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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Altes und mundartliches Sgrachgut der vogtlandischen Heimat

Für den Nachmittagskaffee oder das Vesper (den Holberumd ^ halben Abend)
but die Mutter oft Aschkuchen oder Kugelhopfen oder sie kaufte Hörnchen (Hörnle).
Um neubackenes oder auch "schlüssiges, kalkiges, spindiges Brot" genießbarer zu
machen, wurden die Brodschnitten in den heißen Ofen gelegt und gebäht (inkä.
baelien, dam durch Überschlagen erwärmen); das geröstete Brot wurde mit
Fett bestrichen und hieß Beschnitz.

Halten wir nun noch Umschau in der vogtländischm Tier- und Pflanzenwelt.

Gewaltigen Respekt hatten wir Kinder vorm Ohrwurm, dem Ohren-
höller. Der arme Kerl stand in dem schändlichen Verdacht -- und sein merk¬
würdiges Äußere ließ ihn nur zu begründet erscheinen -- daß er den
Menschen beim Daliegen in die Ohren krieche, er hieß auch gleich der Ohren¬
kriecher, und ihnen das Trommelfell zerstöre.

Erst die Schule hat hier Wandel geschaffen.

Die Ameisen waren uns am bekanntesten unter der Bezeichnung "Süüg-
amseln, .(das letztere doch wohl eine Verstümmelung aus Ameise). Hatten sie
durch Einspritzen der giftigen Flüssigkeit eine Entzündung der Haut hervor¬
gebracht, so hieß es: die SüLgumsel hat mich As,gesMgt. -- Auf der Wiese
macht sich die Erdhummel durch ihr lautes Brummen sehr bemerklich; sie heißt
im Volksmund "Sormhummel", denn formen ^ brummen. Auch die Ohrfeige
(Maulschelle) formt.

Gern gesehen ist auch im Vogelart das Marienkäferchen, dessen volkstüm¬
licher Name Himmelspferdchen oder Himmelsvatterle ist. Wie oft haben wir
es auf die Hand gesetzt und zu ihm gesprochen:

Der Vogtländer ist ein großer Freund der gefiederten Sänger, er kennt
auch meist Nam' und Art derselben. Im obern Vogelart, an der böhmischen
Grenze, hat fast jedes Haus den von Julius Mosen im Lied verewigten Kreuz¬
schnabel oder Krienitz; soll er doch die Krankheiten anziehen. Krienitz wird
wegen seines grünen Kleids und seines grünen Hutes auch der sogenannte
"Sauschneider" genannt. Welcher Vogtländer kennte nicht die Zippe, die
andernorts Amsel genannt wird? "Dös is e alte Zippe!" sagt er wohl auch
von einem Frauenzimmer, das sich recht empfindlich gibt.

Die zierliche Bachstelze wird zur Bockstelze, der Gassenbube Sperling
Ma Sperken; der gefürchtete Hühnerhabicht ist der Haast, der Krammetsvogel
heißt Ziemer oder Zeumer.

Allerorts im Vogelart ist die Eberesche angepflanzt oder angeflogen, für
deren rote Beeren die Zeumer eine besondere Vorliebe zeigen. Die Zuneigung des
Vogtländers zuseinem"Vuglbärbaam" kommtauch im folgenden Vers zumAusdruck:


Altes und mundartliches Sgrachgut der vogtlandischen Heimat

Für den Nachmittagskaffee oder das Vesper (den Holberumd ^ halben Abend)
but die Mutter oft Aschkuchen oder Kugelhopfen oder sie kaufte Hörnchen (Hörnle).
Um neubackenes oder auch „schlüssiges, kalkiges, spindiges Brot" genießbarer zu
machen, wurden die Brodschnitten in den heißen Ofen gelegt und gebäht (inkä.
baelien, dam durch Überschlagen erwärmen); das geröstete Brot wurde mit
Fett bestrichen und hieß Beschnitz.

Halten wir nun noch Umschau in der vogtländischm Tier- und Pflanzenwelt.

Gewaltigen Respekt hatten wir Kinder vorm Ohrwurm, dem Ohren-
höller. Der arme Kerl stand in dem schändlichen Verdacht — und sein merk¬
würdiges Äußere ließ ihn nur zu begründet erscheinen — daß er den
Menschen beim Daliegen in die Ohren krieche, er hieß auch gleich der Ohren¬
kriecher, und ihnen das Trommelfell zerstöre.

Erst die Schule hat hier Wandel geschaffen.

Die Ameisen waren uns am bekanntesten unter der Bezeichnung „Süüg-
amseln, .(das letztere doch wohl eine Verstümmelung aus Ameise). Hatten sie
durch Einspritzen der giftigen Flüssigkeit eine Entzündung der Haut hervor¬
gebracht, so hieß es: die SüLgumsel hat mich As,gesMgt. — Auf der Wiese
macht sich die Erdhummel durch ihr lautes Brummen sehr bemerklich; sie heißt
im Volksmund „Sormhummel", denn formen ^ brummen. Auch die Ohrfeige
(Maulschelle) formt.

