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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Altes und mundartliches Sprachgut der vogtländischen Heimat

aus Holz geschnitzt und meist knallrot gefärbt, die Klinge mehr Blech als Stahl.
Auch in Schlesien kennt man -- wie ich in Grimms Wörterbuch lese -- das
Messer, da ist ein Lummelmesser ein schlechtes Messer. Die Hausfrau hat sich
einen Splitter, Spreisel, in die Hand gestochen; sie hat's nicht weiter beachtet,
so ist die Stelle "sichtig" geworden, zum Eltern gekommen. (In meiner
Heimat gibt es auch eine Spreiselsmühle.) In der "Röhre" (Maschine) wird's
nun "lembig". lebendig: diese Aussprache des Worts ist ein Anklang an die
ursprüngliche Betonung lebendig; auch bei Forelle legt der Vogtländer den
Ton auf die erste Silbe, 's ist Sonntag, da gibts grüne Klöße (Grüngeniffte).
Nifftenreiben; auch der Stiefel, der Kragen misst. Mit der "Handkrätzen",
einem sehr einfachen Handkorb, werden die großen "Erdäpfel" geholt,-mit dem
Reih- oder Riebeisen werden sie zerkleinert. (Auch ein zänkisches, unverträg"
liebes Weib ist ein altes Reibeisen.) Die Überbleibsel der Kartoffeln sind die
Reiher, das Geriebene ist das "Reibig". Zum Volksgericht gibts Gänsebraten,
darnach hat die Familie schon lange "geleppert". Vom Gänseleib (Gänspecht)
bleibt nichts übrig. Das Blut heißt Schweiß, der Fuß die Latsche. Die
Gurgel (Drossel) wird getrocknet, mit Steinchen gefüllt; die beiden Enden
werden ineinandergesteckt, und ein billiges Kinderspielzeug ist fertig.

Die so vornehm klingenden Bouillonkartoffeln nennt der simple Vogtlander
Kartoffelstückchen oder Spalten, da gibt's sogar eine Abart, saure Spalten; er
ißt nicht Kartoffelpüree, sondern Kartoffelmus; ist er recht dick angemacht, so
ists Stampf. Die Nudeln heißen mundartlich Ludeln.

sangen wir Kinder.

Meine Mutter nannte den Meerrettich nur Kräh; "Krähbrüh" war uns
immer willkommen. Kräh oder Kreil ist ein sehr altes Wort. In einem Tisch¬
lied aus dem fünfzehnten Jahrhundert heißt's:

Und in einer Stelle aus dem sechzehnten Jahrhundert lesen wir:

Rind frischen Kram oder Rettich, den schneid scheiblich (in Scheiben).
Beim Reiben des scharfen Krähs kamen der Mutter die Tränen in die Augen;
sie mußte greinen. Das ist auch ein altes Wort, dessen Grundbedeutung "das
Gesicht verzerren, weinen" ist. Zähes (zaches) Fleisch wurde durch "dielen"
(schlagen) mürbe gemacht. (Auch Menschen können zach sein, wenn sie trotz
allen Bittens nichts geben.)

Hauptfeste auf dem platten Land sind das Kirchweihfest (die Kerwe) und
das Schlachtfest (die Krummbag,). Das ausgeschlachtete Schwein (die Sau)
wird am Krummholz aufgehängt. Das Wellfleisch ist der Schüppspeck, die
Wurstsuppe die Schüppsuppe.


Altes und mundartliches Sprachgut der vogtländischen Heimat

aus Holz geschnitzt und meist knallrot gefärbt, die Klinge mehr Blech als Stahl.
Auch in Schlesien kennt man — wie ich in Grimms Wörterbuch lese — das
Messer, da ist ein Lummelmesser ein schlechtes Messer. Die Hausfrau hat sich
einen Splitter, Spreisel, in die Hand gestochen; sie hat's nicht weiter beachtet,
so ist die Stelle „sichtig" geworden, zum Eltern gekommen. (In meiner
Heimat gibt es auch eine Spreiselsmühle.) In der „Röhre" (Maschine) wird's
nun „lembig". lebendig: diese Aussprache des Worts ist ein Anklang an die
ursprüngliche Betonung lebendig; auch bei Forelle legt der Vogtländer den
Ton auf die erste Silbe, 's ist Sonntag, da gibts grüne Klöße (Grüngeniffte).
Nifftenreiben; auch der Stiefel, der Kragen misst. Mit der „Handkrätzen",
einem sehr einfachen Handkorb, werden die großen „Erdäpfel" geholt,-mit dem
Reih- oder Riebeisen werden sie zerkleinert. (Auch ein zänkisches, unverträg»
liebes Weib ist ein altes Reibeisen.) Die Überbleibsel der Kartoffeln sind die
Reiher, das Geriebene ist das „Reibig". Zum Volksgericht gibts Gänsebraten,
darnach hat die Familie schon lange „geleppert". Vom Gänseleib (Gänspecht)
bleibt nichts übrig. Das Blut heißt Schweiß, der Fuß die Latsche. Die
Gurgel (Drossel) wird getrocknet, mit Steinchen gefüllt; die beiden Enden
werden ineinandergesteckt, und ein billiges Kinderspielzeug ist fertig.

Die so vornehm klingenden Bouillonkartoffeln nennt der simple Vogtlander
Kartoffelstückchen oder Spalten, da gibt's sogar eine Abart, saure Spalten; er
ißt nicht Kartoffelpüree, sondern Kartoffelmus; ist er recht dick angemacht, so
ists Stampf. Die Nudeln heißen mundartlich Ludeln.

sangen wir Kinder.

Meine Mutter nannte den Meerrettich nur Kräh; „Krähbrüh" war uns
immer willkommen. Kräh oder Kreil ist ein sehr altes Wort. In einem Tisch¬
lied aus dem fünfzehnten Jahrhundert heißt's:

Und in einer Stelle aus dem sechzehnten Jahrhundert lesen wir:

Rind frischen Kram oder Rettich, den schneid scheiblich (in Scheiben).
Beim Reiben des scharfen Krähs kamen der Mutter die Tränen in die Augen;
sie mußte greinen. Das ist auch ein altes Wort, dessen Grundbedeutung „das
Gesicht verzerren, weinen" ist. Zähes (zaches) Fleisch wurde durch „dielen"
(schlagen) mürbe gemacht. (Auch Menschen können zach sein, wenn sie trotz
allen Bittens nichts geben.)

Hauptfeste auf dem platten Land sind das Kirchweihfest (die Kerwe) und
das Schlachtfest (die Krummbag,). Das ausgeschlachtete Schwein (die Sau)
wird am Krummholz aufgehängt. Das Wellfleisch ist der Schüppspeck, die
Wurstsuppe die Schüppsuppe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/168>, abgerufen am 01.07.2024.