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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Abgeordnete Scheidemann
in seiner Rede vom 26. Juli nicht etwa die "Parlamentarisierung" im Reiche,
der er vielmehr kühl gegenüberzustehen erklärte, als eine Vorbedingung für die
Teilnahme der Sozialdemokratie an der Regierung hingestellt hat. Auch in
diesem Punkt hat Herr Dr. Michaelis im wesentlichen die Politik seines Vor¬
gängers übernommen. Der entlassene Kanzler hat keineswegs, wie das von
seinen Gegnern wohl behauptet worden ist, die Parlamentarisierung an sich
gewollt, sondern nur in dem Sinne einer engeren Fühlung zwischen Regierung
und Parlament und einer stärkeren Berücksichtigung von Parlamentariern bei
der Besetzung der höchsten Reichs- und Staatsämter. Genau in der gleichen
Richtung hat sich Michaelis schon in seiner ersten Reichstagsrede geäußert:
"Ich halte es für nützlich und notwendig, daß zwischen den großen Parteien
und der Regierung eine engere Fühlung herbeigeführt wird, und ich bin bereit,
soweit dies möglich ist. ohne den bundesstaatlichen Charakter und die kon¬
stitutionellen Grundlagen des Reiches zu schädigen, alles zu tun, was dieses
Zusammenarbeiten lebens- und wirkungsvoller machen kann. Ich halte es
auch für wünschenswert, daß das Vertrauensverhältnis zwischen dem Parlament
und der Regierung dadurch enger wird, daß Männer in leitende Stellen be¬
rufen werden, die neben ihrer persönlichen Eignung für die leitende Stellung
auch das volle Vertrauen der großen Parteien und der Volksvertretung genießen."

Wie die engere Fühlung zwischen der Regierung und den großen Parteien,
die Herr Dr. Michaelis nach dem Vorbild seines Vorgängers in Aussicht gestellt
hat. herbeigeführt werden soll, das ist. zur Enttäuschung eines Teils der Presse
in dem Revirement, das sich ganz ohne Mitwirkung des Reichstages wie des
Landtages abgespielt hat. noch nicht in Erscheinung getreten. Es schweben über
diesen Punkt noch Erwägungen, die dahin zu gehen scheinen, daß ein par-
lamentarischer Rat -- schon in den Tagen Herrn von Bethmann Hollwegs war
von der Einrichtung eines Reichsrates die Rede -- unter dem Vorsitz des
Reichskanzlers eingeführt werden solle, der auch während der parlaments-
sreien Zeit eine nähere Beteiligung der Parteien an den Regierungs-
Geschäften, so namentlich auch eine Mitwirkung bei Vorbereitung von
Gesetzentwürfen sichere. Die abweichende Haltung, die manche links¬
liberalen Blätter von vornherein gegen diese Pläne einnehmen, ist sicherlich nicht
gerechtfertigt; man sollte doch erst einmal abwarten, was dabei herauskommt.
scheint keineswegs ausgeschlossen, daß bei künftigen Ministerernennungen die
Mitwirkung dieses parlamentarischen Rates gesucht wird. Daß bei den jetzigen
Ministerernennungen eine vorherige Verständigung mit den Parlamenten nicht
stattgefunden hat. lag eigentlich doch in der Natur der Dinge. Hätte etwa
die Besetzung der höchsten Reichsämter nach vorheriger Fühlungnahme mit den
großen Parteien des Reichstages, der Ministerstellen in Preußen, unter Mit¬
wirkung der Mehrheitsparteien im Landtage erfolgen sollen? Dann wäre doch
^ne recht bunte Reihe zustande gekommen. Mir scheint, daß man in der tief


Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Abgeordnete Scheidemann
in seiner Rede vom 26. Juli nicht etwa die „Parlamentarisierung" im Reiche,
der er vielmehr kühl gegenüberzustehen erklärte, als eine Vorbedingung für die
Teilnahme der Sozialdemokratie an der Regierung hingestellt hat. Auch in
diesem Punkt hat Herr Dr. Michaelis im wesentlichen die Politik seines Vor¬
gängers übernommen. Der entlassene Kanzler hat keineswegs, wie das von
seinen Gegnern wohl behauptet worden ist, die Parlamentarisierung an sich
gewollt, sondern nur in dem Sinne einer engeren Fühlung zwischen Regierung
und Parlament und einer stärkeren Berücksichtigung von Parlamentariern bei
der Besetzung der höchsten Reichs- und Staatsämter. Genau in der gleichen
Richtung hat sich Michaelis schon in seiner ersten Reichstagsrede geäußert:
„Ich halte es für nützlich und notwendig, daß zwischen den großen Parteien
und der Regierung eine engere Fühlung herbeigeführt wird, und ich bin bereit,
soweit dies möglich ist. ohne den bundesstaatlichen Charakter und die kon¬
stitutionellen Grundlagen des Reiches zu schädigen, alles zu tun, was dieses
Zusammenarbeiten lebens- und wirkungsvoller machen kann. Ich halte es
auch für wünschenswert, daß das Vertrauensverhältnis zwischen dem Parlament
und der Regierung dadurch enger wird, daß Männer in leitende Stellen be¬
rufen werden, die neben ihrer persönlichen Eignung für die leitende Stellung
auch das volle Vertrauen der großen Parteien und der Volksvertretung genießen."

