besonderer Helfer an. Woher soll aber außerhalb der katholischen Welt¬
anschauung die Hilfe kommen? Sie muß im Grunde ebenfalls immer wieder
vom Christentum kommen, und die evangelischen Kirchen müssen ihre Aufgaben
auch erkennen. In die Extreme des kapitalistisch-demokratischen Nationalismus,
die wir bei gegnerischen Staaten wuchern sehen, dürfen wir unser Volk nicht
hineinwachsen lassen. Wir haben mehr Bedarf nach einer Dosis Christentum
als nach noch mehr Nationalismus oder Demokratie, und der Protestantismus
dürfte, wenn er in diesem Luthergedenkjahre wirklich Lutherkräfte in sich wachsen
lassen will, ruhig einmal auch den Mut zu einem gewissen „Antimodernismus"
lernen. Die wissenschaftlichen Methoden der evangelischen Theologie und der
religiöse Subjektivismus der protestantischen Gebildeten sind an sich sehr schöne
Errungenschaften, aber sie machen die Kirchen noch nicht fähig, Kräfte zum
inneren Aufbau des Volkes zu schaffen. Am besten dienen beide Konfessionen
sich selber und dem Vaterlande, wenn sie möglichst entschieden christlich und
mutig den feindlichen Tendenzen der Zeit entgegentreten. Hier könnte auch der
Weg zu wirklicher konfessioneller Verständigung gefunden werden. „Dieser
Weg ist die beiderseitige möglichst tiefe und intensive Aufnahme und Ver¬
arbeitung der neuen und lebendigen Erfahrungen dieser Kriegszeit und das
schöne Ringen darum, vom beiderseitigen festen Glaubensbestande aus die
Wurzeln der neuen religiösen und moralischen Zerfallserscheinungen abzugraben.
Wer dieser Aufgabe besser angepaßt ist, wer hier mehr schenken und geben kann,
der wird darin auch der anderen Konfession einen neuen Tatbeweis liefern
für die Echtheit, Tiefe und Kraft feines Glaubens und seiner Christlichkeit."
(Scheler S. 302.)

Das Vaterland aber wird innere moralisch-religiöse Kräfte, die es braucht,
immer nehmen müssen, wo sie ihm geboten werden. Darum wird die Welt¬
anschauung, die am meisten moralische Autorität zu behaupten oder zu erneuern,
die die beste Gesinnung und Sitte zu pflanzen versteht, auch dem Vaterlande
den besten Dienst leisten und die endgültige Kulturbedeutung des deutschen
Namens am meisten fördern. Jedenfalls wäre es verkehrt, den nationalen
Willen des Katholizismus nicht gelten zu lassen. Möchten unseren! Volke aus
allen seinen Weltanschauungen Kräfte der inneren Erneuerung in reichen Strömen
zufließen!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/21>, abgerufen am 29.06.2024.