Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.Altes und mundartliches Sprachgut der voztländischen Heimat Zwillinge (Zwinlen); "die Frau hat gezwinelt". sagt der Vogtländer nicht eben Im Zimmer fehlt auch das Sofa, das Kanapee, nicht. Wie oft haben Will mich einst ein guter Freund besuchen. So soll er mir willkommen sein; Ich setz ihm vor den allerbesten Kuchen Und auch ein Glas Champagnerwein. Die Seele schwinget sich Wohl in die Höh. juchhe, Der Leib allein, der bleibet auf dem Kanapee. Draußen im "Haus", dem Hausflur, stand die zweitürige Olme. der Finster und verräuchert war die elterliche Küche. Über dem Waschkessel, Auf einer steilen "Stiege" geht's in die obern Räume. Der Name Treppe Altes und mundartliches Sprachgut der voztländischen Heimat Zwillinge (Zwinlen); „die Frau hat gezwinelt". sagt der Vogtländer nicht eben Im Zimmer fehlt auch das Sofa, das Kanapee, nicht. Wie oft haben Will mich einst ein guter Freund besuchen. So soll er mir willkommen sein; Ich setz ihm vor den allerbesten Kuchen Und auch ein Glas Champagnerwein. Die Seele schwinget sich Wohl in die Höh. juchhe, Der Leib allein, der bleibet auf dem Kanapee. Draußen im „Haus", dem Hausflur, stand die zweitürige Olme. der Finster und verräuchert war die elterliche Küche. Über dem Waschkessel, Auf einer steilen „Stiege" geht's in die obern Räume. Der Name Treppe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332444"/> <fw type="header" place="top"> Altes und mundartliches Sprachgut der voztländischen Heimat</fw><lb/> <p xml:id="ID_495" prev="#ID_494"> Zwillinge (Zwinlen); „die Frau hat gezwinelt". sagt der Vogtländer nicht eben<lb/> Zart, aber verständlich. Doch auch für diese Überraschung ist gesorgt; ist ja<lb/> noch eine hölzerne, „bodenständige" Wiege vorhanden. Das ist aber nun ein<lb/> „Hetschen"-Wiegen um die Wette! Der wahre Satz, daß die Kinder am besten<lb/> gedeihen, die man in Ruhe läßt, hat leider auf dem platten Lande noch nicht<lb/> gar viele Anhänger. Als Beruhigungsmittel für den kleinen Schreihals diente<lb/> der Rüppel oder Zulp. Früher stellte man ihn auf dem Lande sich selber her;<lb/> weiß nicht, ob's anders worden in dieser neuen Zeit. Brot, Zwieback oder<lb/> Semmel wurde „klar gekaut", gefußt, in ein reines Leinenläppchen gebunden<lb/> und zwischen die „Maullippen" gesteckt. Der Rüppel hatte einen derartigen<lb/> Umfang, daß er nicht so leicht entfallen konnte. Später wurden die beiden<lb/> kleinen Hempetze oder Hemdenmatze im Kinderwagen, der „Kinderkutsch", „ze-<lb/> wanner". d. h. miteinander, ausgefahren. — An diesem Ort will ich auch kurz<lb/> der treuen Gehilfin von Freund Klapperstorch gedenken, der Hebamme; für die<lb/> Wichtigkeit, die man ihrem Beruf beimißt, spricht der Name „Amtfrau", wie<lb/> sie genannt wird. Ist der kleine Ankömmling kein so gar großes Dummchen<lb/> wehr, bekommt er eine Klapper oder eine Puppe (Docke); ein kleines Mädchen<lb/> bekommt wohl auch eine Kette aus Perlen (Patterlcn).</p><lb/> <p xml:id="ID_496"> Im Zimmer fehlt auch das Sofa, das Kanapee, nicht. Wie oft haben<lb/> mir den Vers gesungen:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l> Will mich einst ein guter Freund besuchen.<lb/> So soll er mir willkommen sein;<lb/> Ich setz ihm vor den allerbesten Kuchen<lb/> Und auch ein Glas Champagnerwein.<lb/> Die Seele schwinget sich Wohl in die Höh. juchhe,<lb/> Der Leib allein, der bleibet auf dem Kanapee.<lb/></l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_497"> Draußen im „Haus", dem Hausflur, stand die zweitürige Olme. der<lb/> Speise- und Brotschran!; im Egerländischen Aline genannt. Sie barg in Tuten<lb/> (Gucken) oder auch sonst so manches, was uns Kinder anlockte. An der Hauf¬<lb/> fe war eine Klingel, ein Pinkes, angebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_498"> Finster und verräuchert war die elterliche Küche. Über dem Waschkessel,<lb/> mundartlich Kestel, war eine Klammer angebracht, die das pichige Holz, das<lb/> Kienholz, halten mußte. Noch besinne ich mich sehr wohl auf den großen<lb/> VlechbM. den Lihhut. der als Rauchfang diente.