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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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wohin geht die Reise?

Im übrigen hat Herr I)r. Michaelis sich in solchen Dingen bisher größte
Zurückhaltung auferlegt, in denen die Politik des Herrn von Bethmann Hollweg
unseres Erachtens völlig versagte: Reform des Auswärtigen Amts,
Behandlung der Polenfrage. Wir möchten aber glauben, daß dies eine
mehr zufällige als aus den Anschauungen des neuen Reichskanzlers ableitbare
Erscheinung ist. Es sei daran erinnert, daß Herr Dr. Michaelis aus der
inneren Verwaltung kommt und infolgedessen kaum so bewandert in den Nöten
des auswärtigen Dienstes sein dürfte, um es verantworten zu können, an
dessen Reform heranzutreten, ohne mit seinem Staatssekretär des Auswärtigen
in allen Einzelheiten Übereinstimmung erzielt zu haben. Nun ist Herr
von Kühlmann aber am 8. d. M. auf seinem neuen Posten angetreten! Hier
also heißt es zunächst einmal abwarten.

Auch seine Zurückhaltung in der Polenfrage läßt sich erklären ohne daß
daran schon jetzt pessimistische Gedanken geknüpft zu werden brauchen; so
z. B. dürfte der Wunsch, nicht an den Beginn seiner gewiß von tausend
Hemmnissen umlauerten Tätigkeit gleich schwere Kämpfe zu stellen eine
gewisse Rolle spielen. Immerhin: Herr Dr. Michaelis kann auf
diesem Gebiete nicht wie auf dem der auswärtigen Politik die Schonzeit des
Neulings beanspruchen. Einmal ist kaum anzunehmen, daß er der polnischen
Frage so ganz als Laie gegenübersteht; dazu ist er zu lange im Osten als Be¬
amter tätig gewesen, zwang ihn auch, sein Amt als Lebensmitteldiktator noch ganz
zuletzt, sich mit den Dingen im Generalgouvernement Warschau zu befassen, wo
bekanntlich Herr von Veseler drauf und dran war, der polnischen Bevölkerung
ein vom Staatsrat gefordertes Nahrungsmittelminimum zu garantieren, und
schließlich geboten die jüngsten Vorkommnisse im Generalgouvernement Warschau
die sofortige Stellungnahme des obersten verantwortlichen Reichsbeamten. Somit
mußte er sich vor allem andern und in erster Linie über die polnischen Dinge
unterrichten lassen. Daß dies auch wirklich geschehen ist, geht aus der Mit¬
teilung der Tageszeitungen hervor, wonach der Herr Reichskanzler in Wien
auch Gelegenheit gehabt habe, sich über die Polenfrage zu unterhalten, sowie
der Umstand, daß in allernächster Zeit zwischen ihm und Exzellenz von Beseler
Verhandlungen über die Einrichtungen eines Regentschaftsrates stattfinden sollen,
über die Gründe, warum die Besprechungen in Wien zu keinem der Veröffentlichung
würdigen Ergebnis geführt haben, hätten wir gern schon etwas vernommen,
wie wir überhaupt dringend wünschen möchten, über die deutsche Polenpolitik
vielseitiger und freimütiger unterrichtet zu werden, wie es bisher durch die Presse¬
abteilung Warschau und den Berliner Agenten des Wiener Polenklubs ge¬
schehen,

Ich weiß: solche Forderungen sind unbequem, kenne auch die beiden
Hauptgründe, aus denen das Recht hergeleitet wird, uns Kenntnisse vorzuent¬
halten, die unseren Bundesgenossen in Österreich und Ungarn nicht schädlich
find: einmal die Rücksichtnahme auf eben diese Bundesgenossen und dann die


wohin geht die Reise?

Im übrigen hat Herr I)r. Michaelis sich in solchen Dingen bisher größte
Zurückhaltung auferlegt, in denen die Politik des Herrn von Bethmann Hollweg
unseres Erachtens völlig versagte: Reform des Auswärtigen Amts,
Behandlung der Polenfrage. Wir möchten aber glauben, daß dies eine
mehr zufällige als aus den Anschauungen des neuen Reichskanzlers ableitbare
Erscheinung ist. Es sei daran erinnert, daß Herr Dr. Michaelis aus der
inneren Verwaltung kommt und infolgedessen kaum so bewandert in den Nöten
des auswärtigen Dienstes sein dürfte, um es verantworten zu können, an
dessen Reform heranzutreten, ohne mit seinem Staatssekretär des Auswärtigen
in allen Einzelheiten Übereinstimmung erzielt zu haben. Nun ist Herr
von Kühlmann aber am 8. d. M. auf seinem neuen Posten angetreten! Hier
also heißt es zunächst einmal abwarten.

