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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Zur litauischen Frage

die russische Regierung seit 1863 mit dem Erfolge getan hat. daß die Zahl
der nationalpolnischen Geistlichen immer geringer wurde und die polonisierten
Litauer in Stadt und Land sich in stets wachsender Zahl zu ihren Bluts¬
genossen zurückfanden. Die Polen des Westgebietes waren und sind eben,
was in Deutschland nur wenige wissen, nicht Polen von Geblüt. Solche sind
und waren dort stets ganz selten. Doch davon ein andermal. Um zur Sache
Zurückzukehren: Wer die Polen, ihre Vergangenheit und ihre Psyche kennt,
wird mir zustimmen, wenn ich sage: Es ist ein Lebensinteresse für uns. daß
die Polen nirgends mit den Großrussen, sondern daß wir. Neupolen im Osten
flankierend, mit einem Ukrainerstaat grenzen, daß wir dem neuen Königreiche
die erstrebte Gelegenheit, sich zu einer Großmacht auf Kosten anderer Völker aus¬
zuwachsen, verwehren, ihm aber, den vielfach gehegten Zweifel an der staats-
nganisatorischen Befähigung der Polen zurückstellend, innerhalb feiner ethno¬
graphischen Grenzlinien möglichste Freiheit der Entwicklung lassen und nur
darauf bestehen, daß es engen Anschluß an das mitteleuropäische Wirtschafts¬
leben sucht, wozu es durch seine geographische Lage gezwungen ist und wovon
^ größeren Vorteil als wir haben würde.

Die Neigung vieler Deutschen, dem Ausdehnungsdrange der Polen viel
Land im Osten zu opfern, hat -- bewußt oder unbewußt -- die irrtümliche
Tiuffassung, die polnische Begehrlichkeit werde dann den preußischen Anteil ver¬
loren, zur Voraussetzung. Nur wer die Polen nicht kennt, kann so kalkulieren,
^ich mit dem ihnen von den Zentralmächten geschenkten, an Umfang und
Freiheit beschränkten Weichselstaat zu begnügen, der Gedanke liegt ihnen weiten-
l^n. Der galizische Polenklub beschloß vor mehreren Wochen in Krcckau,
wie leicht wahrnehmbarer Spitze gegen Preußen-Deutschland, in einer Vollver-
^wmlung und zwar einstimmig "die Wiederherstellung des unabhängigen geeinten
Polens durch den Zutritt zum Meere", deutlicher ausgedrückt "durch ein Stück
analisierter Weichsel zum Hafen von Danzig"; er forderte zugleich von Wien den
wfortigen Anschluß Galiziens, dessen Sonderstellung durch die Ereignisse über-
^t sei. Was sich zutrug, als dem Verlangen nicht sofort entsprochen wurde,
^be ich oben angedeutet. Bei uns in Preußen wird es in einem Abgeordneten¬
haus? des gleichen Wahlrechts für die dasDeutschtum schützendeOstmarkenpolitikBis-
warcks nie wieder eine Mehrheit geben; die polnischen Abgeordneten, deren Zahl auf
lunflmddreißig bis zweiundvierzig anschwellen wird, werden im Bunde mit
er Sozialdemokratie, dem Zentrum und den Freisinnigen, die nach einer
Äußerung Kindlers, des Vertreters der Stadt Posen, "nicht das geringste
Mißtrauen gegen sie haben", Gesetzgebung und Verwaltung zu polnischen
Gunsten beeinflussen, den Zusammenbruch des ostmärkischen Deutschtums (auch
^res Boykott) erreichen, aber auch dann nicht am Ziel ihrer Wünsche sein,
sie wollen, ja, solange unsere Ostmark polnisch durchsetzt ist, wollen müssen.
1 weit mehr; dies zu verhindern, ist nur dadurch möglich, daß das neue
"uigreich wie im Osten, so auch im Westen durch rein deutsches Land flankiert


