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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Zustände in Polen

Ostmarkenpolitik nach Warschau zu bitten, ihm Gelegenheit zu geben, sich die Dinge
an Ort und Stelle anzusehen und darüber zu schreiben: Wilhelm von Massow!

In Heft 28 der Zeitschrift "Deutsche Politik" entledigt sich Massow seiner
Aufgabe in einem Artikel, dessen Überschrift für meine Ausführungen über¬
nommen ist: Die Zustände in Polen.

Herr von Massow entledigt sich seiner Aufgabe mit dem Bemühen,
alle politischen Gründe, die die Haltung der Warschauer Regierung erklären
könnten, herbeizuziehen und deckt sich nur unvollkommen gegen alle mög¬
licherweise an ihn herantretende Fragen mit dem Hinweis: "Ich glaube
darin, soweit ich an Ort und Stelle beobachten und mit den verant¬
wortlichen Persönlichkeiten in Verbindung treten konnte, auch die Auffassung
unserer Verwaltung in Polen zu erkennen" (S. 896). Die mit diesem
Satze geschaffene Deckung wird nun leider durch das unscheinbare Wörtchen
"auch" wieder beseitigt. Herr von Massow scheint danach doch in erster Linie
seine eigene Ansicht vorzutragen. Nun ist Wilhelm von Massow nicht der erste
beste Skribent; er ist ein Mann, der viele Jahre im Studium der östlichen
Probleme zugebracht hat, ein Publizist, der zur Zeit des Enteignungsgesetzes
Bülows Bannerträger im Kampf gegen das Polentum war und schließlich eine
ernste Persönlichkeit, an deren gediegenen Veröffentlichungen, vor allem an deren
Hauptwerk zur Polenfrage "Die Polennot im deutschen Osten", sich eine
Generation von Ostmarkenpolitikern herangebildet hat. Dies alles zwingt,
gegen seine Ausführungen Stellung zu nehmen, wenn es auch dem hochgeschätzten
Mitarbeiter gegenüber sehr schwer fällt.

Massow setzt sich von vornherein ins Unrecht, indem er mit einer Polemik
gegen die Kritiker des Warschauer Polenkurses beginnt, deren "Stimmungs¬
ausbrüche . .." "mehr Schaden stiften" als nutzen sollen (S. 889). "Wüßte
man nicht aus unzähligen Erfahrungen, wie unbekannt Polen den meisten
unserer Landsleute ist, so müßte man vor allem darüber erstaunt sein, was
für merkwürdige Erwartungen an die Entwicklung der Dinge in Polen geknüpft
worden sind." Es wird also so dargestellt, als wenn anfänglich das der Polen¬
politik zugrunde gelegte Prinzip allseitig anerkannt worden wäre, daß aber die
Kritiker die Nerven verloren hätten und ungeduldig geworden wären, nachdem
sie bemerkten, daß es doch nicht so schnell gehe wie sie "gehofft" hätten. JH
habe Gelegenheit gehabt, gerade 1914 und 1916 die Wirkungen der neuen
Polenpolitik im Inlande sehr genau zu verfolgen und kann nnr bestätigen,
daß "merkwürdige Erwartungen an die Entwicklung der Dinge in Polen"
nur von zwei Personen, die ich glaube unter den Hauptgewährsmännern
der Massowschen Ausführungen zu erkennen, geknüpft worden sind. Die
gesamten nationalen Kreise, die Offiziere und Beamten der Verwaltung sind
seinerzeit mit einem tiefen -- ich sage ausdrücklich unberechtigten -- Pessi"
mismus und in dem Bewußtsein ans Werk gegangen, zu einer nie zum
Ziele führenden Sisyphusarbeit berufen zu jseinl Erst die großen politische"


Die Zustände in Polen

Ostmarkenpolitik nach Warschau zu bitten, ihm Gelegenheit zu geben, sich die Dinge
an Ort und Stelle anzusehen und darüber zu schreiben: Wilhelm von Massow!

In Heft 28 der Zeitschrift „Deutsche Politik" entledigt sich Massow seiner
Aufgabe in einem Artikel, dessen Überschrift für meine Ausführungen über¬
nommen ist: Die Zustände in Polen.

Herr von Massow entledigt sich seiner Aufgabe mit dem Bemühen,
alle politischen Gründe, die die Haltung der Warschauer Regierung erklären
könnten, herbeizuziehen und deckt sich nur unvollkommen gegen alle mög¬
licherweise an ihn herantretende Fragen mit dem Hinweis: „Ich glaube
darin, soweit ich an Ort und Stelle beobachten und mit den verant¬
wortlichen Persönlichkeiten in Verbindung treten konnte, auch die Auffassung
unserer Verwaltung in Polen zu erkennen" (S. 896). Die mit diesem
Satze geschaffene Deckung wird nun leider durch das unscheinbare Wörtchen
„auch" wieder beseitigt. Herr von Massow scheint danach doch in erster Linie
seine eigene Ansicht vorzutragen. Nun ist Wilhelm von Massow nicht der erste
beste Skribent; er ist ein Mann, der viele Jahre im Studium der östlichen
Probleme zugebracht hat, ein Publizist, der zur Zeit des Enteignungsgesetzes
Bülows Bannerträger im Kampf gegen das Polentum war und schließlich eine
ernste Persönlichkeit, an deren gediegenen Veröffentlichungen, vor allem an deren
Hauptwerk zur Polenfrage „Die Polennot im deutschen Osten", sich eine
Generation von Ostmarkenpolitikern herangebildet hat. Dies alles zwingt,
gegen seine Ausführungen Stellung zu nehmen, wenn es auch dem hochgeschätzten
Mitarbeiter gegenüber sehr schwer fällt.

