Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altes und mundartliches Sprachgut der vogtländischen Heimat

Sehnsucht fühlte ja schon vor dem Kriege unser Volk in seinen besten Schichten,-
Heimatschutz und Volkskunde lebten neu auf und fanden viele Anhänger. Und
wenn die Menschen wieder die Heimat mehr schätzen, werden sie auch der
Sprache ihrer engsten Heimat, der Mundart mehr Liebe und Wertschätzung
entgegenbringen, die mit ihrem "Wurzel- und Erdgeruch", mit ihrer Gegen¬
ständlichkeit und Klangfülle etwas unendlich Feineres ist als das Hochdeutsch der
den Dialekt Verspottenden.

Das Folgende ist ein Versuch, altes und mundartliches Sprachgut meiner
vogtländischen Heimat zusammenzustellen. Eine reiche Fundgrube war mir der
Sprachschatz der Mutter, die. aus dem sogenannten Dreikönigseck, wo Bayern
Sachsen und Böhmen aneinander grenzen, stammend, der Sprache ihrer Kind¬
heit immer die Treue hielt.

Im Geiste sehe ich das im Dorfe Ebmath, unmittelbar an der böhmischen
Grenze gelegen, einsam stehende Vaterhaus vor mir. Ich trete ein in die
niedrige Stube, die "Stumm". Jeder Vogtländer kennt die "Hutzenstumm".
Rechts vom Eingang hängt das "Kannelholz". Zum besondern Schmuck ge¬
reicht ihm eine lange Reihe zinnerner Teller, die einst die junge Böhmin dem
Erwählten ihres Herzens in die Ehe gebracht hatte. Jetzt freilich sind sie
"zum Schauen bestellt"; eine neue Zeit war angebrochen. Hier haben auch
ihren Platz die geblümten, dickbäuchigen böhmischen Obertassen, die Tüpfle, die
bei Verlust aus dem "Kaiserlichen" leicht zu ersetzen sind. Auf dem Kännel-
holz steht auch die Lichtputze oder "schneuze, die zum Beschneiden des Golichts
(alia. Mitteln) benötigt wurde; der Docht (Dacht) dieses kleinen Öllännchens
wurde mit Leinöl gespeist. War das eine Funsel! Das heutige Geschlecht
hat keine Ahnung von den traurigen Lichtquellen von Annodazumal. Der
Liebling der Familie war der mächtige "Kachelofen", bei dem grimmigen vogt¬
ländischen Winter nur zu begreiflich. In seiner "Röhre" bratet und kocht die
Hausfrau; der Raum bei der Feuerung ist die "Hölle", das Fenster auf der
Seite das "Höllfenster". Die Hölle steht im Winter die ganze Familie zu
Gaste; man sitzt auf der Bank, die Füße ruhen auf der Hitsche. Zum Schutz
gegen die Kälte trägt die Familie Filzschuhe Tappen, die durch den häufigen
Gebrauch sehr "herunterkommen" und zu "Latschen" werden. In solchen geht's
laufen schon nicht so leicht; deshalb spricht der Volksmund bei einem mit
schlechtem Gang, er latsche. Am Ofen ist die Pfanne angebracht, der Hofr
-Hafen.

In der Nähe des Ofens hing an zwei Ringen die an einem Balken be¬
festigte "Schwanken". In dieser aus fester, hausgewebter Leinwand herge¬
stellten Lustwiege verbrachte der jüngste Sprößling der Familie die meiste Zeit
seines Daseins. Den Kontakt zwischen der Schwanken und dem "Schwanker"
stellte ein starkes Band her. Eine mühsame Arbeit, bis der "leierige, zerrige
Zornwinkel" endlich Maul und Gucken schloß! Mitunter beweist Freund
Adebar einem Ehepaar ganz besonders sein Wohlwollen; er beschenkt es mit


Altes und mundartliches Sprachgut der vogtländischen Heimat

Sehnsucht fühlte ja schon vor dem Kriege unser Volk in seinen besten Schichten,-
Heimatschutz und Volkskunde lebten neu auf und fanden viele Anhänger. Und
wenn die Menschen wieder die Heimat mehr schätzen, werden sie auch der
Sprache ihrer engsten Heimat, der Mundart mehr Liebe und Wertschätzung
entgegenbringen, die mit ihrem „Wurzel- und Erdgeruch", mit ihrer Gegen¬
ständlichkeit und Klangfülle etwas unendlich Feineres ist als das Hochdeutsch der
den Dialekt Verspottenden.