Wie die engere Fühlung zwischen der Regierung und den großen Parteien,
die Herr Dr. Michaelis nach dem Vorbild seines Vorgängers in Aussicht gestellt
hat. herbeigeführt werden soll, das ist. zur Enttäuschung eines Teils der Presse
in dem Revirement, das sich ganz ohne Mitwirkung des Reichstages wie des
Landtages abgespielt hat. noch nicht in Erscheinung getreten. Es schweben über
diesen Punkt noch Erwägungen, die dahin zu gehen scheinen, daß ein par-
lamentarischer Rat — schon in den Tagen Herrn von Bethmann Hollwegs war
von der Einrichtung eines Reichsrates die Rede — unter dem Vorsitz des
Reichskanzlers eingeführt werden solle, der auch während der parlaments-
sreien Zeit eine nähere Beteiligung der Parteien an den Regierungs-
Geschäften, so namentlich auch eine Mitwirkung bei Vorbereitung von
Gesetzentwürfen sichere. Die abweichende Haltung, die manche links¬
liberalen Blätter von vornherein gegen diese Pläne einnehmen, ist sicherlich nicht
gerechtfertigt; man sollte doch erst einmal abwarten, was dabei herauskommt.
scheint keineswegs ausgeschlossen, daß bei künftigen Ministerernennungen die
Mitwirkung dieses parlamentarischen Rates gesucht wird. Daß bei den jetzigen
Ministerernennungen eine vorherige Verständigung mit den Parlamenten nicht
stattgefunden hat. lag eigentlich doch in der Natur der Dinge. Hätte etwa
die Besetzung der höchsten Reichsämter nach vorheriger Fühlungnahme mit den
großen Parteien des Reichstages, der Ministerstellen in Preußen, unter Mit¬
wirkung der Mehrheitsparteien im Landtage erfolgen sollen? Dann wäre doch
^ne recht bunte Reihe zustande gekommen. Mir scheint, daß man in der tief


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[0209] Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Abgeordnete Scheidemann in seiner Rede vom 26. Juli nicht etwa die „Parlamentarisierung" im Reiche, der er vielmehr kühl gegenüberzustehen erklärte, als eine Vorbedingung für die Teilnahme der Sozialdemokratie an der Regierung hingestellt hat. Auch in diesem Punkt hat Herr Dr. Michaelis im wesentlichen die Politik seines Vor¬ gängers übernommen. Der entlassene Kanzler hat keineswegs, wie das von seinen Gegnern wohl behauptet worden ist, die Parlamentarisierung an sich gewollt, sondern nur in dem Sinne einer engeren Fühlung zwischen Regierung und Parlament und einer stärkeren Berücksichtigung von Parlamentariern bei der Besetzung der höchsten Reichs- und Staatsämter. Genau in der gleichen Richtung hat sich Michaelis schon in seiner ersten Reichstagsrede geäußert: „Ich halte es für nützlich und notwendig, daß zwischen den großen Parteien und der Regierung eine engere Fühlung herbeigeführt wird, und ich bin bereit, soweit dies möglich ist. ohne den bundesstaatlichen Charakter und die kon¬ stitutionellen Grundlagen des Reiches zu schädigen, alles zu tun, was dieses Zusammenarbeiten lebens- und wirkungsvoller machen kann. Ich halte es auch für wünschenswert, daß das Vertrauensverhältnis zwischen dem Parlament und der Regierung dadurch enger wird, daß Männer in leitende Stellen be¬ rufen werden, die neben ihrer persönlichen Eignung für die leitende Stellung auch das volle Vertrauen der großen Parteien und der Volksvertretung genießen." Wie die engere Fühlung zwischen der Regierung und den großen Parteien, die Herr Dr. Michaelis nach dem Vorbild seines Vorgängers in Aussicht gestellt hat. herbeigeführt werden soll, das ist. zur Enttäuschung eines Teils der Presse in dem Revirement, das sich ganz ohne Mitwirkung des Reichstages wie des Landtages abgespielt hat. noch nicht in Erscheinung getreten. Es schweben über diesen Punkt noch Erwägungen, die dahin zu gehen scheinen, daß ein par- lamentarischer Rat — schon in den Tagen Herrn von Bethmann Hollwegs war von der Einrichtung eines Reichsrates die Rede — unter dem Vorsitz des Reichskanzlers eingeführt werden solle, der auch während der parlaments- sreien Zeit eine nähere Beteiligung der Parteien an den Regierungs- Geschäften, so namentlich auch eine Mitwirkung bei Vorbereitung von Gesetzentwürfen sichere. Die abweichende Haltung, die manche links¬ liberalen Blätter von vornherein gegen diese Pläne einnehmen, ist sicherlich nicht gerechtfertigt; man sollte doch erst einmal abwarten, was dabei herauskommt. scheint keineswegs ausgeschlossen, daß bei künftigen Ministerernennungen die Mitwirkung dieses parlamentarischen Rates gesucht wird. Daß bei den jetzigen Ministerernennungen eine vorherige Verständigung mit den Parlamenten nicht stattgefunden hat. lag eigentlich doch in der Natur der Dinge. Hätte etwa die Besetzung der höchsten Reichsämter nach vorheriger Fühlungnahme mit den großen Parteien des Reichstages, der Ministerstellen in Preußen, unter Mit¬ wirkung der Mehrheitsparteien im Landtage erfolgen sollen? Dann wäre doch ^ne recht bunte Reihe zustande gekommen. Mir scheint, daß man in der tief

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/209>, abgerufen am 28.06.2024.