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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Kräfte von innen

aber werden uns gewiß nicht beklagen. Denn wenn wir gerade in diesem
Jahre das Gedächtnis der deutschen Reformation doch auch in der spezifisch
nationalen Bedeutung dieses Ereignisses feiern wollen, so werden wir es den
Katholiken nicht verdenken, wenn sie die nationale Bedeutung ihres Geistes in
helleres Licht stellen. Der deutsche Geist braucht nicht nur die Hälfte seiner
Kräfte, sondern alle!

Zum ersten Male las ich den Gedanken von der besonderen Wesensver¬
wandtschaft des katholischen und des deutschen Geistes ausgesprochen und sehr
geschickt und wirkungsvoll begründet in dem glänzenden Aussatz "Deutsche Kultur
und Katholizismus", den der Jesuit Peter Lippert zu dem bekannten Werke
von Friedrich Thinae "Vom inneren Frieden des deutschen Volkes" beigesteuert
hat. Hier wird die reine Sachlichkeit als ein Grundzug des deutschen Wesens
gepriesen, jene Sachlichkeit, "der es nicht auf eine Geste oder Pose, nicht auf
den bloßen Schein ankommt, die von dem Eigenpersönlichen und Subjektiven
sich losgelöst hat, die mit grundsätzlichen Ernst und unverstellter wahrer Red¬
lichkeit der Sache und ihrem Werte sich hingibt und ihnen dient". Diese gleiche
Sachlichkeit, die alle Unordnung, alle Liederlichkeit des Arbeitens und alles
Scheinarbeiten verabscheut, zeichnet aber auch die katholische Religiosität aus,
die jede Abweichung von den objektiven Heilsnormen, jede unvollendete Durch¬
führung der Kulthandlungen als unzureichend abweist. Wenn man die katho¬
lische Religiosität als seelenlosen starren pharisäischen Buchstaben- und Gesetzes¬
dienst verdächtigt hat. meint Lippert. so waltet hier das gleiche Mißverständnis,
wie bei der Verdächtigung des deutschen Militarismus als eines seelenlosen
Drills. Es ist dieselbe Kraft des selbstverleugnenden Sachwillens, die das
deutsche Heer, die deutsche Beamtenschaft, die deutschen Kriegsorganisationen.
die soziale Gesetzgebung und -- die katholische Kirche geschaffen hat. Dieser
Sachwille muß jedoch, wenn er ein Segen sein soll, mit einer entschiedenen
Bejahung der Freiheit und Ursprünglichkeit des Individuums gepaart sein.
Deutschtum und Katholizismus schaffen zwar nicht so demokratische Formen und
Einrichtungen, wie der Geist der westeuropäischen Nationen, aber sie lassen den
Persönlichkeiten um so mehr innere Selbständigkeit. Das deutsche Wesen würde
sein Bestes verlieren, wenn es die innere Freiheit der Persönlichkeiten je ver¬
löre, und gerade in diesem Punkte könnte nach Lippert der Katholizismus
einen Schutzwall gegen den allzu üppig wuchernden Sozialismus und Demo-
kratismus bilden: "Im Wesen des Katholizismus liegt eine Art von Indivi¬
dualismus, die in der Inschrift auf dem Preysingstein im Walde bei Gautina,
zum Ausdruck kommt: .Stehen in Gottes Gnad, macht stehen allzeit grad'.
An der entscheidenden Stelle, wo es um den höchsten Lebenszweck sich handelt,
wird ein Eigenwert der Einzelpersönlichkeit behauptet, der alle Gememschafts-
zwecke überragt und in sich schließt. Ja selbst die Kirche ist ein Mittel, das
der Seele des einzelnen zu dienen hat; auch sie ist für den Menschen da. und
um des Heiles auch der geringsten Seele willen." Und drittens hebt Lippert


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Kräfte von innen

aber werden uns gewiß nicht beklagen. Denn wenn wir gerade in diesem
Jahre das Gedächtnis der deutschen Reformation doch auch in der spezifisch
nationalen Bedeutung dieses Ereignisses feiern wollen, so werden wir es den
Katholiken nicht verdenken, wenn sie die nationale Bedeutung ihres Geistes in
helleres Licht stellen. Der deutsche Geist braucht nicht nur die Hälfte seiner
Kräfte, sondern alle!

Zum ersten Male las ich den Gedanken von der besonderen Wesensver¬
wandtschaft des katholischen und des deutschen Geistes ausgesprochen und sehr
geschickt und wirkungsvoll begründet in dem glänzenden Aussatz „Deutsche Kultur
und Katholizismus", den der Jesuit Peter Lippert zu dem bekannten Werke
von Friedrich Thinae „Vom inneren Frieden des deutschen Volkes" beigesteuert
hat. Hier wird die reine Sachlichkeit als ein Grundzug des deutschen Wesens
gepriesen, jene Sachlichkeit, „der es nicht auf eine Geste oder Pose, nicht auf
den bloßen Schein ankommt, die von dem Eigenpersönlichen und Subjektiven
sich losgelöst hat, die mit grundsätzlichen Ernst und unverstellter wahrer Red¬
lichkeit der Sache und ihrem Werte sich hingibt und ihnen dient". Diese gleiche
Sachlichkeit, die alle Unordnung, alle Liederlichkeit des Arbeitens und alles
Scheinarbeiten verabscheut, zeichnet aber auch die katholische Religiosität aus,
die jede Abweichung von den objektiven Heilsnormen, jede unvollendete Durch¬
führung der Kulthandlungen als unzureichend abweist. Wenn man die katho¬
lische Religiosität als seelenlosen starren pharisäischen Buchstaben- und Gesetzes¬
dienst verdächtigt hat. meint Lippert. so waltet hier das gleiche Mißverständnis,
wie bei der Verdächtigung des deutschen Militarismus als eines seelenlosen
Drills. Es ist dieselbe Kraft des selbstverleugnenden Sachwillens, die das
deutsche Heer, die deutsche Beamtenschaft, die deutschen Kriegsorganisationen.
die soziale Gesetzgebung und — die katholische Kirche geschaffen hat. Dieser
Sachwille muß jedoch, wenn er ein Segen sein soll, mit einer entschiedenen
Bejahung der Freiheit und Ursprünglichkeit des Individuums gepaart sein.
Deutschtum und Katholizismus schaffen zwar nicht so demokratische Formen und
Einrichtungen, wie der Geist der westeuropäischen Nationen, aber sie lassen den
Persönlichkeiten um so mehr innere Selbständigkeit. Das deutsche Wesen würde
sein Bestes verlieren, wenn es die innere Freiheit der Persönlichkeiten je ver¬
löre, und gerade in diesem Punkte könnte nach Lippert der Katholizismus
einen Schutzwall gegen den allzu üppig wuchernden Sozialismus und Demo-
kratismus bilden: „Im Wesen des Katholizismus liegt eine Art von Indivi¬
dualismus, die in der Inschrift auf dem Preysingstein im Walde bei Gautina,
zum Ausdruck kommt: .Stehen in Gottes Gnad, macht stehen allzeit grad'.
An der entscheidenden Stelle, wo es um den höchsten Lebenszweck sich handelt,
wird ein Eigenwert der Einzelpersönlichkeit behauptet, der alle Gememschafts-
zwecke überragt und in sich schließt. Ja selbst die Kirche ist ein Mittel, das
der Seele des einzelnen zu dienen hat; auch sie ist für den Menschen da. und
um des Heiles auch der geringsten Seele willen." Und drittens hebt Lippert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/15>, abgerufen am 29.06.2024.