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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kräfte von innen

Scheler, zu wenig geistige Distanz gegenüber dem Kapitalismus. Er ist, wenn
nicht selbst von seinem Geiste angekränkelt, doch zu wenig selbstbewußt ihm
gegenüber. Allerdings sei der Katholizismus in Deutschland prinzipiell gewiß
nicht modernistisch, d. h. an die moderne Philosophie mache er wenig Zu¬
geständnisse. Wohl aber sei er in der Praxis häufig modernistisch, d. h. er
mache viel zu viel Zugeständnisse an den modernen Kapitalismus und damit
auch an den nur noch dem Anstrich nach feudal-bureaukratischen, dem Wesen
nach schon ganz kapitalistischen modernen Staatsgeist. Der deutsche Katholizis¬
mus leide also zwar nicht an bewußtem Modernismus, nicht an Anpassung an
außerkatholische Prinzipien, wohl aber an einer halbbewußten, aber um so
tieferen Anpassung an außerkatholische Maßstäbe. Es handelt sich bei dieser heim¬
lichen Anpassung um das Bewußtsein der sogenannten kulturellen "Inferiorität"
der Katholiken, das nach Scheler möglicherweise schlimmer ist als der von der
Kirche verdammte prinzipielle Modernismus. Das Bewußtsein dieser Inferiorität
trifft man allerdings bei Katholiken öfters. Ihnen imponiert heimlich die pro¬
testantische Freiheit und Aufgeklärtheit, obwohl es ihnen meist nicht einfällt, sie
ernstlich zu begehren. Ich gebe Scheler zu, daß das merkwürdig und nicht
gerade würdevoll ist. Scheler ruft demgegenüber die Katholiken auf, bewußter
katholisch und bewußter antimodernistisch zu werden. Dieser Antimodernismus
soll sich erstrecken auf die moderne Philosophie wie auf die moderne kapitalistische
Wirtschaftspraxis und mit dieser spezifisch katholischen Richtung, verspricht Scheler,
würden die Katholiken auch dem Vaterlande gerade den allerbesten Dienst er¬
weisen. Also mit klaren Worten: Je katholischer, desto nationaler! Das ist
jenes "Gerade weil" im katholischen Nationalbewußsein des Weltkrieges.

Was soll man nun als Protestant hierzu sagen? Wir werden natürlich
nicht meinen, daß das moderne Geistes- und Wirtschaftsleben in Bausch und
Bogen unheilvolle Tendenzen verfolge. Aber daß der rationalistisch-kapitalistische
Geist in der Politik schwere Schäden mit sich bringt, werden auch viele evan¬
gelische Patrioten bedauern. Sollte der Katholizismus in der Abwehr des
Staatskapitalismus und -Sozialismus etwas leisten, so wird es Aufgabe des
protestantischen Christentums sein, ihm freudig an die Seite zu treten. Der
Katholizismus wird vielleicht durch den Einfluß des Beichlstuhls wenigstens an
seinem Teile eine gesunde Volksvermehrung aufrechterhalten. Ist sich die
evangelische Kirche auch bewußt, was sie dem Vaterlande zu leisten hätte, wo
ja doch keine staatliche Bevölkerungspolitik erreichen wird, was nur moralische
Autorität erreichen kann?

Den heutigen Einfluß des Katholizismus möchte Scheler nicht überschätzen.
Er meint, seine politische Macht verdanke der Katholizismus mehr der allgemeinen
Begabung unseres Volkes für Organisation und dem Rückgang der außer-
katholischen Organisationen, als seiner eigenen Geisteskraft. Erst die stärkere
Besinnung auf seinen spezifischen Geist müßte seine Kräfte genügend vertiefen.
In der Taktik soll allerdings der Katholizismus nicht etwa unmodern werden.


Kräfte von innen

Scheler, zu wenig geistige Distanz gegenüber dem Kapitalismus. Er ist, wenn
nicht selbst von seinem Geiste angekränkelt, doch zu wenig selbstbewußt ihm
gegenüber. Allerdings sei der Katholizismus in Deutschland prinzipiell gewiß
nicht modernistisch, d. h. an die moderne Philosophie mache er wenig Zu¬
geständnisse. Wohl aber sei er in der Praxis häufig modernistisch, d. h. er
mache viel zu viel Zugeständnisse an den modernen Kapitalismus und damit
auch an den nur noch dem Anstrich nach feudal-bureaukratischen, dem Wesen
nach schon ganz kapitalistischen modernen Staatsgeist. Der deutsche Katholizis¬
mus leide also zwar nicht an bewußtem Modernismus, nicht an Anpassung an
außerkatholische Prinzipien, wohl aber an einer halbbewußten, aber um so
tieferen Anpassung an außerkatholische Maßstäbe. Es handelt sich bei dieser heim¬
lichen Anpassung um das Bewußtsein der sogenannten kulturellen „Inferiorität"
der Katholiken, das nach Scheler möglicherweise schlimmer ist als der von der
Kirche verdammte prinzipielle Modernismus. Das Bewußtsein dieser Inferiorität
trifft man allerdings bei Katholiken öfters. Ihnen imponiert heimlich die pro¬
testantische Freiheit und Aufgeklärtheit, obwohl es ihnen meist nicht einfällt, sie
ernstlich zu begehren. Ich gebe Scheler zu, daß das merkwürdig und nicht
gerade würdevoll ist. Scheler ruft demgegenüber die Katholiken auf, bewußter
katholisch und bewußter antimodernistisch zu werden. Dieser Antimodernismus
soll sich erstrecken auf die moderne Philosophie wie auf die moderne kapitalistische
Wirtschaftspraxis und mit dieser spezifisch katholischen Richtung, verspricht Scheler,
würden die Katholiken auch dem Vaterlande gerade den allerbesten Dienst er¬
weisen. Also mit klaren Worten: Je katholischer, desto nationaler! Das ist
jenes „Gerade weil" im katholischen Nationalbewußsein des Weltkrieges.