</p><lb/> <p xml:id="ID_499" next="#ID_500"> Auf einer steilen „Stiege" geht's in die obern Räume. Der Name Treppe<lb/> Mar uns nicht geläufig (den ersten Ausdruck findet man an der See als Be¬<lb/> zeichnung für zwanzig Stück bei Garben und Eiern). Im Hausboden stand<lb/> die mit Steinen schwer belastete Rolle oder Mangel, die auf Rollen, den<lb/> Mangelhölzern oder Docken, ging. Im sogenannten Hausboden standen die<lb/> reichgeblumten Schränke und Truhen (Laden); sie hatten einst den Hauptwert<lb/> Heiratsguts, des Kammerwoges (Kammerwagens), das einst die junge<lb/> Frau in die Ehe gebracht hatte, gebildet. Wie solid hat nicht die gute alte<lb/> Zeit gearbeitet; wie frisch sind nicht die Farben trotz eines Alters von über</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0165]
Altes und mundartliches Sprachgut der voztländischen Heimat
Zwillinge (Zwinlen); „die Frau hat gezwinelt". sagt der Vogtländer nicht eben
Zart, aber verständlich. Doch auch für diese Überraschung ist gesorgt; ist ja
noch eine hölzerne, „bodenständige" Wiege vorhanden. Das ist aber nun ein
„Hetschen"-Wiegen um die Wette! Der wahre Satz, daß die Kinder am besten
gedeihen, die man in Ruhe läßt, hat leider auf dem platten Lande noch nicht
gar viele Anhänger. Als Beruhigungsmittel für den kleinen Schreihals diente
der Rüppel oder Zulp. Früher stellte man ihn auf dem Lande sich selber her;
weiß nicht, ob's anders worden in dieser neuen Zeit. Brot, Zwieback oder
Semmel wurde „klar gekaut", gefußt, in ein reines Leinenläppchen gebunden
und zwischen die „Maullippen" gesteckt. Der Rüppel hatte einen derartigen
Umfang, daß er nicht so leicht entfallen konnte. Später wurden die beiden
kleinen Hempetze oder Hemdenmatze im Kinderwagen, der „Kinderkutsch", „ze-
wanner". d. h. miteinander, ausgefahren. — An diesem Ort will ich auch kurz
der treuen Gehilfin von Freund Klapperstorch gedenken, der Hebamme; für die
Wichtigkeit, die man ihrem Beruf beimißt, spricht der Name „Amtfrau", wie
sie genannt wird. Ist der kleine Ankömmling kein so gar großes Dummchen
wehr, bekommt er eine Klapper oder eine Puppe (Docke); ein kleines Mädchen
bekommt wohl auch eine Kette aus Perlen (Patterlcn).
Im Zimmer fehlt auch das Sofa, das Kanapee, nicht. Wie oft haben
mir den Vers gesungen:
Will mich einst ein guter Freund besuchen.
So soll er mir willkommen sein;
Ich setz ihm vor den allerbesten Kuchen
Und auch ein Glas Champagnerwein.
Die Seele schwinget sich Wohl in die Höh. juchhe,
Der Leib allein, der bleibet auf dem Kanapee.
Draußen im „Haus", dem Hausflur, stand die zweitürige Olme. der
Speise- und Brotschran!; im Egerländischen Aline genannt. Sie barg in Tuten
(Gucken) oder auch sonst so manches, was uns Kinder anlockte. An der Hauf¬
fe war eine Klingel, ein Pinkes, angebracht.
Finster und verräuchert war die elterliche Küche. Über dem Waschkessel,
mundartlich Kestel, war eine Klammer angebracht, die das pichige Holz, das
Kienholz, halten mußte. Noch besinne ich mich sehr wohl auf den großen
VlechbM. den Lihhut. der als Rauchfang diente.
Auf einer steilen „Stiege" geht's in die obern Räume. Der Name Treppe
Mar uns nicht geläufig (den ersten Ausdruck findet man an der See als Be¬
zeichnung für zwanzig Stück bei Garben und Eiern). Im Hausboden stand
die mit Steinen schwer belastete Rolle oder Mangel, die auf Rollen, den
Mangelhölzern oder Docken, ging. Im sogenannten Hausboden standen die
reichgeblumten Schränke und Truhen (Laden); sie hatten einst den Hauptwert
Heiratsguts, des Kammerwoges (Kammerwagens), das einst die junge
Frau in die Ehe gebracht hatte, gebildet. Wie solid hat nicht die gute alte
Zeit gearbeitet; wie frisch sind nicht die Farben trotz eines Alters von über
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