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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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DerBcgriff der historischen Wahrheit und die Schlacht ein derMarnc

punkt hat Stegemann im ersten Band seiner Geschichte des Weltkrieges den
deutschen Waffen die Ehre gegeben, die ihnen gebührte, und Prof. W. Kolbe
hat in einer kleinen Broschüre "Die Marneschlacht" es unternommen, mit Zu¬
grundelegung vor allem der feindlichen Berichte ein Bild der großen Schlacht
zu geben, das geeignet ist, jene französische Legende zu zerstören. Es sei ein¬
dringlich hingewiesen auf dieses wohlfeile und sehr klar geschriebene Buch;
denn es erfüllt eine vaterländische Pflicht, indem es eintritt für große
Taten, die in völlig falscher Beleuchtung immer mehr entstellt zu werden
drohen.

Es ist hier nicht der Raum und ist auch nicht die Absicht dieser Be¬
trachtung, eine ausführliche Darstellung der Marneschlacht zu geben. Nur einige
markante Tatsachen seien hervorgehoben, wie sie in Kothes Darstellung erscheinen.
Er rollt sein Gemälde der Schlacht von Westen nach Osten auf. Er beginnt
mit den Taten der ersten Armee, die unter Klucks Führung focht und
über deren Kämpfe der deutsche Heeresbericht vor zwei Jahren allein genaueres
meldete. Gewiß, von dieser Stelle der großen Schlacht ging die Nötigung zum
Rückzug zunächst aus, aber es springt in Kothes Darstellung auch überzeugend
heraus, daß Kluck unbesiegt, auf Befehl des Generalstabes, diesen Rückzug
antrat. Wie ein spannendes Drama liest sich die Schilderung dieser Kämpfe,
volle Anerkennung wird der kühnen und energischen Offensive, vor allem General
Galienis zuteil, aber daneben tritt doch in fast noch helleres Licht die geniale
Leitung des deutschen Armeeführers. In prachtvoller Klarheit tritt heraus, wie
einer den andern zu überflügeln wußte, bis der Deutsche unbesiegt, ja in vorteil¬
hafter Stellung, ungehindert vom Feind den Rückzug antrat. Es ist kein Zufall,
daß das ganze Werkchen Kothes gerade dem "Ruhme der ersten Armee" ge¬
widmet ist. Und mit Recht darf er sich auf einen Satz eines gewiß kompetenten
Mannes, des Generals Joffre selbst, berufen, der berichtet, daß die Deutschen
der Umzingelung entgangen seien "Lrüce ä la 8uns labile cke mouvements
straks^iqueZ an Zönöral von KlucK"!

Eine auch in Deutschland weitverbreitete falsche Annahme weist Kolbe
auf den folgenden Seiten seines Büchleins zurück, die nämlich, die zweite
und dritte Armee, d. h. die Bülows und Haufens seien "zu spät gekommen".
Er stellt diesem törichten Gerede gegenüber fest, daß gerade Bülow und Hausen
in den ersten Tagen der Marneschlacht Erfolge gehabt haben. Besonders die
heftigen Kämpfe, die sich um den Ort Mondemont entspannen, werden packend
geschildert. Gewiß gab es hier schwere Verluste, und doch kann der Historiker
auch von Bülow sagen, daß er unbesiegt den Befehl zum Rückzug gegeben
habe. Eine spezielle Legende wird dabei zerstört, die die Franzosen in besonders
blühenden Farben ausgemalt haben und die der beste Darsteller aus dem feind¬
lichen Lager, Madelin, selber als Legende abtut: die von den Kämpfen in
den Sümpfen von Se. Goud, wo angeblich achttausend bis zehntausend deutsche
Gardesoldaten umgekommen sein sollen.


DerBcgriff der historischen Wahrheit und die Schlacht ein derMarnc

punkt hat Stegemann im ersten Band seiner Geschichte des Weltkrieges den
deutschen Waffen die Ehre gegeben, die ihnen gebührte, und Prof. W. Kolbe
hat in einer kleinen Broschüre „Die Marneschlacht" es unternommen, mit Zu¬
grundelegung vor allem der feindlichen Berichte ein Bild der großen Schlacht
zu geben, das geeignet ist, jene französische Legende zu zerstören. Es sei ein¬
dringlich hingewiesen auf dieses wohlfeile und sehr klar geschriebene Buch;
denn es erfüllt eine vaterländische Pflicht, indem es eintritt für große
Taten, die in völlig falscher Beleuchtung immer mehr entstellt zu werden
drohen.

Es ist hier nicht der Raum und ist auch nicht die Absicht dieser Be¬
trachtung, eine ausführliche Darstellung der Marneschlacht zu geben. Nur einige
markante Tatsachen seien hervorgehoben, wie sie in Kothes Darstellung erscheinen.
Er rollt sein Gemälde der Schlacht von Westen nach Osten auf. Er beginnt
mit den Taten der ersten Armee, die unter Klucks Führung focht und
über deren Kämpfe der deutsche Heeresbericht vor zwei Jahren allein genaueres
meldete. Gewiß, von dieser Stelle der großen Schlacht ging die Nötigung zum
Rückzug zunächst aus, aber es springt in Kothes Darstellung auch überzeugend
heraus, daß Kluck unbesiegt, auf Befehl des Generalstabes, diesen Rückzug
antrat. Wie ein spannendes Drama liest sich die Schilderung dieser Kämpfe,
volle Anerkennung wird der kühnen und energischen Offensive, vor allem General
Galienis zuteil, aber daneben tritt doch in fast noch helleres Licht die geniale
Leitung des deutschen Armeeführers. In prachtvoller Klarheit tritt heraus, wie
einer den andern zu überflügeln wußte, bis der Deutsche unbesiegt, ja in vorteil¬
hafter Stellung, ungehindert vom Feind den Rückzug antrat. Es ist kein Zufall,
daß das ganze Werkchen Kothes gerade dem „Ruhme der ersten Armee" ge¬
widmet ist. Und mit Recht darf er sich auf einen Satz eines gewiß kompetenten
Mannes, des Generals Joffre selbst, berufen, der berichtet, daß die Deutschen
der Umzingelung entgangen seien „Lrüce ä la 8uns labile cke mouvements
straks^iqueZ an Zönöral von KlucK"!

Eine auch in Deutschland weitverbreitete falsche Annahme weist Kolbe
auf den folgenden Seiten seines Büchleins zurück, die nämlich, die zweite
und dritte Armee, d. h. die Bülows und Haufens seien „zu spät gekommen".
Er stellt diesem törichten Gerede gegenüber fest, daß gerade Bülow und Hausen
in den ersten Tagen der Marneschlacht Erfolge gehabt haben. Besonders die
heftigen Kämpfe, die sich um den Ort Mondemont entspannen, werden packend
geschildert. Gewiß gab es hier schwere Verluste, und doch kann der Historiker
auch von Bülow sagen, daß er unbesiegt den Befehl zum Rückzug gegeben
habe. Eine spezielle Legende wird dabei zerstört, die die Franzosen in besonders
blühenden Farben ausgemalt haben und die der beste Darsteller aus dem feind¬
lichen Lager, Madelin, selber als Legende abtut: die von den Kämpfen in
den Sümpfen von Se. Goud, wo angeblich achttausend bis zehntausend deutsche
Gardesoldaten umgekommen sein sollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/198>, abgerufen am 01.07.2024.