Massow setzt sich von vornherein ins Unrecht, indem er mit einer Polemik
gegen die Kritiker des Warschauer Polenkurses beginnt, deren „Stimmungs¬
ausbrüche . .." „mehr Schaden stiften" als nutzen sollen (S. 889). „Wüßte
man nicht aus unzähligen Erfahrungen, wie unbekannt Polen den meisten
unserer Landsleute ist, so müßte man vor allem darüber erstaunt sein, was
für merkwürdige Erwartungen an die Entwicklung der Dinge in Polen geknüpft
worden sind." Es wird also so dargestellt, als wenn anfänglich das der Polen¬
politik zugrunde gelegte Prinzip allseitig anerkannt worden wäre, daß aber die
Kritiker die Nerven verloren hätten und ungeduldig geworden wären, nachdem
sie bemerkten, daß es doch nicht so schnell gehe wie sie „gehofft" hätten. JH
habe Gelegenheit gehabt, gerade 1914 und 1916 die Wirkungen der neuen
Polenpolitik im Inlande sehr genau zu verfolgen und kann nnr bestätigen,
daß „merkwürdige Erwartungen an die Entwicklung der Dinge in Polen"
nur von zwei Personen, die ich glaube unter den Hauptgewährsmännern
der Massowschen Ausführungen zu erkennen, geknüpft worden sind. Die
gesamten nationalen Kreise, die Offiziere und Beamten der Verwaltung sind
seinerzeit mit einem tiefen — ich sage ausdrücklich unberechtigten — Pessi"
mismus und in dem Bewußtsein ans Werk gegangen, zu einer nie zum
Ziele führenden Sisyphusarbeit berufen zu jseinl Erst die großen politische«


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[0178] Die Zustände in Polen Ostmarkenpolitik nach Warschau zu bitten, ihm Gelegenheit zu geben, sich die Dinge an Ort und Stelle anzusehen und darüber zu schreiben: Wilhelm von Massow! In Heft 28 der Zeitschrift „Deutsche Politik" entledigt sich Massow seiner Aufgabe in einem Artikel, dessen Überschrift für meine Ausführungen über¬ nommen ist: Die Zustände in Polen. Herr von Massow entledigt sich seiner Aufgabe mit dem Bemühen, alle politischen Gründe, die die Haltung der Warschauer Regierung erklären könnten, herbeizuziehen und deckt sich nur unvollkommen gegen alle mög¬ licherweise an ihn herantretende Fragen mit dem Hinweis: „Ich glaube darin, soweit ich an Ort und Stelle beobachten und mit den verant¬ wortlichen Persönlichkeiten in Verbindung treten konnte, auch die Auffassung unserer Verwaltung in Polen zu erkennen" (S. 896). Die mit diesem Satze geschaffene Deckung wird nun leider durch das unscheinbare Wörtchen „auch" wieder beseitigt. Herr von Massow scheint danach doch in erster Linie seine eigene Ansicht vorzutragen. Nun ist Wilhelm von Massow nicht der erste beste Skribent; er ist ein Mann, der viele Jahre im Studium der östlichen Probleme zugebracht hat, ein Publizist, der zur Zeit des Enteignungsgesetzes Bülows Bannerträger im Kampf gegen das Polentum war und schließlich eine ernste Persönlichkeit, an deren gediegenen Veröffentlichungen, vor allem an deren Hauptwerk zur Polenfrage „Die Polennot im deutschen Osten", sich eine Generation von Ostmarkenpolitikern herangebildet hat. Dies alles zwingt, gegen seine Ausführungen Stellung zu nehmen, wenn es auch dem hochgeschätzten Mitarbeiter gegenüber sehr schwer fällt. Massow setzt sich von vornherein ins Unrecht, indem er mit einer Polemik gegen die Kritiker des Warschauer Polenkurses beginnt, deren „Stimmungs¬ ausbrüche . .." „mehr Schaden stiften" als nutzen sollen (S. 889). „Wüßte man nicht aus unzähligen Erfahrungen, wie unbekannt Polen den meisten unserer Landsleute ist, so müßte man vor allem darüber erstaunt sein, was für merkwürdige Erwartungen an die Entwicklung der Dinge in Polen geknüpft worden sind." Es wird also so dargestellt, als wenn anfänglich das der Polen¬ politik zugrunde gelegte Prinzip allseitig anerkannt worden wäre, daß aber die Kritiker die Nerven verloren hätten und ungeduldig geworden wären, nachdem sie bemerkten, daß es doch nicht so schnell gehe wie sie „gehofft" hätten. JH habe Gelegenheit gehabt, gerade 1914 und 1916 die Wirkungen der neuen Polenpolitik im Inlande sehr genau zu verfolgen und kann nnr bestätigen, daß „merkwürdige Erwartungen an die Entwicklung der Dinge in Polen" nur von zwei Personen, die ich glaube unter den Hauptgewährsmännern der Massowschen Ausführungen zu erkennen, geknüpft worden sind. Die gesamten nationalen Kreise, die Offiziere und Beamten der Verwaltung sind seinerzeit mit einem tiefen — ich sage ausdrücklich unberechtigten — Pessi" mismus und in dem Bewußtsein ans Werk gegangen, zu einer nie zum Ziele führenden Sisyphusarbeit berufen zu jseinl Erst die großen politische«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/178>, abgerufen am 01.07.2024.