Das Folgende ist ein Versuch, altes und mundartliches Sprachgut meiner
vogtländischen Heimat zusammenzustellen. Eine reiche Fundgrube war mir der
Sprachschatz der Mutter, die. aus dem sogenannten Dreikönigseck, wo Bayern
Sachsen und Böhmen aneinander grenzen, stammend, der Sprache ihrer Kind¬
heit immer die Treue hielt.

Im Geiste sehe ich das im Dorfe Ebmath, unmittelbar an der böhmischen
Grenze gelegen, einsam stehende Vaterhaus vor mir. Ich trete ein in die
niedrige Stube, die „Stumm". Jeder Vogtländer kennt die „Hutzenstumm".
Rechts vom Eingang hängt das „Kannelholz". Zum besondern Schmuck ge¬
reicht ihm eine lange Reihe zinnerner Teller, die einst die junge Böhmin dem
Erwählten ihres Herzens in die Ehe gebracht hatte. Jetzt freilich sind sie
„zum Schauen bestellt"; eine neue Zeit war angebrochen. Hier haben auch
ihren Platz die geblümten, dickbäuchigen böhmischen Obertassen, die Tüpfle, die
bei Verlust aus dem „Kaiserlichen" leicht zu ersetzen sind. Auf dem Kännel-
holz steht auch die Lichtputze oder „schneuze, die zum Beschneiden des Golichts
(alia. Mitteln) benötigt wurde; der Docht (Dacht) dieses kleinen Öllännchens
wurde mit Leinöl gespeist. War das eine Funsel! Das heutige Geschlecht
hat keine Ahnung von den traurigen Lichtquellen von Annodazumal. Der
Liebling der Familie war der mächtige „Kachelofen", bei dem grimmigen vogt¬
ländischen Winter nur zu begreiflich. In seiner „Röhre" bratet und kocht die
Hausfrau; der Raum bei der Feuerung ist die „Hölle", das Fenster auf der
Seite das „Höllfenster". Die Hölle steht im Winter die ganze Familie zu
Gaste; man sitzt auf der Bank, die Füße ruhen auf der Hitsche. Zum Schutz
gegen die Kälte trägt die Familie Filzschuhe Tappen, die durch den häufigen
Gebrauch sehr „herunterkommen" und zu „Latschen" werden. In solchen geht's
laufen schon nicht so leicht; deshalb spricht der Volksmund bei einem mit
schlechtem Gang, er latsche. Am Ofen ist die Pfanne angebracht, der Hofr
-Hafen.