Was soll man nun als Protestant hierzu sagen? Wir werden natürlich
nicht meinen, daß das moderne Geistes- und Wirtschaftsleben in Bausch und
Bogen unheilvolle Tendenzen verfolge. Aber daß der rationalistisch-kapitalistische
Geist in der Politik schwere Schäden mit sich bringt, werden auch viele evan¬
gelische Patrioten bedauern. Sollte der Katholizismus in der Abwehr des
Staatskapitalismus und -Sozialismus etwas leisten, so wird es Aufgabe des
protestantischen Christentums sein, ihm freudig an die Seite zu treten. Der
Katholizismus wird vielleicht durch den Einfluß des Beichlstuhls wenigstens an
seinem Teile eine gesunde Volksvermehrung aufrechterhalten. Ist sich die
evangelische Kirche auch bewußt, was sie dem Vaterlande zu leisten hätte, wo
ja doch keine staatliche Bevölkerungspolitik erreichen wird, was nur moralische
Autorität erreichen kann?

Den heutigen Einfluß des Katholizismus möchte Scheler nicht überschätzen.
Er meint, seine politische Macht verdanke der Katholizismus mehr der allgemeinen
Begabung unseres Volkes für Organisation und dem Rückgang der außer-
katholischen Organisationen, als seiner eigenen Geisteskraft. Erst die stärkere
Besinnung auf seinen spezifischen Geist müßte seine Kräfte genügend vertiefen.
In der Taktik soll allerdings der Katholizismus nicht etwa unmodern werden.


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[0020] Kräfte von innen Scheler, zu wenig geistige Distanz gegenüber dem Kapitalismus. Er ist, wenn nicht selbst von seinem Geiste angekränkelt, doch zu wenig selbstbewußt ihm gegenüber. Allerdings sei der Katholizismus in Deutschland prinzipiell gewiß nicht modernistisch, d. h. an die moderne Philosophie mache er wenig Zu¬ geständnisse. Wohl aber sei er in der Praxis häufig modernistisch, d. h. er mache viel zu viel Zugeständnisse an den modernen Kapitalismus und damit auch an den nur noch dem Anstrich nach feudal-bureaukratischen, dem Wesen nach schon ganz kapitalistischen modernen Staatsgeist. Der deutsche Katholizis¬ mus leide also zwar nicht an bewußtem Modernismus, nicht an Anpassung an außerkatholische Prinzipien, wohl aber an einer halbbewußten, aber um so tieferen Anpassung an außerkatholische Maßstäbe. Es handelt sich bei dieser heim¬ lichen Anpassung um das Bewußtsein der sogenannten kulturellen „Inferiorität" der Katholiken, das nach Scheler möglicherweise schlimmer ist als der von der Kirche verdammte prinzipielle Modernismus. Das Bewußtsein dieser Inferiorität trifft man allerdings bei Katholiken öfters. Ihnen imponiert heimlich die pro¬ testantische Freiheit und Aufgeklärtheit, obwohl es ihnen meist nicht einfällt, sie ernstlich zu begehren. Ich gebe Scheler zu, daß das merkwürdig und nicht gerade würdevoll ist. Scheler ruft demgegenüber die Katholiken auf, bewußter katholisch und bewußter antimodernistisch zu werden. Dieser Antimodernismus soll sich erstrecken auf die moderne Philosophie wie auf die moderne kapitalistische Wirtschaftspraxis und mit dieser spezifisch katholischen Richtung, verspricht Scheler, würden die Katholiken auch dem Vaterlande gerade den allerbesten Dienst er¬ weisen. Also mit klaren Worten: Je katholischer, desto nationaler! Das ist jenes „Gerade weil" im katholischen Nationalbewußsein des Weltkrieges. Was soll man nun als Protestant hierzu sagen? Wir werden natürlich nicht meinen, daß das moderne Geistes- und Wirtschaftsleben in Bausch und Bogen unheilvolle Tendenzen verfolge. Aber daß der rationalistisch-kapitalistische Geist in der Politik schwere Schäden mit sich bringt, werden auch viele evan¬ gelische Patrioten bedauern. Sollte der Katholizismus in der Abwehr des Staatskapitalismus und -Sozialismus etwas leisten, so wird es Aufgabe des protestantischen Christentums sein, ihm freudig an die Seite zu treten. Der Katholizismus wird vielleicht durch den Einfluß des Beichlstuhls wenigstens an seinem Teile eine gesunde Volksvermehrung aufrechterhalten. Ist sich die evangelische Kirche auch bewußt, was sie dem Vaterlande zu leisten hätte, wo ja doch keine staatliche Bevölkerungspolitik erreichen wird, was nur moralische Autorität erreichen kann? Den heutigen Einfluß des Katholizismus möchte Scheler nicht überschätzen. Er meint, seine politische Macht verdanke der Katholizismus mehr der allgemeinen Begabung unseres Volkes für Organisation und dem Rückgang der außer- katholischen Organisationen, als seiner eigenen Geisteskraft. Erst die stärkere Besinnung auf seinen spezifischen Geist müßte seine Kräfte genügend vertiefen. In der Taktik soll allerdings der Katholizismus nicht etwa unmodern werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/20>, abgerufen am 29.06.2024.