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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Der Rnrs des neuen Kanzlers

ist. und daß einem Mitglieds der Freisinnigen Volkspartei -- es soll der Chef,
redakteur der "Frankfurter Zeitung" Dr. Öser sein -- der Eintritt angeboten
worden ist. Es fällt auf, daß bei der Auswahl der Parlamentarier für die
höchsten Regierungsstellen die konservative und die freikonservative Partei -- der
neue Landwirtschaftsminister von Eisenbart-Rothe zählt hier als Mitglied des
Herrenhauses doch kaum mit -- völlig übergangen sind, das ist sicherlich kein
Zufall. Der tiefere Grund liegt ohne Frage darin, daß beide konservative
Parteien sich noch neuestens, die konservative Partei sogar noch nach dem
19. Juli ausdrücklich gegen die Durchführung des gleichen Wahlrechts in
Preußen festgelegt haben. Solange das der Fall bleibt, wird die Negierung
sich im Reiche wie in Preußen logischerweise in erster Linie an diejenigen
Parteien zu lehnen haben, bei denen sie einer Unterstützung auf ihren Wegen,
sowohl in der äußeren wie in der inneren Politik gewiß sein darf, d. h. im
wesentlichen an diejenigen Parteien, die schon den erst in der Julikrise in die
Brüche gegangenen sogenannten Bethmann-Block bildeten. Daß sämtliche neu¬
ernannten Minister, vor allem auch der neue Minister des Inneren Dr. Drews
auf dem Boden nicht allein der Osterbotschaft, sondern auch des Wahlrechts¬
erlasses vom 11. Juli stehen, ist selbstverständlich; für seine Person hat es der
Reichskanzler ganz ausdrücklich ausgesprochen. Er ist sicherlich auch der Mann,
die verpfändete Zusage der Krone voll einzulösen. Man erinnere sich nur der
Worte, mit denen er nach seiner Ernennung zum preußischen Staatskommissare
sür Volksernährung im Landtage (7. März) drohendem Widerstande begegnet
war. "Ich wollte wissen, wer mir in den Arm fallen will und mit Erfolg
in den Arm fallen würde, wenn ich meine Pflicht auf diesem Gebiete tue."
Herr Dr. Michaelis hat es bewiesen, daß diese Worte kein bloßes Gerede ge¬
wesen sind. Er wird auch zuzupacken und reine Bahn zu schaffen wissen,
wenn ihm in der größeren und umfassenderen Aufgabe, die ihm jetzt anver¬
traut ist, eine oder die andere Partei in den Arm zu fallen sucht.

Das ist überhaupt der Unterschied zwischen Herrn Dr. Michaelis und
seinem Vorgänger: Beide wandeln sie im wesentlichen dieselben Pfade, steuern
sie denselben Kurs, in der äußeren wie in der inneren Politik. Aber die
größere Tatkraft und Entschlossenheit, die kräftigere Zügelfaust, das freudigere
Vertrauen auf sich selbst und auf die Kräfte, die er zusammenhalten soll im
Dienste des Vaterlandes, die sucht die Öffentlichkeit doch wohl mit Recht bei
dem neuen Kanzler. Etwas von dieser Tatfreude schimmert ja auch in der
kaiserlichen Entschließung vom 5. August durch: mit raschem Griff hat der
Kanzler die Zerlegung des Reichsamts des Innern durchgesetzt, zu der man
sich bisher nie zu entschließen vermochte, ebenso die Vereinigung des Kriegs¬
ernährungsamts und des Postens des preußischen Staatskommissars zu einem
Reichsernährungsamt: beides höchst zweckmäßige Maßregeln. Herr Dr. Michaelis
wird ganz sicherlich auch bei der Auswahl der Persönlichkeiten zu seinen nächsten
Gehilfen und Gefährten im Reich wie in Preußen auf die Eigenschaften, die


Der Rnrs des neuen Kanzlers

ist. und daß einem Mitglieds der Freisinnigen Volkspartei — es soll der Chef,
redakteur der „Frankfurter Zeitung" Dr. Öser sein — der Eintritt angeboten
worden ist. Es fällt auf, daß bei der Auswahl der Parlamentarier für die
höchsten Regierungsstellen die konservative und die freikonservative Partei — der
neue Landwirtschaftsminister von Eisenbart-Rothe zählt hier als Mitglied des
Herrenhauses doch kaum mit — völlig übergangen sind, das ist sicherlich kein
Zufall. Der tiefere Grund liegt ohne Frage darin, daß beide konservative
Parteien sich noch neuestens, die konservative Partei sogar noch nach dem
19. Juli ausdrücklich gegen die Durchführung des gleichen Wahlrechts in
Preußen festgelegt haben. Solange das der Fall bleibt, wird die Negierung
sich im Reiche wie in Preußen logischerweise in erster Linie an diejenigen
Parteien zu lehnen haben, bei denen sie einer Unterstützung auf ihren Wegen,
sowohl in der äußeren wie in der inneren Politik gewiß sein darf, d. h. im
wesentlichen an diejenigen Parteien, die schon den erst in der Julikrise in die
Brüche gegangenen sogenannten Bethmann-Block bildeten. Daß sämtliche neu¬
ernannten Minister, vor allem auch der neue Minister des Inneren Dr. Drews
auf dem Boden nicht allein der Osterbotschaft, sondern auch des Wahlrechts¬
erlasses vom 11. Juli stehen, ist selbstverständlich; für seine Person hat es der
Reichskanzler ganz ausdrücklich ausgesprochen. Er ist sicherlich auch der Mann,
die verpfändete Zusage der Krone voll einzulösen. Man erinnere sich nur der
Worte, mit denen er nach seiner Ernennung zum preußischen Staatskommissare
sür Volksernährung im Landtage (7. März) drohendem Widerstande begegnet
war. „Ich wollte wissen, wer mir in den Arm fallen will und mit Erfolg
in den Arm fallen würde, wenn ich meine Pflicht auf diesem Gebiete tue."
Herr Dr. Michaelis hat es bewiesen, daß diese Worte kein bloßes Gerede ge¬
wesen sind. Er wird auch zuzupacken und reine Bahn zu schaffen wissen,
wenn ihm in der größeren und umfassenderen Aufgabe, die ihm jetzt anver¬
traut ist, eine oder die andere Partei in den Arm zu fallen sucht.

Das ist überhaupt der Unterschied zwischen Herrn Dr. Michaelis und
seinem Vorgänger: Beide wandeln sie im wesentlichen dieselben Pfade, steuern
sie denselben Kurs, in der äußeren wie in der inneren Politik. Aber die
größere Tatkraft und Entschlossenheit, die kräftigere Zügelfaust, das freudigere
Vertrauen auf sich selbst und auf die Kräfte, die er zusammenhalten soll im
Dienste des Vaterlandes, die sucht die Öffentlichkeit doch wohl mit Recht bei
dem neuen Kanzler. Etwas von dieser Tatfreude schimmert ja auch in der
kaiserlichen Entschließung vom 5. August durch: mit raschem Griff hat der
Kanzler die Zerlegung des Reichsamts des Innern durchgesetzt, zu der man
sich bisher nie zu entschließen vermochte, ebenso die Vereinigung des Kriegs¬
ernährungsamts und des Postens des preußischen Staatskommissars zu einem
Reichsernährungsamt: beides höchst zweckmäßige Maßregeln. Herr Dr. Michaelis
wird ganz sicherlich auch bei der Auswahl der Persönlichkeiten zu seinen nächsten
Gehilfen und Gefährten im Reich wie in Preußen auf die Eigenschaften, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/211>, abgerufen am 01.07.2024.