In der Nähe des Ofens hing an zwei Ringen die an einem Balken be¬
festigte „Schwanken". In dieser aus fester, hausgewebter Leinwand herge¬
stellten Lustwiege verbrachte der jüngste Sprößling der Familie die meiste Zeit
seines Daseins. Den Kontakt zwischen der Schwanken und dem „Schwanker"
stellte ein starkes Band her. Eine mühsame Arbeit, bis der „leierige, zerrige
Zornwinkel" endlich Maul und Gucken schloß! Mitunter beweist Freund
Adebar einem Ehepaar ganz besonders sein Wohlwollen; er beschenkt es mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332443"/>
          <fw type="header" place="top"> Altes und mundartliches Sprachgut der vogtländischen Heimat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_491" prev="#ID_490"> Sehnsucht fühlte ja schon vor dem Kriege unser Volk in seinen besten Schichten,-<lb/>
Heimatschutz und Volkskunde lebten neu auf und fanden viele Anhänger. Und<lb/>
wenn die Menschen wieder die Heimat mehr schätzen, werden sie auch der<lb/>
Sprache ihrer engsten Heimat, der Mundart mehr Liebe und Wertschätzung<lb/>
entgegenbringen, die mit ihrem &#x201E;Wurzel- und Erdgeruch", mit ihrer Gegen¬<lb/>
ständlichkeit und Klangfülle etwas unendlich Feineres ist als das Hochdeutsch der<lb/>
den Dialekt Verspottenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_492"> Das Folgende ist ein Versuch, altes und mundartliches Sprachgut meiner<lb/>
vogtländischen Heimat zusammenzustellen. Eine reiche Fundgrube war mir der<lb/>
Sprachschatz der Mutter, die. aus dem sogenannten Dreikönigseck, wo Bayern<lb/>
Sachsen und Böhmen aneinander grenzen, stammend, der Sprache ihrer Kind¬<lb/>
heit immer die Treue hielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_493"> Im Geiste sehe ich das im Dorfe Ebmath, unmittelbar an der böhmischen<lb/>
Grenze gelegen, einsam stehende Vaterhaus vor mir. Ich trete ein in die<lb/>
niedrige Stube, die &#x201E;Stumm". Jeder Vogtländer kennt die &#x201E;Hutzenstumm".<lb/>
Rechts vom Eingang hängt das &#x201E;Kannelholz". Zum besondern Schmuck ge¬<lb/>
reicht ihm eine lange Reihe zinnerner Teller, die einst die junge Böhmin dem<lb/>
Erwählten ihres Herzens in die Ehe gebracht hatte. Jetzt freilich sind sie<lb/>
&#x201E;zum Schauen bestellt"; eine neue Zeit war angebrochen. Hier haben auch<lb/>
ihren Platz die geblümten, dickbäuchigen böhmischen Obertassen, die Tüpfle, die<lb/>
bei Verlust aus dem &#x201E;Kaiserlichen" leicht zu ersetzen sind. Auf dem Kännel-<lb/>
holz steht auch die Lichtputze oder &#x201E;schneuze, die zum Beschneiden des Golichts<lb/>
(alia. Mitteln) benötigt wurde; der Docht (Dacht) dieses kleinen Öllännchens<lb/>
wurde mit Leinöl gespeist. War das eine Funsel! Das heutige Geschlecht<lb/>
hat keine Ahnung von den traurigen Lichtquellen von Annodazumal. Der<lb/>
Liebling der Familie war der mächtige &#x201E;Kachelofen", bei dem grimmigen vogt¬<lb/>
ländischen Winter nur zu begreiflich. In seiner &#x201E;Röhre" bratet und kocht die<lb/>
Hausfrau; der Raum bei der Feuerung ist die &#x201E;Hölle", das Fenster auf der<lb/>
Seite das &#x201E;Höllfenster". Die Hölle steht im Winter die ganze Familie zu<lb/>
Gaste; man sitzt auf der Bank, die Füße ruhen auf der Hitsche. Zum Schutz<lb/>
gegen die Kälte trägt die Familie Filzschuhe Tappen, die durch den häufigen<lb/>
Gebrauch sehr &#x201E;herunterkommen" und zu &#x201E;Latschen" werden. In solchen geht's<lb/>
laufen schon nicht so leicht; deshalb spricht der Volksmund bei einem mit<lb/>
schlechtem Gang, er latsche. Am Ofen ist die Pfanne angebracht, der Hofr<lb/>
-Hafen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_494" next="#ID_495"> In der Nähe des Ofens hing an zwei Ringen die an einem Balken be¬<lb/>
