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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die Zustände in Polen
von Georg Lleinow

s gehört zu den Kunstgriffen deutscher Verwaltungspolitik, daß
sich die Regierungsbehörden von Zeit zu Zeit öffentlich durch
Presse und Stammtischtelegramme ihr Wohlverhalten und ihre
Weisheit ebenso wie die Sicherheit, mit der sie das Steuer
führen, bescheinigen lassen. In einem Augenblick, wo die sach¬
liche Kritik schon anfängt die innere Sicherheit und das Selbstvertrauen der
fraglichen Behörde zu erschüttern, treten Herren der Presse auf den Plan,
unter ihnen wohl auch hier und da ein "Sachverständiger", von dem der
Öffentlichkeit nur das eine nicht bekannt ist, daß er für die lobend zu be¬
sprechenden Regierungsmaßnahmen als Berater mit verantwortlich ist, und --
w den Blättern erscheinen Spalten über Spalten, gefüllt von dem Lobe über
die Verwaltung. Ist es derart geglückt, eine für die behördlichen Argumente
empfängliche Stimmung zu erzielen, dann werden Abgeordnete gebeten, die
Nichtigkeit des Vernommenen zu bestätigen. Zwischendurch erscheint wohl auch
ein "Spezialist" irgendeines volkswirtschaftlichen Gebietes, der mit freudigem
Erstaunen feststellt, daß an irgendeiner politisch unbedeutenden Ecke nach seinen
Rezepten verfahren wird; es ist nur menschlich, wenn er nun von seinem
Steckenpferde aus in der Runde nur eitel Klugheit und Gelingen entdeckt. In
seinem Fachorgan erläutert er alsdann sachlich die gelungene Anwendung seiner
Forschungsergebnisse und, da er gerade beim Schreiben ist, liefert er der Tages-
Presse je nach Stimmung und schriftstellerischen Können: "Blumen vom Wege"
oder "Meine Erfahrungen in. . ." oder ganz bescheidene "Reiseeindrücke".
Welcher Unfug gerade mit diesen Plaudereien berühmter Spezialisten durch die
Verwaltungsbehörden nach innen und außen, nach oben und unten getrieben
wird und wie gerade durch sie der Einfluß der Presse zum Schaden des Ganzen
herabgesetzt wird, das brauche ich kaum auszuführen.

Im Generalgouvernement Warschau scheint man, nachdem dort seit einem Jahr
alles, was die deutsche Presse über die Polensrage hätte verwirren können, versucht
worden ist, doch mit dem Erfolge der Pressepolitik nicht recht zufrieden zu sein. Sei es,
daß die Macht der Tatsachen eine zu beredte Sprache spricht, sei es, daß die
Pressebeeinflussung von ungeschickten Regisseuren besorgt wurde -- von der
Batteriestellung in Flandern aus läßt sich so etwas schwer übersehen --, genug,
auf irgendeine Weise ist es gelungen, auch einen der besten deutschen Kenner der




Die Zustände in Polen
von Georg Lleinow

s gehört zu den Kunstgriffen deutscher Verwaltungspolitik, daß
sich die Regierungsbehörden von Zeit zu Zeit öffentlich durch
Presse und Stammtischtelegramme ihr Wohlverhalten und ihre
Weisheit ebenso wie die Sicherheit, mit der sie das Steuer
führen, bescheinigen lassen. In einem Augenblick, wo die sach¬
liche Kritik schon anfängt die innere Sicherheit und das Selbstvertrauen der
fraglichen Behörde zu erschüttern, treten Herren der Presse auf den Plan,
unter ihnen wohl auch hier und da ein „Sachverständiger", von dem der
Öffentlichkeit nur das eine nicht bekannt ist, daß er für die lobend zu be¬
sprechenden Regierungsmaßnahmen als Berater mit verantwortlich ist, und —
w den Blättern erscheinen Spalten über Spalten, gefüllt von dem Lobe über
die Verwaltung. Ist es derart geglückt, eine für die behördlichen Argumente
empfängliche Stimmung zu erzielen, dann werden Abgeordnete gebeten, die
Nichtigkeit des Vernommenen zu bestätigen. Zwischendurch erscheint wohl auch
ein „Spezialist" irgendeines volkswirtschaftlichen Gebietes, der mit freudigem
Erstaunen feststellt, daß an irgendeiner politisch unbedeutenden Ecke nach seinen
Rezepten verfahren wird; es ist nur menschlich, wenn er nun von seinem
Steckenpferde aus in der Runde nur eitel Klugheit und Gelingen entdeckt. In
seinem Fachorgan erläutert er alsdann sachlich die gelungene Anwendung seiner
Forschungsergebnisse und, da er gerade beim Schreiben ist, liefert er der Tages-
Presse je nach Stimmung und schriftstellerischen Können: „Blumen vom Wege"
oder „Meine Erfahrungen in. . ." oder ganz bescheidene „Reiseeindrücke".
Welcher Unfug gerade mit diesen Plaudereien berühmter Spezialisten durch die
Verwaltungsbehörden nach innen und außen, nach oben und unten getrieben
wird und wie gerade durch sie der Einfluß der Presse zum Schaden des Ganzen
herabgesetzt wird, das brauche ich kaum auszuführen.

