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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Grundsätzliches zum Thema "Gymnasium und Universität"

eine teilweise recht bedeutende Steigerung in anderen Fächern des Hochschulunter¬
richts gegenübersteht. Grundsätzlich verfehlt wäre es jedenfalls, das Rad der Zeit
aufhalten zu wollen: Aufgabe der nächsten Zukunft bleibt es, die widernatürliche
Kluft, die zwischen Hochschul- und höherem Schulunterricht sich auftut, nach Kräften
und mit redlichem Bemühen aller Beteiligten auszufüllen. "Die widernatürliche
Kluft" -- denn die Natur kennt weder Primaner noch erste Semester, sondern
junge Leute, deren geistig-sittliches Wachstum den Gesetzen allmählichen Reifens
folgt. Matura non kaeit saltus. Dieser pädagogisch luftleere Raum muß
einmal von der inhaltlichen Seite her in Angriff genommen'werden: man denke
an die vielfach eingerichteten Anfängerkurse für Lateinisch und Griechisch. Nur
ist nicht völlig zu begreifen, weswegen der zugrunde liegende Gedanke nicht
längst z. B. auf Englisch oder Chemie ausgedehnt worden ist.

Weiterhin erfordert ein gedeihliches Zusammenarbeiten von Hochschule und
höherer Schule einen nicht zu schroffen Wechsel zwischen der leider meist zu
wenig großzügigen Arbeit des Primaners und der unverhältnismäßigen Selb¬
ständigkeit, die wohl allgemein von dem jüngsten Studenten ohne weiteres
erwartet wird. Überaus wertvoll wäre es darum auch, wenn gerade auf der
Oberstufe der höheren Schulen die erprobten Grundgedanken der Arbeitsschule
recht ausgiebig verwirklicht würden. Recht eigentlich handelt es sich ja gar
nicht um eine wirkliche und vollständige Neuerung; denn zu den Zeiten, da
der heutige Massenunterricht bis in die Prima hinein ebenso unbekannt war
wie der lähmende Schematismus der Speziallehrpläne -- damals gab es in
Wirklichkeit schon eine "Arbeitsschule" edelsten Sinnes.

Und man vergesse nicht die große Erleichterung, die die Hochschullehrer
durch eine planmäßige Organisation namentlich des einführenden akademischen
Unterrichts dem Jünger der Wissenschaft und -- sich selbst schaffen könnten.
Wahrlich, hart im Raume stoßen sich diese gedanklich so nahe beieinanderliegenden
beiden Dinge: Organisation der wissenschaftlichen Forschung und Organisation
der wissenschaftlichen Lehre! Nicht als wenn beide miteinander unverträglich
wären, wie wohl gelegentlich behauptet wird; aber es müßte allgemeiner die
Tatsache gewürdigt werden, daß auf dem Felde des akademischen Unterrichts
bis heute noch fast durchgängig starker Raubbau mit den edelsten Geisteskräften
bei Lehrenden wie bei Lernenden getrieben wird. Immerhin sind wir wenigstens
seit einigen Jahren so weit, daß eine Reihe zum Teil recht namhafter Hoch¬
schullehrer die Notwendigkeit durchgreifender Reformen dieser Art rückhaltlos zugibt.
<Ich nenne nur von Liszt, Zitelmann, Bernheim, Ferd. I. Schmidt.) Es
sei dabei nicht verkannt, daß die Schwierigkeiten gerade für die philosophischen
Fakultäten nicht unerheblich scheinen; denn da ihnen ein gemeinsames Lehrziel
fehlt, wird ein allgemein anerkannter Lehrplan, selbst nicht in den gröbsten
Umrissen, immer und überall sich leicht einstellen wollen. Doch liegen seit
längeren Jahren Keime zu einer künftigen Entwicklung für einzelne Fächer¬
gruppen philosophischer Fakultäten vor. -- Es ist wohl nicht zuviel behauptet,


