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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Wohin geht die Reise?

stützen. Bei uns wurden diese wichtigen Dinge entweder nicht erkannt oder
unterschätzt. Statt die wenigen Vorteile unserer zentralen Lage auszunutzen
und wenigstens die Verbindung unserer Feinde über Deutschland zu unterbinden,
haben wir im Gegenteil noch alles getan, um ja den Zusammenhang der
Polen über die ganze Welt zu fördern. Man stelle sich nur vor, daß ein
Mann wie Korfantn, der Jahre hindurch als Zeitungskorrespondent moralisch
von der russischen Regierung gefördert, die Stimmung in Russisch-Polen gegen
uns aufwühlte, die Erlaubnis erhalten konnte, ins neutrale Ausland zu reisen!
Daß Erasmus Piltz, ein fanatischer Vorkämpfer für den russisch-polnischen
Ausgleich, der von uns in einem gegebenen Zeitpunkte gefangen gesetzt worden
war, sich gleichfalls ins Ausland begeben durfte, nachdem er erst lange Zeit
hindurch sich in Berlin über unsere Kriegsnöte unterweisen lassen konnte! Und
wieviel Polen sind ständig unterwegs zwischen Warschau und dem neutralen
Auslande? Wieviel mögen diese Polen schon zur Verlängerung des Krieges
beigetragen haben durch die Art, wie sie unsere Lebensbedingungen darstellten,
wo sie dank dem väterlichen Wirken der deutschen Regierung bald weniger vom
Kriege zu spüren haben, wie wir Deutschen daheim I? Die Polen, die an
einen durchschlagenden Sieg unserer Waffen glauben, sind an Fingern her¬
zuzählen, andernfalls wären die Legionen anders gegen Rußland aufgetreten,
als wie es in diesem Sommer geschehen. Und nun die Polen in Wien! Wir
verwechseln Regierung und Polenklub. Die Polen sind es, die uns von Wien
her überall Knüttel zwischen die Füße werfen? Was gehn die Herren des
Polenklubs zu Wien die Verhältnisse in dem von Deutschland besetzten Gebiet
von Litauen an? Was berechtigt sie, im Reichsrat Anfragen über Schule,
Steuern und andere Dinge in Litauen an die Regierung zu stellen, wie es jüngst ge¬
schehen? Das haben doch, soweit mir erinnerlich, deutsche Loldaten dem Zaren ent¬
rissen? oder war es ein polnischer Aufstand gegen Rußland, der uns jene
Gebiete zuführte? Nach drei Kriegsjahren und bei der Fülle der Geschehnisse
mögen sich die Erinnerungen verwischt haben.

Genug für heute mit diesen Andeutungen!

Wenn von diplomatischer Seite behauptet wird, daß gerade die Polen¬
frage starke Empfindlichkeiten bei unserm mächtigen Bundesgenossen an der
Donau wecken könnte, so sei dem entgegengehalten, daß diese Empfindlichkeit erst das
Ergebnis unserer Diplomatenkünste nach Ausbruch des Krieges geworden ist.
Uneingeweiht in die polnische nationale Entwicklung ließen unsere Diplomaten
sich z. B. einreden, daß wir nur mobil gegen Nußland zu machen brauchten,
so würde ganz Polen zu Hellem Aufstande auflodern; unbekannt in den Gefilden
der polnischen Politik und in der Furcht, von ihrem Nimbus zu verlieren,
wenn sie einheimische Berater hörten, folgten sie nicht den wohlbegründeten
Ratschlägen erprobter deutscher Landsleute, sondern zogen es vor, sich von
Sendungen der galizischen Polen unterweisen und -- ins Schlepptau nehmen
zu lassen. Was war es für eine schöne und große Aufgabe für deutsche Diplomaten-


Wohin geht die Reise?

stützen. Bei uns wurden diese wichtigen Dinge entweder nicht erkannt oder
unterschätzt. Statt die wenigen Vorteile unserer zentralen Lage auszunutzen
und wenigstens die Verbindung unserer Feinde über Deutschland zu unterbinden,
haben wir im Gegenteil noch alles getan, um ja den Zusammenhang der
Polen über die ganze Welt zu fördern. Man stelle sich nur vor, daß ein
Mann wie Korfantn, der Jahre hindurch als Zeitungskorrespondent moralisch
von der russischen Regierung gefördert, die Stimmung in Russisch-Polen gegen
uns aufwühlte, die Erlaubnis erhalten konnte, ins neutrale Ausland zu reisen!
Daß Erasmus Piltz, ein fanatischer Vorkämpfer für den russisch-polnischen
Ausgleich, der von uns in einem gegebenen Zeitpunkte gefangen gesetzt worden
war, sich gleichfalls ins Ausland begeben durfte, nachdem er erst lange Zeit
hindurch sich in Berlin über unsere Kriegsnöte unterweisen lassen konnte! Und
wieviel Polen sind ständig unterwegs zwischen Warschau und dem neutralen
Auslande? Wieviel mögen diese Polen schon zur Verlängerung des Krieges
beigetragen haben durch die Art, wie sie unsere Lebensbedingungen darstellten,
wo sie dank dem väterlichen Wirken der deutschen Regierung bald weniger vom
Kriege zu spüren haben, wie wir Deutschen daheim I? Die Polen, die an
einen durchschlagenden Sieg unserer Waffen glauben, sind an Fingern her¬
zuzählen, andernfalls wären die Legionen anders gegen Rußland aufgetreten,
als wie es in diesem Sommer geschehen. Und nun die Polen in Wien! Wir
verwechseln Regierung und Polenklub. Die Polen sind es, die uns von Wien
her überall Knüttel zwischen die Füße werfen? Was gehn die Herren des
Polenklubs zu Wien die Verhältnisse in dem von Deutschland besetzten Gebiet
von Litauen an? Was berechtigt sie, im Reichsrat Anfragen über Schule,
Steuern und andere Dinge in Litauen an die Regierung zu stellen, wie es jüngst ge¬
schehen? Das haben doch, soweit mir erinnerlich, deutsche Loldaten dem Zaren ent¬
rissen? oder war es ein polnischer Aufstand gegen Rußland, der uns jene
Gebiete zuführte? Nach drei Kriegsjahren und bei der Fülle der Geschehnisse
mögen sich die Erinnerungen verwischt haben.

Genug für heute mit diesen Andeutungen!

Wenn von diplomatischer Seite behauptet wird, daß gerade die Polen¬
frage starke Empfindlichkeiten bei unserm mächtigen Bundesgenossen an der
Donau wecken könnte, so sei dem entgegengehalten, daß diese Empfindlichkeit erst das
Ergebnis unserer Diplomatenkünste nach Ausbruch des Krieges geworden ist.
Uneingeweiht in die polnische nationale Entwicklung ließen unsere Diplomaten
sich z. B. einreden, daß wir nur mobil gegen Nußland zu machen brauchten,
so würde ganz Polen zu Hellem Aufstande auflodern; unbekannt in den Gefilden
der polnischen Politik und in der Furcht, von ihrem Nimbus zu verlieren,
wenn sie einheimische Berater hörten, folgten sie nicht den wohlbegründeten
Ratschlägen erprobter deutscher Landsleute, sondern zogen es vor, sich von
Sendungen der galizischen Polen unterweisen und — ins Schlepptau nehmen
zu lassen. Was war es für eine schöne und große Aufgabe für deutsche Diplomaten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/216>, abgerufen am 01.07.2024.