Auch seine Zurückhaltung in der Polenfrage läßt sich erklären ohne daß
daran schon jetzt pessimistische Gedanken geknüpft zu werden brauchen; so
z. B. dürfte der Wunsch, nicht an den Beginn seiner gewiß von tausend
Hemmnissen umlauerten Tätigkeit gleich schwere Kämpfe zu stellen eine
gewisse Rolle spielen. Immerhin: Herr Dr. Michaelis kann auf
diesem Gebiete nicht wie auf dem der auswärtigen Politik die Schonzeit des
Neulings beanspruchen. Einmal ist kaum anzunehmen, daß er der polnischen
Frage so ganz als Laie gegenübersteht; dazu ist er zu lange im Osten als Be¬
amter tätig gewesen, zwang ihn auch, sein Amt als Lebensmitteldiktator noch ganz
zuletzt, sich mit den Dingen im Generalgouvernement Warschau zu befassen, wo
bekanntlich Herr von Veseler drauf und dran war, der polnischen Bevölkerung
ein vom Staatsrat gefordertes Nahrungsmittelminimum zu garantieren, und
schließlich geboten die jüngsten Vorkommnisse im Generalgouvernement Warschau
die sofortige Stellungnahme des obersten verantwortlichen Reichsbeamten. Somit
mußte er sich vor allem andern und in erster Linie über die polnischen Dinge
unterrichten lassen. Daß dies auch wirklich geschehen ist, geht aus der Mit¬
teilung der Tageszeitungen hervor, wonach der Herr Reichskanzler in Wien
auch Gelegenheit gehabt habe, sich über die Polenfrage zu unterhalten, sowie
der Umstand, daß in allernächster Zeit zwischen ihm und Exzellenz von Beseler
Verhandlungen über die Einrichtungen eines Regentschaftsrates stattfinden sollen,
über die Gründe, warum die Besprechungen in Wien zu keinem der Veröffentlichung
würdigen Ergebnis geführt haben, hätten wir gern schon etwas vernommen,
wie wir überhaupt dringend wünschen möchten, über die deutsche Polenpolitik
vielseitiger und freimütiger unterrichtet zu werden, wie es bisher durch die Presse¬
abteilung Warschau und den Berliner Agenten des Wiener Polenklubs ge¬
schehen,

Ich weiß: solche Forderungen sind unbequem, kenne auch die beiden
Hauptgründe, aus denen das Recht hergeleitet wird, uns Kenntnisse vorzuent¬
halten, die unseren Bundesgenossen in Österreich und Ungarn nicht schädlich
find: einmal die Rücksichtnahme auf eben diese Bundesgenossen und dann die


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[0214] wohin geht die Reise? Im übrigen hat Herr I)r. Michaelis sich in solchen Dingen bisher größte Zurückhaltung auferlegt, in denen die Politik des Herrn von Bethmann Hollweg unseres Erachtens völlig versagte: Reform des Auswärtigen Amts, Behandlung der Polenfrage. Wir möchten aber glauben, daß dies eine mehr zufällige als aus den Anschauungen des neuen Reichskanzlers ableitbare Erscheinung ist. Es sei daran erinnert, daß Herr Dr. Michaelis aus der inneren Verwaltung kommt und infolgedessen kaum so bewandert in den Nöten des auswärtigen Dienstes sein dürfte, um es verantworten zu können, an dessen Reform heranzutreten, ohne mit seinem Staatssekretär des Auswärtigen in allen Einzelheiten Übereinstimmung erzielt zu haben. Nun ist Herr von Kühlmann aber am 8. d. M. auf seinem neuen Posten angetreten! Hier also heißt es zunächst einmal abwarten. Auch seine Zurückhaltung in der Polenfrage läßt sich erklären ohne daß daran schon jetzt pessimistische Gedanken geknüpft zu werden brauchen; so z. B. dürfte der Wunsch, nicht an den Beginn seiner gewiß von tausend Hemmnissen umlauerten Tätigkeit gleich schwere Kämpfe zu stellen eine gewisse Rolle spielen. Immerhin: Herr Dr. Michaelis kann auf diesem Gebiete nicht wie auf dem der auswärtigen Politik die Schonzeit des Neulings beanspruchen. Einmal ist kaum anzunehmen, daß er der polnischen Frage so ganz als Laie gegenübersteht; dazu ist er zu lange im Osten als Be¬ amter tätig gewesen, zwang ihn auch, sein Amt als Lebensmitteldiktator noch ganz zuletzt, sich mit den Dingen im Generalgouvernement Warschau zu befassen, wo bekanntlich Herr von Veseler drauf und dran war, der polnischen Bevölkerung ein vom Staatsrat gefordertes Nahrungsmittelminimum zu garantieren, und schließlich geboten die jüngsten Vorkommnisse im Generalgouvernement Warschau die sofortige Stellungnahme des obersten verantwortlichen Reichsbeamten. Somit mußte er sich vor allem andern und in erster Linie über die polnischen Dinge unterrichten lassen. Daß dies auch wirklich geschehen ist, geht aus der Mit¬ teilung der Tageszeitungen hervor, wonach der Herr Reichskanzler in Wien auch Gelegenheit gehabt habe, sich über die Polenfrage zu unterhalten, sowie der Umstand, daß in allernächster Zeit zwischen ihm und Exzellenz von Beseler Verhandlungen über die Einrichtungen eines Regentschaftsrates stattfinden sollen, über die Gründe, warum die Besprechungen in Wien zu keinem der Veröffentlichung würdigen Ergebnis geführt haben, hätten wir gern schon etwas vernommen, wie wir überhaupt dringend wünschen möchten, über die deutsche Polenpolitik vielseitiger und freimütiger unterrichtet zu werden, wie es bisher durch die Presse¬ abteilung Warschau und den Berliner Agenten des Wiener Polenklubs ge¬ schehen, Ich weiß: solche Forderungen sind unbequem, kenne auch die beiden Hauptgründe, aus denen das Recht hergeleitet wird, uns Kenntnisse vorzuent¬ halten, die unseren Bundesgenossen in Österreich und Ungarn nicht schädlich find: einmal die Rücksichtnahme auf eben diese Bundesgenossen und dann die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/214>, abgerufen am 01.07.2024.