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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Wohin geht die Reise?

die Wiener und Ofen-Pester Regierung aus den geschickten Händen der Polen
zu befreien?! statt dessen haben sie sich selbst mit Haut und Haaren in den
polnischen Netzen fangen lassen. O, der Historiker, der einmal die Polnische
Frage im Weltkrieg darzustellen unternimmt, wird sich wundern, mit wie
wenig Verstand die Welt regiert wird l

Die Polenfrage ist dank der ungeschickten Hände der deutschen Diplomatie
und dank der großen Geschicklichkeit, Zähigkeit und selbstverständlich auch kalten
Skrupellosigkeit der auf ihren eigenen Vorteil ausgehenden Polen zu einem der
Zentralprobleme des Weltkrieges geworden, ohne dazu weder vom österreichisch¬
ungarischen, noch vom deutschen Gesichtspunkt aus berufen zu sein. Gewöhnen
wir uns und möchte vor allem die Negierung sich noch in letzter Stunde daran
gewöhnen, ehe es zu spät ist, die Polenfrage in erster Linie als eine reine
Gebietsfrage Rußland gegenüber zu betrachten! Von Rußland haben wir
Kongreßpolen abgetrennt; vom russischen Gedankenkreise müssen noch Millionen
Polen von Galizien, Preußen und im Weichselgebiet losgelöst werden! Wollen
wir für uns nicht auf positive Ergebnisse des Krieges verzichten, so gilt es die
Polenfrage auf den ihr gebührenden zweiten Platz zurückzudrängen. Alles andere
ist künstlich. Auch in der Polenfrage ist für Sentimentalitäten kein Raum!

Voraussetzung, alleinige Voraussetzung für einen glücklichen, d. h. zukunfts¬
reichen Ausgang des Krieges ist die Zusammenfügung der österreichisch-unga¬
rischen Belange mit den unseren, ohne Rücksicht auf möglichen Gebietszuwachs im
Osten, Westen oder Süden, Schaffung eines Wirtschaftsblocks in Mitteleuropa, der,
einem gewaltigen Felsmassiv vergleichbar, dem im Sturm gepeitschten Ozean der wild
gewordenen angelsächsischen und asiatischen Erwerbsgier standhalten und unbekümmert
um sie sein eigenes Leben führen kann. Kommt dies zustande, und es muß
geboren werden, weil es ebenso Lebensnotwendigkeit der österreichisch-ungarischen
wie der reichsdeutschen Völker ist, dann wird es auch an der Zeit sein, über
anzugliedernde Gebiete und die endgültige Form ihrer staatlichen Organisation
Zu sprechen. Polen ist als Faustpfand dem russischen Reiche entrissen! Nutzen
wir es als solches! Das scheint mir der logisch vorgeschriebene Gang der
Dinge zu sein, der auch den in der Geschichte bisher unerhörten Leistungen der
beiden großen Reiche und ihrer Verbündeten, zu denen die Polen bisher noch
nicht getreten sind, entspräche.




Wohin geht die Reise?

die Wiener und Ofen-Pester Regierung aus den geschickten Händen der Polen
zu befreien?! statt dessen haben sie sich selbst mit Haut und Haaren in den
polnischen Netzen fangen lassen. O, der Historiker, der einmal die Polnische
Frage im Weltkrieg darzustellen unternimmt, wird sich wundern, mit wie
wenig Verstand die Welt regiert wird l

Die Polenfrage ist dank der ungeschickten Hände der deutschen Diplomatie
und dank der großen Geschicklichkeit, Zähigkeit und selbstverständlich auch kalten
Skrupellosigkeit der auf ihren eigenen Vorteil ausgehenden Polen zu einem der
Zentralprobleme des Weltkrieges geworden, ohne dazu weder vom österreichisch¬
ungarischen, noch vom deutschen Gesichtspunkt aus berufen zu sein. Gewöhnen
wir uns und möchte vor allem die Negierung sich noch in letzter Stunde daran
gewöhnen, ehe es zu spät ist, die Polenfrage in erster Linie als eine reine
Gebietsfrage Rußland gegenüber zu betrachten! Von Rußland haben wir
Kongreßpolen abgetrennt; vom russischen Gedankenkreise müssen noch Millionen
Polen von Galizien, Preußen und im Weichselgebiet losgelöst werden! Wollen
wir für uns nicht auf positive Ergebnisse des Krieges verzichten, so gilt es die
Polenfrage auf den ihr gebührenden zweiten Platz zurückzudrängen. Alles andere
ist künstlich. Auch in der Polenfrage ist für Sentimentalitäten kein Raum!