Im Generalgouvernement Warschau scheint man, nachdem dort seit einem Jahr
alles, was die deutsche Presse über die Polensrage hätte verwirren können, versucht
worden ist, doch mit dem Erfolge der Pressepolitik nicht recht zufrieden zu sein. Sei es,
daß die Macht der Tatsachen eine zu beredte Sprache spricht, sei es, daß die
Pressebeeinflussung von ungeschickten Regisseuren besorgt wurde — von der
Batteriestellung in Flandern aus läßt sich so etwas schwer übersehen —, genug,
auf irgendeine Weise ist es gelungen, auch einen der besten deutschen Kenner der


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[0177] [Abbildung] Die Zustände in Polen von Georg Lleinow s gehört zu den Kunstgriffen deutscher Verwaltungspolitik, daß sich die Regierungsbehörden von Zeit zu Zeit öffentlich durch Presse und Stammtischtelegramme ihr Wohlverhalten und ihre Weisheit ebenso wie die Sicherheit, mit der sie das Steuer führen, bescheinigen lassen. In einem Augenblick, wo die sach¬ liche Kritik schon anfängt die innere Sicherheit und das Selbstvertrauen der fraglichen Behörde zu erschüttern, treten Herren der Presse auf den Plan, unter ihnen wohl auch hier und da ein „Sachverständiger", von dem der Öffentlichkeit nur das eine nicht bekannt ist, daß er für die lobend zu be¬ sprechenden Regierungsmaßnahmen als Berater mit verantwortlich ist, und — w den Blättern erscheinen Spalten über Spalten, gefüllt von dem Lobe über die Verwaltung. Ist es derart geglückt, eine für die behördlichen Argumente empfängliche Stimmung zu erzielen, dann werden Abgeordnete gebeten, die Nichtigkeit des Vernommenen zu bestätigen. Zwischendurch erscheint wohl auch ein „Spezialist" irgendeines volkswirtschaftlichen Gebietes, der mit freudigem Erstaunen feststellt, daß an irgendeiner politisch unbedeutenden Ecke nach seinen Rezepten verfahren wird; es ist nur menschlich, wenn er nun von seinem Steckenpferde aus in der Runde nur eitel Klugheit und Gelingen entdeckt. In seinem Fachorgan erläutert er alsdann sachlich die gelungene Anwendung seiner Forschungsergebnisse und, da er gerade beim Schreiben ist, liefert er der Tages- Presse je nach Stimmung und schriftstellerischen Können: „Blumen vom Wege" oder „Meine Erfahrungen in. . ." oder ganz bescheidene „Reiseeindrücke". Welcher Unfug gerade mit diesen Plaudereien berühmter Spezialisten durch die Verwaltungsbehörden nach innen und außen, nach oben und unten getrieben wird und wie gerade durch sie der Einfluß der Presse zum Schaden des Ganzen herabgesetzt wird, das brauche ich kaum auszuführen. Im Generalgouvernement Warschau scheint man, nachdem dort seit einem Jahr alles, was die deutsche Presse über die Polensrage hätte verwirren können, versucht worden ist, doch mit dem Erfolge der Pressepolitik nicht recht zufrieden zu sein. Sei es, daß die Macht der Tatsachen eine zu beredte Sprache spricht, sei es, daß die Pressebeeinflussung von ungeschickten Regisseuren besorgt wurde — von der Batteriestellung in Flandern aus läßt sich so etwas schwer übersehen —, genug, auf irgendeine Weise ist es gelungen, auch einen der besten deutschen Kenner der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/177>, abgerufen am 01.07.2024.