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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Uräfte von innen

den Sinn für das Universale am deutschen Geiste hervor. Kein nationales
Geistesleben Europas ist so wenig national beschränkt, ist so aufnahmefähig für
das Allgemein-Menschliche wie das deutsche. Dieser allumfassende Zug im
deutschen Wesen ist im eigentlichen Sinne "katholisch". Darum ist kein Volkstum
innerlich so wohl vorbereitet für das katholische Christentum, wie gerade das
deutsche. So bedauerlich die Glaubensspaltung auch sei. schließt Lippert, so sei
es doch gewiß ein Segen für die Menschheit, wenn es gelungen sei, wenigstens
einen Teil des deutschen Volkes der römischen Kirche zu erhalten, um die so
unendlich fruchtbare Wechselwirkung zwischen deutschem und katholischem Geiste
zu ermöglichen. Für die Kirche wäre der Verlust des deutschen Volkes uner¬
setzlich, und für das Deutschtum ist es ein Glück, "daß der unerschöpfliche
Vorrat von reinstem Idealismus, über den die katholische Kirche verfügt, immer
noch Wege findet, um den Adern des deutschen Volkes sich mitzuteilen."

Fast gleichzeitig mit Peter Lippert hat nun Max Scheler der Untersuchung
der besonderen eigenartigen nationalen Leistungsfähigkeit der Katholiken fast ein
ganzes Buch gewidmet.*) Der überaus reichhaltige und geistreiche Band enthält
Aufsätze z. B. über Christentum, Militarismus, über Nationalideen der ver¬
schiedenen europäischen Völker. Sie ordnen sich alle der größten zentralen Ab¬
handlung unter, die den Titel führt: "Soziologische Neuorientierung und die
Aufgabe der deutschen Katholiken nach dem Kriege." Einiges aus ihren Ge¬
danken sei im folgenden wiedergegeben.

Ich gebe dem Verfasser recht, wenn er meint, daß es zum Wesen des
Kulturmenschen gehöre, in einer Vielheit gleich ursprünglicher soziologischer
Verbandsformen sein Leben zu führen. Man darf nicht die Nation als die
einzig natürliche Verbandsform ansehen. Die sozusagen "quergeschichteten"
Sozialgefühle für Kirche, Gesellschaft, Rechtsgemeinschaft, Gelehrtenrepublik,
Klasse sind ebenso natürlich und ursprünglich, und der Nationalismus hat kein
Recht, zu verlangen, daß man diese Verbände um seinetwillen zerreiße. Die
Idee des Nationalstaats darf nicht zum "Leviathan" werden, der die anderen
sozialen Ideen alle ungestraft verschlingt. Gibt man zu, daß eine Mannig¬
faltigkeit in soziologischen Aufbau Europas Kulturbedürfuis ist, so hat der
Weltkrieg in dieser Beziehung einen Tiefstand herbeigeführt. Unser ganzer
Erdteil ist in schroff einander ausschließende Nationalismen zerfallen; alle
Klammern, mit denen man die europäischen Völker zusammenhalten wollte,
sind zersprengt. Ausgeträumt ist der Traum der Freihändler, daß die ökono¬
mischen Interessen einen Zustand allgemeinen Friedens und materieller Wohl¬
fahrt herbeiführen müßten. Versagt hat der Glaube der Sozialisten an die
internationale Solidarität der Arbeiterklasse. Vergebens suchen uns die Pazifisten
immer noch einzureden, daß internationale völkerrechtliche Verträge den Welt-



*) Max Scheler "Krieg und Aufbau", Leipzig, Verlag der Weitzen Bücher, ISIS;
geh. 6 M,, geb. 7,60 M.
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den Sinn für das Universale am deutschen Geiste hervor. Kein nationales
Geistesleben Europas ist so wenig national beschränkt, ist so aufnahmefähig für
das Allgemein-Menschliche wie das deutsche. Dieser allumfassende Zug im
deutschen Wesen ist im eigentlichen Sinne „katholisch". Darum ist kein Volkstum
innerlich so wohl vorbereitet für das katholische Christentum, wie gerade das
deutsche. So bedauerlich die Glaubensspaltung auch sei. schließt Lippert, so sei
es doch gewiß ein Segen für die Menschheit, wenn es gelungen sei, wenigstens
einen Teil des deutschen Volkes der römischen Kirche zu erhalten, um die so
unendlich fruchtbare Wechselwirkung zwischen deutschem und katholischem Geiste
zu ermöglichen. Für die Kirche wäre der Verlust des deutschen Volkes uner¬
setzlich, und für das Deutschtum ist es ein Glück, „daß der unerschöpfliche
Vorrat von reinstem Idealismus, über den die katholische Kirche verfügt, immer
noch Wege findet, um den Adern des deutschen Volkes sich mitzuteilen."

Fast gleichzeitig mit Peter Lippert hat nun Max Scheler der Untersuchung
der besonderen eigenartigen nationalen Leistungsfähigkeit der Katholiken fast ein
ganzes Buch gewidmet.*) Der überaus reichhaltige und geistreiche Band enthält
Aufsätze z. B. über Christentum, Militarismus, über Nationalideen der ver¬
schiedenen europäischen Völker. Sie ordnen sich alle der größten zentralen Ab¬
handlung unter, die den Titel führt: „Soziologische Neuorientierung und die
Aufgabe der deutschen Katholiken nach dem Kriege." Einiges aus ihren Ge¬
danken sei im folgenden wiedergegeben.

Ich gebe dem Verfasser recht, wenn er meint, daß es zum Wesen des
Kulturmenschen gehöre, in einer Vielheit gleich ursprünglicher soziologischer
Verbandsformen sein Leben zu führen. Man darf nicht die Nation als die
einzig natürliche Verbandsform ansehen. Die sozusagen „quergeschichteten"
Sozialgefühle für Kirche, Gesellschaft, Rechtsgemeinschaft, Gelehrtenrepublik,
Klasse sind ebenso natürlich und ursprünglich, und der Nationalismus hat kein
Recht, zu verlangen, daß man diese Verbände um seinetwillen zerreiße. Die
Idee des Nationalstaats darf nicht zum „Leviathan" werden, der die anderen
sozialen Ideen alle ungestraft verschlingt. Gibt man zu, daß eine Mannig¬
faltigkeit in soziologischen Aufbau Europas Kulturbedürfuis ist, so hat der
Weltkrieg in dieser Beziehung einen Tiefstand herbeigeführt. Unser ganzer
Erdteil ist in schroff einander ausschließende Nationalismen zerfallen; alle
Klammern, mit denen man die europäischen Völker zusammenhalten wollte,
sind zersprengt. Ausgeträumt ist der Traum der Freihändler, daß die ökono¬
mischen Interessen einen Zustand allgemeinen Friedens und materieller Wohl¬
fahrt herbeiführen müßten. Versagt hat der Glaube der Sozialisten an die
internationale Solidarität der Arbeiterklasse. Vergebens suchen uns die Pazifisten
immer noch einzureden, daß internationale völkerrechtliche Verträge den Welt-



*) Max Scheler „Krieg und Aufbau", Leipzig, Verlag der Weitzen Bücher, ISIS;
geh. 6 M,, geb. 7,60 M.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/16>, abgerufen am 29.06.2024.