Grundsätzliches zum Thema „Gymnasium und Universität"

eine teilweise recht bedeutende Steigerung in anderen Fächern des Hochschulunter¬
richts gegenübersteht. Grundsätzlich verfehlt wäre es jedenfalls, das Rad der Zeit
aufhalten zu wollen: Aufgabe der nächsten Zukunft bleibt es, die widernatürliche
Kluft, die zwischen Hochschul- und höherem Schulunterricht sich auftut, nach Kräften
und mit redlichem Bemühen aller Beteiligten auszufüllen. „Die widernatürliche
Kluft" — denn die Natur kennt weder Primaner noch erste Semester, sondern
junge Leute, deren geistig-sittliches Wachstum den Gesetzen allmählichen Reifens
folgt. Matura non kaeit saltus. Dieser pädagogisch luftleere Raum muß
einmal von der inhaltlichen Seite her in Angriff genommen'werden: man denke
an die vielfach eingerichteten Anfängerkurse für Lateinisch und Griechisch. Nur
ist nicht völlig zu begreifen, weswegen der zugrunde liegende Gedanke nicht
längst z. B. auf Englisch oder Chemie ausgedehnt worden ist.

Weiterhin erfordert ein gedeihliches Zusammenarbeiten von Hochschule und
höherer Schule einen nicht zu schroffen Wechsel zwischen der leider meist zu
wenig großzügigen Arbeit des Primaners und der unverhältnismäßigen Selb¬
ständigkeit, die wohl allgemein von dem jüngsten Studenten ohne weiteres
erwartet wird. Überaus wertvoll wäre es darum auch, wenn gerade auf der
Oberstufe der höheren Schulen die erprobten Grundgedanken der Arbeitsschule
recht ausgiebig verwirklicht würden. Recht eigentlich handelt es sich ja gar
nicht um eine wirkliche und vollständige Neuerung; denn zu den Zeiten, da
der heutige Massenunterricht bis in die Prima hinein ebenso unbekannt war
wie der lähmende Schematismus der Speziallehrpläne — damals gab es in
Wirklichkeit schon eine „Arbeitsschule" edelsten Sinnes.

Und man vergesse nicht die große Erleichterung, die die Hochschullehrer
durch eine planmäßige Organisation namentlich des einführenden akademischen
Unterrichts dem Jünger der Wissenschaft und — sich selbst schaffen könnten.
Wahrlich, hart im Raume stoßen sich diese gedanklich so nahe beieinanderliegenden
beiden Dinge: Organisation der wissenschaftlichen Forschung und Organisation
der wissenschaftlichen Lehre! Nicht als wenn beide miteinander unverträglich
wären, wie wohl gelegentlich behauptet wird; aber es müßte allgemeiner die
Tatsache gewürdigt werden, daß auf dem Felde des akademischen Unterrichts
bis heute noch fast durchgängig starker Raubbau mit den edelsten Geisteskräften
bei Lehrenden wie bei Lernenden getrieben wird. Immerhin sind wir wenigstens
seit einigen Jahren so weit, daß eine Reihe zum Teil recht namhafter Hoch¬
schullehrer die Notwendigkeit durchgreifender Reformen dieser Art rückhaltlos zugibt.
<Ich nenne nur von Liszt, Zitelmann, Bernheim, Ferd. I. Schmidt.) Es
sei dabei nicht verkannt, daß die Schwierigkeiten gerade für die philosophischen
Fakultäten nicht unerheblich scheinen; denn da ihnen ein gemeinsames Lehrziel
fehlt, wird ein allgemein anerkannter Lehrplan, selbst nicht in den gröbsten
Umrissen, immer und überall sich leicht einstellen wollen. Doch liegen seit
längeren Jahren Keime zu einer künftigen Entwicklung für einzelne Fächer¬
gruppen philosophischer Fakultäten vor. — Es ist wohl nicht zuviel behauptet,