Grenzboten I!I 1917 10
Zur litauischen Frage

die russische Regierung seit 1863 mit dem Erfolge getan hat. daß die Zahl
der nationalpolnischen Geistlichen immer geringer wurde und die polonisierten
Litauer in Stadt und Land sich in stets wachsender Zahl zu ihren Bluts¬
genossen zurückfanden. Die Polen des Westgebietes waren und sind eben,
was in Deutschland nur wenige wissen, nicht Polen von Geblüt. Solche sind
und waren dort stets ganz selten. Doch davon ein andermal. Um zur Sache
Zurückzukehren: Wer die Polen, ihre Vergangenheit und ihre Psyche kennt,
wird mir zustimmen, wenn ich sage: Es ist ein Lebensinteresse für uns. daß
die Polen nirgends mit den Großrussen, sondern daß wir. Neupolen im Osten
flankierend, mit einem Ukrainerstaat grenzen, daß wir dem neuen Königreiche
die erstrebte Gelegenheit, sich zu einer Großmacht auf Kosten anderer Völker aus¬
zuwachsen, verwehren, ihm aber, den vielfach gehegten Zweifel an der staats-
nganisatorischen Befähigung der Polen zurückstellend, innerhalb feiner ethno¬
graphischen Grenzlinien möglichste Freiheit der Entwicklung lassen und nur
darauf bestehen, daß es engen Anschluß an das mitteleuropäische Wirtschafts¬
leben sucht, wozu es durch seine geographische Lage gezwungen ist und wovon
^ größeren Vorteil als wir haben würde.

Die Neigung vieler Deutschen, dem Ausdehnungsdrange der Polen viel
Land im Osten zu opfern, hat — bewußt oder unbewußt — die irrtümliche
Tiuffassung, die polnische Begehrlichkeit werde dann den preußischen Anteil ver¬
loren, zur Voraussetzung. Nur wer die Polen nicht kennt, kann so kalkulieren,
^ich mit dem ihnen von den Zentralmächten geschenkten, an Umfang und
Freiheit beschränkten Weichselstaat zu begnügen, der Gedanke liegt ihnen weiten-
l^n. Der galizische Polenklub beschloß vor mehreren Wochen in Krcckau,
wie leicht wahrnehmbarer Spitze gegen Preußen-Deutschland, in einer Vollver-
^wmlung und zwar einstimmig „die Wiederherstellung des unabhängigen geeinten
Polens durch den Zutritt zum Meere", deutlicher ausgedrückt „durch ein Stück
analisierter Weichsel zum Hafen von Danzig"; er forderte zugleich von Wien den
wfortigen Anschluß Galiziens, dessen Sonderstellung durch die Ereignisse über-
^t sei. Was sich zutrug, als dem Verlangen nicht sofort entsprochen wurde,
^be ich oben angedeutet. Bei uns in Preußen wird es in einem Abgeordneten¬
haus? des gleichen Wahlrechts für die dasDeutschtum schützendeOstmarkenpolitikBis-
warcks nie wieder eine Mehrheit geben; die polnischen Abgeordneten, deren Zahl auf
lunflmddreißig bis zweiundvierzig anschwellen wird, werden im Bunde mit
er Sozialdemokratie, dem Zentrum und den Freisinnigen, die nach einer
Äußerung Kindlers, des Vertreters der Stadt Posen, „nicht das geringste
Mißtrauen gegen sie haben", Gesetzgebung und Verwaltung zu polnischen
Gunsten beeinflussen, den Zusammenbruch des ostmärkischen Deutschtums (auch
^res Boykott) erreichen, aber auch dann nicht am Ziel ihrer Wünsche sein,
sie wollen, ja, solange unsere Ostmark polnisch durchsetzt ist, wollen müssen.
1 weit mehr; dies zu verhindern, ist nur dadurch möglich, daß das neue
"uigreich wie im Osten, so auch im Westen durch rein deutsches Land flankiert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/157>, abgerufen am 01.07.2024.