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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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erklärt im "Panther" dieGeroinnung von Kolonialland für die Bevölkerung Kongreß-
polens für notwendig und meint, solches liege vor den Toren Polens jenseits
des Bug, also im Gouvernement Grodno, auf das viele den Polen einen An¬
spruch zuerkennen, weil -- 4000 mit dem Königreich grenzende Quadratkilometer
von etwa 39000 von Polen bewohnt werden, während der Rest ja nur
weißrussisches Land sei. Als ob die Weißrussen nicht ebenso energisch wie die
Litauer gegen ihre Auslieferung an die Polen protestieren und gleichfalls ihr
Recht auf nationale Entwicklung, am liebsten unter deutschem Schutz, gewahrt
wissen möchten. Es ist unrichtig, wenn behauptet wird, Weißrußland sei in
einem recht weiten Umfange katholisiert und polonisiert. Um von Minsk,
Witebsk und Mohilew, wo die Weißrussen orthodox und die Polen nur ganz
spärlich vertreten sind, zu schweigen, gerade in Grodno gab es bei Gelegenheit
der Sprachenzählung von 1897 nur 10 Prozent Polen und nur 24 Prozent
römische Katholiken, also höchstens 14 Prozent der Bevölkerung konnten Wei߬
russen sein, die damals die kleinere Hälfte der Gesamtbevölkerung (fast
44 Prozent) bildeten, also überwiegend, wie auch Zensur "Litauen und seine
Probleme" betont, orthodox gewesen sein müssen; nur in dem Kreise Sokolka
machten nach Zensur die katholischen Weißrussen 68.2 Prozent, die orthodoxen
15,7 Prozent der Bevölkerung aus und nur in drei anderen -- westlichen --
Kreisen bildeten die Katholiken unter den Weißrussen ansehnliche Minoritäten,
sonst waren diese überall dem griechisch-katholischen Bekenntnis treu. Es ist
bedauerlich, daß so viele Deutsche, denen man ein selbständiges Urteil zutrauen
möchte, den polnischen und polenfreundlichen Darstellungen in deutscher Sprache
von der hohen Zahl der Polen und Katholiken im Westgebiet, von ihrem
sozialen und kulturellen Einfluß, von der Neigung der Ureinwohner, sich
polnischer Leitung anzuvertrauen und Polen zu werden, Glauben schenken, in
schlecht angebrachter Vertrauensseligkeit sie für zuverlässig genug halten, um
statt unser oder mit uns die Ostgrenze gegen den Ausdehnnngsdrang der
Großrussen zu schützen, und ihnen als Lohn dafür pi-aenumemnäo das
historische Litauen oder doch wenigstens Weißrußland auszuhändigen raten.
"Ist es denn so schwer, sich heute darüber zu informieren, daß die Polen im
Westgebiet, in "Ostpolen", wie sie es nennen, nicht mehr das Volk von Bildung
und Besitz sind? Ich habe seinerzeit in Ur. 9 der "Grenzboten" d. I. an der Hand
der Statistik nachgewiesen, daß dort von 472500 Quadratkilometern nur 4000
polnische Erde sind, daß dort hochgerechnet jeder zehnte Einwohner ein "Pole"
ist, daß die Polen im historischen Litauen am persönlichen kleinen und mittleren
Grundbesitz ganz schwach, am gesamten Grundbesitz, also überwiegend als Gro߬
grundbesitzer, polnischer Angabe zufolge, nur noch zu einem Siebentel beteiligt
sind. Ich habe an der angegebenen Stelle zugleich gezeigt, daß der geistige
geistliche Einfluß der Polen auf den katholischen Teil der Fremdstämmigen,
die Litauer und die Million Weißrussen, hinschwindet und ganz erlöschen würde,
wenn die deutsche Verwaltung ihnen Geistliche ihrer Nationalität gewährte, was


g>ur litauischen Frage

erklärt im „Panther" dieGeroinnung von Kolonialland für die Bevölkerung Kongreß-
polens für notwendig und meint, solches liege vor den Toren Polens jenseits
des Bug, also im Gouvernement Grodno, auf das viele den Polen einen An¬
spruch zuerkennen, weil — 4000 mit dem Königreich grenzende Quadratkilometer
von etwa 39000 von Polen bewohnt werden, während der Rest ja nur
weißrussisches Land sei. Als ob die Weißrussen nicht ebenso energisch wie die
Litauer gegen ihre Auslieferung an die Polen protestieren und gleichfalls ihr
Recht auf nationale Entwicklung, am liebsten unter deutschem Schutz, gewahrt
wissen möchten. Es ist unrichtig, wenn behauptet wird, Weißrußland sei in
einem recht weiten Umfange katholisiert und polonisiert. Um von Minsk,
Witebsk und Mohilew, wo die Weißrussen orthodox und die Polen nur ganz
spärlich vertreten sind, zu schweigen, gerade in Grodno gab es bei Gelegenheit
der Sprachenzählung von 1897 nur 10 Prozent Polen und nur 24 Prozent
römische Katholiken, also höchstens 14 Prozent der Bevölkerung konnten Wei߬
russen sein, die damals die kleinere Hälfte der Gesamtbevölkerung (fast
44 Prozent) bildeten, also überwiegend, wie auch Zensur „Litauen und seine
Probleme" betont, orthodox gewesen sein müssen; nur in dem Kreise Sokolka
machten nach Zensur die katholischen Weißrussen 68.2 Prozent, die orthodoxen
15,7 Prozent der Bevölkerung aus und nur in drei anderen — westlichen —
Kreisen bildeten die Katholiken unter den Weißrussen ansehnliche Minoritäten,
sonst waren diese überall dem griechisch-katholischen Bekenntnis treu. Es ist
bedauerlich, daß so viele Deutsche, denen man ein selbständiges Urteil zutrauen
möchte, den polnischen und polenfreundlichen Darstellungen in deutscher Sprache
von der hohen Zahl der Polen und Katholiken im Westgebiet, von ihrem
sozialen und kulturellen Einfluß, von der Neigung der Ureinwohner, sich
polnischer Leitung anzuvertrauen und Polen zu werden, Glauben schenken, in
schlecht angebrachter Vertrauensseligkeit sie für zuverlässig genug halten, um
statt unser oder mit uns die Ostgrenze gegen den Ausdehnnngsdrang der
Großrussen zu schützen, und ihnen als Lohn dafür pi-aenumemnäo das
historische Litauen oder doch wenigstens Weißrußland auszuhändigen raten.
„Ist es denn so schwer, sich heute darüber zu informieren, daß die Polen im
Westgebiet, in „Ostpolen", wie sie es nennen, nicht mehr das Volk von Bildung
und Besitz sind? Ich habe seinerzeit in Ur. 9 der „Grenzboten" d. I. an der Hand
der Statistik nachgewiesen, daß dort von 472500 Quadratkilometern nur 4000
polnische Erde sind, daß dort hochgerechnet jeder zehnte Einwohner ein „Pole"
ist, daß die Polen im historischen Litauen am persönlichen kleinen und mittleren
Grundbesitz ganz schwach, am gesamten Grundbesitz, also überwiegend als Gro߬
grundbesitzer, polnischer Angabe zufolge, nur noch zu einem Siebentel beteiligt
sind. Ich habe an der angegebenen Stelle zugleich gezeigt, daß der geistige
geistliche Einfluß der Polen auf den katholischen Teil der Fremdstämmigen,
die Litauer und die Million Weißrussen, hinschwindet und ganz erlöschen würde,
wenn die deutsche Verwaltung ihnen Geistliche ihrer Nationalität gewährte, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/156>, abgerufen am 01.07.2024.