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[0186] Grundsätzliches zum Thema „Gymnasium und Universität" eine teilweise recht bedeutende Steigerung in anderen Fächern des Hochschulunter¬ richts gegenübersteht. Grundsätzlich verfehlt wäre es jedenfalls, das Rad der Zeit aufhalten zu wollen: Aufgabe der nächsten Zukunft bleibt es, die widernatürliche Kluft, die zwischen Hochschul- und höherem Schulunterricht sich auftut, nach Kräften und mit redlichem Bemühen aller Beteiligten auszufüllen. „Die widernatürliche Kluft" — denn die Natur kennt weder Primaner noch erste Semester, sondern junge Leute, deren geistig-sittliches Wachstum den Gesetzen allmählichen Reifens folgt. Matura non kaeit saltus. Dieser pädagogisch luftleere Raum muß einmal von der inhaltlichen Seite her in Angriff genommen'werden: man denke an die vielfach eingerichteten Anfängerkurse für Lateinisch und Griechisch. Nur ist nicht völlig zu begreifen, weswegen der zugrunde liegende Gedanke nicht längst z. B. auf Englisch oder Chemie ausgedehnt worden ist. Weiterhin erfordert ein gedeihliches Zusammenarbeiten von Hochschule und höherer Schule einen nicht zu schroffen Wechsel zwischen der leider meist zu wenig großzügigen Arbeit des Primaners und der unverhältnismäßigen Selb¬ ständigkeit, die wohl allgemein von dem jüngsten Studenten ohne weiteres erwartet wird. Überaus wertvoll wäre es darum auch, wenn gerade auf der Oberstufe der höheren Schulen die erprobten Grundgedanken der Arbeitsschule recht ausgiebig verwirklicht würden. Recht eigentlich handelt es sich ja gar nicht um eine wirkliche und vollständige Neuerung; denn zu den Zeiten, da der heutige Massenunterricht bis in die Prima hinein ebenso unbekannt war wie der lähmende Schematismus der Speziallehrpläne — damals gab es in Wirklichkeit schon eine „Arbeitsschule" edelsten Sinnes. Und man vergesse nicht die große Erleichterung, die die Hochschullehrer durch eine planmäßige Organisation namentlich des einführenden akademischen Unterrichts dem Jünger der Wissenschaft und — sich selbst schaffen könnten. Wahrlich, hart im Raume stoßen sich diese gedanklich so nahe beieinanderliegenden beiden Dinge: Organisation der wissenschaftlichen Forschung und Organisation der wissenschaftlichen Lehre! Nicht als wenn beide miteinander unverträglich wären, wie wohl gelegentlich behauptet wird; aber es müßte allgemeiner die Tatsache gewürdigt werden, daß auf dem Felde des akademischen Unterrichts bis heute noch fast durchgängig starker Raubbau mit den edelsten Geisteskräften bei Lehrenden wie bei Lernenden getrieben wird. Immerhin sind wir wenigstens seit einigen Jahren so weit, daß eine Reihe zum Teil recht namhafter Hoch¬ schullehrer die Notwendigkeit durchgreifender Reformen dieser Art rückhaltlos zugibt. <Ich nenne nur von Liszt, Zitelmann, Bernheim, Ferd. I. Schmidt.) Es sei dabei nicht verkannt, daß die Schwierigkeiten gerade für die philosophischen Fakultäten nicht unerheblich scheinen; denn da ihnen ein gemeinsames Lehrziel fehlt, wird ein allgemein anerkannter Lehrplan, selbst nicht in den gröbsten Umrissen, immer und überall sich leicht einstellen wollen. Doch liegen seit längeren Jahren Keime zu einer künftigen Entwicklung für einzelne Fächer¬ gruppen philosophischer Fakultäten vor. — Es ist wohl nicht zuviel behauptet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/186>, abgerufen am 01.07.2024.