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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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frieden sichern könnten. Wer Augen hat zu sehen, der hat gesehen, daß Not
und Haß stärker sind als völkerrechtlich gesinnter guter'Wille, selbst wenn man
dessen Vorhandensein hier und da.annehmen wollte. Auch das internationale
Privatrecht gilt nichts vor den eisenstirnigen Leidenschaften des Wirtschafts¬
krieges. Die Wissenschaft, die Kunst sind häufig, die Presse ist überall ohne
Bedenken in die Arena des nationalen Kampfes eingetreten*). Torheit war
der Glaube an die völkerverbindende Macht der Demokratie. Nur schärfer
sind die nationalen Gegensätze geworden, je demokratischer die Völker wurden.
Die sozialistische Demokratie ist auch ihrem Wesen nach, was sie historisch ist:
der Schalten des Kapitalismus. Darum macht sie auch dessen Nationalisierung
nach. Wie das Kapital einst sich seiner angeblich völkerbefreienden, frieden-
stiftenden Aufgabe rühmte, heute sich aber längst in den Dienst der nationalen
Interessenpolitik hat einordnen lassen, ja deren Seele geworden ist, so wird
auch die sozialistische Demokratie überall, wo sie ans Ruder kommt, bald die
Stütze des Nationalismus. Eine Bewegung, die aus ökonomischem Klassen¬
egoismus geboren ist, muß ja, sobald sie anfängt im Staate Einfluß zu er¬
langen, rationalistisch werden und immer rationalistischer, je mehr das Staats¬
interesse ihr eigenes wir?. In nicht allzu ferner Zeit, vermutet Scheler,
werden die Arbeiterklassen einmal das eigentliche nationalistische Bollwerk
werden. Wenn wir an die Rassenintoleranz denken, die die Arbeiterbewegung
z. B. in Australien oder Kalifornien angenommen hat, dann erscheint eine
solche Entwicklung nicht unwahrscheinlich. Aber auch abgesehen von dem
Klassenegoismus, der sich hinter dem demokratischen Prinzip versteckt, hat schon
dieses selber in Westeuropa eine tiefinnere Feindseligkeit gegen deutsches Wesen
geerbt, die es ganz und gar nicht zum Friedensstifter geeignet macht. Scheler
betont die Tatsachen, auf die auch ich schon öfter in den "Grenzboten" hin¬
gewiesen habe, daß in den westeuropäischen Staaten meist weniger die konser¬
vativen Kreise das Feuer gegen uns schürten als vielmehr die Demokratie, die
Testamentsvollstreckerin der Jakobiner. Auch in Rußland war der Zarismus
weit weniger gefährlich als die panslawistische Demagogie. Nach alledem
dürfen wir auch von den weiteren Fortschritten der Demokratisierung und
Sozialisierung der europäischen Staaten keineswegs eine Milderung der nationalen
Gegensätze erwarten. Ebensowenig von weiteren Fortschritten der Wissenschaft
und ihrer Technik. Dieselbe Wissenschaft, meint Scheler, die keine religiösen
"Boraussetzungen" mehr gelten lassen wollte, hat jetzt gezeigt, daß sie unbewußt
nationale Voraussetzungen macht und ihre Freiheit von der religiösen Autorität
mit einer fortschreitenden Abhängigkeit vom Staat und den ökonomischen
Machthabern bezahlt. Es steht jedenfalls fest, daß diese Abhängigkeiten nicht
mehr überall belanglos sind.



*) über die Presse vergleiche in dieser Beziehung besonders Karl Bücher: Die deutsche
Tagespresse und die Kritik. Tübingen, Mohr, 1917.
Kräfte von innen

frieden sichern könnten. Wer Augen hat zu sehen, der hat gesehen, daß Not
und Haß stärker sind als völkerrechtlich gesinnter guter'Wille, selbst wenn man
dessen Vorhandensein hier und da.annehmen wollte. Auch das internationale
Privatrecht gilt nichts vor den eisenstirnigen Leidenschaften des Wirtschafts¬
krieges. Die Wissenschaft, die Kunst sind häufig, die Presse ist überall ohne
Bedenken in die Arena des nationalen Kampfes eingetreten*). Torheit war
der Glaube an die völkerverbindende Macht der Demokratie. Nur schärfer
sind die nationalen Gegensätze geworden, je demokratischer die Völker wurden.
Die sozialistische Demokratie ist auch ihrem Wesen nach, was sie historisch ist:
der Schalten des Kapitalismus. Darum macht sie auch dessen Nationalisierung
nach. Wie das Kapital einst sich seiner angeblich völkerbefreienden, frieden-
stiftenden Aufgabe rühmte, heute sich aber längst in den Dienst der nationalen
Interessenpolitik hat einordnen lassen, ja deren Seele geworden ist, so wird
auch die sozialistische Demokratie überall, wo sie ans Ruder kommt, bald die
Stütze des Nationalismus. Eine Bewegung, die aus ökonomischem Klassen¬
egoismus geboren ist, muß ja, sobald sie anfängt im Staate Einfluß zu er¬
langen, rationalistisch werden und immer rationalistischer, je mehr das Staats¬
interesse ihr eigenes wir?. In nicht allzu ferner Zeit, vermutet Scheler,
werden die Arbeiterklassen einmal das eigentliche nationalistische Bollwerk
werden. Wenn wir an die Rassenintoleranz denken, die die Arbeiterbewegung
z. B. in Australien oder Kalifornien angenommen hat, dann erscheint eine
solche Entwicklung nicht unwahrscheinlich. Aber auch abgesehen von dem
Klassenegoismus, der sich hinter dem demokratischen Prinzip versteckt, hat schon
dieses selber in Westeuropa eine tiefinnere Feindseligkeit gegen deutsches Wesen
geerbt, die es ganz und gar nicht zum Friedensstifter geeignet macht. Scheler
betont die Tatsachen, auf die auch ich schon öfter in den „Grenzboten" hin¬
gewiesen habe, daß in den westeuropäischen Staaten meist weniger die konser¬
vativen Kreise das Feuer gegen uns schürten als vielmehr die Demokratie, die
Testamentsvollstreckerin der Jakobiner. Auch in Rußland war der Zarismus
weit weniger gefährlich als die panslawistische Demagogie. Nach alledem
dürfen wir auch von den weiteren Fortschritten der Demokratisierung und
Sozialisierung der europäischen Staaten keineswegs eine Milderung der nationalen
Gegensätze erwarten. Ebensowenig von weiteren Fortschritten der Wissenschaft
und ihrer Technik. Dieselbe Wissenschaft, meint Scheler, die keine religiösen
„Boraussetzungen" mehr gelten lassen wollte, hat jetzt gezeigt, daß sie unbewußt
nationale Voraussetzungen macht und ihre Freiheit von der religiösen Autorität
mit einer fortschreitenden Abhängigkeit vom Staat und den ökonomischen
Machthabern bezahlt. Es steht jedenfalls fest, daß diese Abhängigkeiten nicht
mehr überall belanglos sind.



*) über die Presse vergleiche in dieser Beziehung besonders Karl Bücher: Die deutsche
Tagespresse und die Kritik. Tübingen, Mohr, 1917.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/17>, abgerufen am 29.06.2024.