Voraussetzung, alleinige Voraussetzung für einen glücklichen, d. h. zukunfts¬
reichen Ausgang des Krieges ist die Zusammenfügung der österreichisch-unga¬
rischen Belange mit den unseren, ohne Rücksicht auf möglichen Gebietszuwachs im
Osten, Westen oder Süden, Schaffung eines Wirtschaftsblocks in Mitteleuropa, der,
einem gewaltigen Felsmassiv vergleichbar, dem im Sturm gepeitschten Ozean der wild
gewordenen angelsächsischen und asiatischen Erwerbsgier standhalten und unbekümmert
um sie sein eigenes Leben führen kann. Kommt dies zustande, und es muß
geboren werden, weil es ebenso Lebensnotwendigkeit der österreichisch-ungarischen
wie der reichsdeutschen Völker ist, dann wird es auch an der Zeit sein, über
anzugliedernde Gebiete und die endgültige Form ihrer staatlichen Organisation
Zu sprechen. Polen ist als Faustpfand dem russischen Reiche entrissen! Nutzen
wir es als solches! Das scheint mir der logisch vorgeschriebene Gang der
Dinge zu sein, der auch den in der Geschichte bisher unerhörten Leistungen der
beiden großen Reiche und ihrer Verbündeten, zu denen die Polen bisher noch
nicht getreten sind, entspräche.




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[0217] Wohin geht die Reise? die Wiener und Ofen-Pester Regierung aus den geschickten Händen der Polen zu befreien?! statt dessen haben sie sich selbst mit Haut und Haaren in den polnischen Netzen fangen lassen. O, der Historiker, der einmal die Polnische Frage im Weltkrieg darzustellen unternimmt, wird sich wundern, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird l Die Polenfrage ist dank der ungeschickten Hände der deutschen Diplomatie und dank der großen Geschicklichkeit, Zähigkeit und selbstverständlich auch kalten Skrupellosigkeit der auf ihren eigenen Vorteil ausgehenden Polen zu einem der Zentralprobleme des Weltkrieges geworden, ohne dazu weder vom österreichisch¬ ungarischen, noch vom deutschen Gesichtspunkt aus berufen zu sein. Gewöhnen wir uns und möchte vor allem die Negierung sich noch in letzter Stunde daran gewöhnen, ehe es zu spät ist, die Polenfrage in erster Linie als eine reine Gebietsfrage Rußland gegenüber zu betrachten! Von Rußland haben wir Kongreßpolen abgetrennt; vom russischen Gedankenkreise müssen noch Millionen Polen von Galizien, Preußen und im Weichselgebiet losgelöst werden! Wollen wir für uns nicht auf positive Ergebnisse des Krieges verzichten, so gilt es die Polenfrage auf den ihr gebührenden zweiten Platz zurückzudrängen. Alles andere ist künstlich. Auch in der Polenfrage ist für Sentimentalitäten kein Raum! Voraussetzung, alleinige Voraussetzung für einen glücklichen, d. h. zukunfts¬ reichen Ausgang des Krieges ist die Zusammenfügung der österreichisch-unga¬ rischen Belange mit den unseren, ohne Rücksicht auf möglichen Gebietszuwachs im Osten, Westen oder Süden, Schaffung eines Wirtschaftsblocks in Mitteleuropa, der, einem gewaltigen Felsmassiv vergleichbar, dem im Sturm gepeitschten Ozean der wild gewordenen angelsächsischen und asiatischen Erwerbsgier standhalten und unbekümmert um sie sein eigenes Leben führen kann. Kommt dies zustande, und es muß geboren werden, weil es ebenso Lebensnotwendigkeit der österreichisch-ungarischen wie der reichsdeutschen Völker ist, dann wird es auch an der Zeit sein, über anzugliedernde Gebiete und die endgültige Form ihrer staatlichen Organisation Zu sprechen. Polen ist als Faustpfand dem russischen Reiche entrissen! Nutzen wir es als solches! Das scheint mir der logisch vorgeschriebene Gang der Dinge zu sein, der auch den in der Geschichte bisher unerhörten Leistungen der beiden großen Reiche und ihrer Verbündeten, zu denen die Polen bisher noch nicht getreten sind, entspräche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/217>, abgerufen am 01.07.2024.