Gern gesehen ist auch im Vogelart das Marienkäferchen, dessen volkstüm¬
licher Name Himmelspferdchen oder Himmelsvatterle ist. Wie oft haben wir
es auf die Hand gesetzt und zu ihm gesprochen:

Der Vogtländer ist ein großer Freund der gefiederten Sänger, er kennt
auch meist Nam' und Art derselben. Im obern Vogelart, an der böhmischen
Grenze, hat fast jedes Haus den von Julius Mosen im Lied verewigten Kreuz¬
schnabel oder Krienitz; soll er doch die Krankheiten anziehen. Krienitz wird
wegen seines grünen Kleids und seines grünen Hutes auch der sogenannte
„Sauschneider" genannt. Welcher Vogtländer kennte nicht die Zippe, die
andernorts Amsel genannt wird? „Dös is e alte Zippe!" sagt er wohl auch
von einem Frauenzimmer, das sich recht empfindlich gibt.

Die zierliche Bachstelze wird zur Bockstelze, der Gassenbube Sperling
Ma Sperken; der gefürchtete Hühnerhabicht ist der Haast, der Krammetsvogel
heißt Ziemer oder Zeumer.

Allerorts im Vogelart ist die Eberesche angepflanzt oder angeflogen, für
deren rote Beeren die Zeumer eine besondere Vorliebe zeigen. Die Zuneigung des
Vogtländers zuseinem„Vuglbärbaam" kommtauch im folgenden Vers zumAusdruck:


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[0169] Altes und mundartliches Sgrachgut der vogtlandischen Heimat Für den Nachmittagskaffee oder das Vesper (den Holberumd ^ halben Abend) but die Mutter oft Aschkuchen oder Kugelhopfen oder sie kaufte Hörnchen (Hörnle). Um neubackenes oder auch „schlüssiges, kalkiges, spindiges Brot" genießbarer zu machen, wurden die Brodschnitten in den heißen Ofen gelegt und gebäht (inkä. baelien, dam durch Überschlagen erwärmen); das geröstete Brot wurde mit Fett bestrichen und hieß Beschnitz. Halten wir nun noch Umschau in der vogtländischm Tier- und Pflanzenwelt. Gewaltigen Respekt hatten wir Kinder vorm Ohrwurm, dem Ohren- höller. Der arme Kerl stand in dem schändlichen Verdacht — und sein merk¬ würdiges Äußere ließ ihn nur zu begründet erscheinen — daß er den Menschen beim Daliegen in die Ohren krieche, er hieß auch gleich der Ohren¬ kriecher, und ihnen das Trommelfell zerstöre. Erst die Schule hat hier Wandel geschaffen. Die Ameisen waren uns am bekanntesten unter der Bezeichnung „Süüg- amseln, .(das letztere doch wohl eine Verstümmelung aus Ameise). Hatten sie durch Einspritzen der giftigen Flüssigkeit eine Entzündung der Haut hervor¬ gebracht, so hieß es: die SüLgumsel hat mich As,gesMgt. — Auf der Wiese macht sich die Erdhummel durch ihr lautes Brummen sehr bemerklich; sie heißt im Volksmund „Sormhummel", denn formen ^ brummen. Auch die Ohrfeige (Maulschelle) formt. Gern gesehen ist auch im Vogelart das Marienkäferchen, dessen volkstüm¬ licher Name Himmelspferdchen oder Himmelsvatterle ist. Wie oft haben wir es auf die Hand gesetzt und zu ihm gesprochen: Der Vogtländer ist ein großer Freund der gefiederten Sänger, er kennt auch meist Nam' und Art derselben. Im obern Vogelart, an der böhmischen Grenze, hat fast jedes Haus den von Julius Mosen im Lied verewigten Kreuz¬ schnabel oder Krienitz; soll er doch die Krankheiten anziehen. Krienitz wird wegen seines grünen Kleids und seines grünen Hutes auch der sogenannte „Sauschneider" genannt. Welcher Vogtländer kennte nicht die Zippe, die andernorts Amsel genannt wird? „Dös is e alte Zippe!" sagt er wohl auch von einem Frauenzimmer, das sich recht empfindlich gibt. Die zierliche Bachstelze wird zur Bockstelze, der Gassenbube Sperling Ma Sperken; der gefürchtete Hühnerhabicht ist der Haast, der Krammetsvogel heißt Ziemer oder Zeumer. Allerorts im Vogelart ist die Eberesche angepflanzt oder angeflogen, für deren rote Beeren die Zeumer eine besondere Vorliebe zeigen. Die Zuneigung des Vogtländers zuseinem„Vuglbärbaam" kommtauch im folgenden Vers zumAusdruck:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/169>, abgerufen am 01.07.2024.