festigte &#x201E;Schwanken". In dieser aus fester, hausgewebter Leinwand herge¬<lb/>
stellten Lustwiege verbrachte der jüngste Sprößling der Familie die meiste Zeit<lb/>
seines Daseins. Den Kontakt zwischen der Schwanken und dem &#x201E;Schwanker"<lb/>
stellte ein starkes Band her. Eine mühsame Arbeit, bis der &#x201E;leierige, zerrige<lb/>
Zornwinkel" endlich Maul und Gucken schloß! Mitunter beweist Freund<lb/>
Adebar einem Ehepaar ganz besonders sein Wohlwollen; er beschenkt es mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0164] Altes und mundartliches Sprachgut der vogtländischen Heimat Sehnsucht fühlte ja schon vor dem Kriege unser Volk in seinen besten Schichten,- Heimatschutz und Volkskunde lebten neu auf und fanden viele Anhänger. Und wenn die Menschen wieder die Heimat mehr schätzen, werden sie auch der Sprache ihrer engsten Heimat, der Mundart mehr Liebe und Wertschätzung entgegenbringen, die mit ihrem „Wurzel- und Erdgeruch", mit ihrer Gegen¬ ständlichkeit und Klangfülle etwas unendlich Feineres ist als das Hochdeutsch der den Dialekt Verspottenden. Das Folgende ist ein Versuch, altes und mundartliches Sprachgut meiner vogtländischen Heimat zusammenzustellen. Eine reiche Fundgrube war mir der Sprachschatz der Mutter, die. aus dem sogenannten Dreikönigseck, wo Bayern Sachsen und Böhmen aneinander grenzen, stammend, der Sprache ihrer Kind¬ heit immer die Treue hielt. Im Geiste sehe ich das im Dorfe Ebmath, unmittelbar an der böhmischen Grenze gelegen, einsam stehende Vaterhaus vor mir. Ich trete ein in die niedrige Stube, die „Stumm". Jeder Vogtländer kennt die „Hutzenstumm". Rechts vom Eingang hängt das „Kannelholz". Zum besondern Schmuck ge¬ reicht ihm eine lange Reihe zinnerner Teller, die einst die junge Böhmin dem Erwählten ihres Herzens in die Ehe gebracht hatte. Jetzt freilich sind sie „zum Schauen bestellt"; eine neue Zeit war angebrochen. Hier haben auch ihren Platz die geblümten, dickbäuchigen böhmischen Obertassen, die Tüpfle, die bei Verlust aus dem „Kaiserlichen" leicht zu ersetzen sind. Auf dem Kännel- holz steht auch die Lichtputze oder „schneuze, die zum Beschneiden des Golichts (alia. Mitteln) benötigt wurde; der Docht (Dacht) dieses kleinen Öllännchens wurde mit Leinöl gespeist. War das eine Funsel! Das heutige Geschlecht hat keine Ahnung von den traurigen Lichtquellen von Annodazumal. Der Liebling der Familie war der mächtige „Kachelofen", bei dem grimmigen vogt¬ ländischen Winter nur zu begreiflich. In seiner „Röhre" bratet und kocht die Hausfrau; der Raum bei der Feuerung ist die „Hölle", das Fenster auf der Seite das „Höllfenster". Die Hölle steht im Winter die ganze Familie zu Gaste; man sitzt auf der Bank, die Füße ruhen auf der Hitsche. Zum Schutz gegen die Kälte trägt die Familie Filzschuhe Tappen, die durch den häufigen Gebrauch sehr „herunterkommen" und zu „Latschen" werden. In solchen geht's laufen schon nicht so leicht; deshalb spricht der Volksmund bei einem mit schlechtem Gang, er latsche. Am Ofen ist die Pfanne angebracht, der Hofr -Hafen. In der Nähe des Ofens hing an zwei Ringen die an einem Balken be¬ festigte „Schwanken". In dieser aus fester, hausgewebter Leinwand herge¬ stellten Lustwiege verbrachte der jüngste Sprößling der Familie die meiste Zeit seines Daseins. Den Kontakt zwischen der Schwanken und dem „Schwanker" stellte ein starkes Band her. Eine mühsame Arbeit, bis der „leierige, zerrige Zornwinkel" endlich Maul und Gucken schloß! Mitunter beweist Freund Adebar einem Ehepaar ganz besonders sein Wohlwollen; er beschenkt es mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/164
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/164>, abgerufen am 29.06.2024.