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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Das belgischeAriegsziel und die Friedenserklärung desReichstagcs

Es muß abgewartet werden, ob mit der entflohenen belgischen Regierung
ein gültiger Friede zustande kommt. Darnach richtet sich die künftige Staats¬
form. Unter der Bedingung der nationalen Selbstverwaltung der flämischen
Provinzen ist an sich die Wiederherstellung eines Königreiches Belgien mit den
deutschen Interessen vereinbar. Zitelmann empfiehlt diese Lösung, wenn sie
möglich ist, als die günstigste. Man könnte aber auch an die Errichtung zweier
Nationalstaaten, Flandern und Wallonien, denken, die entweder durch die
Personalunion des Herrschers verbunden oder auch völlig getrennt und in diesem
Falle vielleicht am zweckmäßigsten Republiken sein könnten. Man könnte die
beiden Staatsgebilde auch etwa so stellen, wie England seine großen über¬
seeischen Tochterstaaten behandelt, d. h. man könnte sie bei sonstiger Selbständig¬
keit mit je einem kaiserlichen Statthalter als Staatsoberhaupt versehen. Diese
Art würde sich dem Vorschlage Bornhaks (Grenzboten 1916, Ur. 49) nähern,
den ich früher schon für diskutabel erklärt habe. Von einer Annexion müßte
man freilich auch dabei völlig absehen: an den beiden Schutzstaaten wäre nichts
weiter deutsch als das Staatsoberhaupt.*) Wir brauchen also um die Lösung
der belgischen Frage nicht besorgt zu sein: es finden sich Staatsformen mit
oder ohne das jetzige Königshaus und die jetzige Regierung. Ungeeignet sind
die Vorschläge Meisters, der Lüttich, Namur, Zeebrügge und Ostende direkt
annektieren, ein Stück Belgiens an Luxemburg geben und das übrige
in lauter kleine Kantone zerschlagen möchte, die zu einem flämischen und einem
wallonischen Bund zusammengefaßt werden sollen. Das würde sich nicht mit
der Erklärung des Reichstages vereinbaren lassen. Verdienstlich ist an den
Vorschlägen von Meister nur, daß er wieder mal daran erinnert, daß es um
Dünkirchen und Hazebrook auch noch ein französisches Flandern gibt, dessen
Abtretung man nach dem Nationalitätenprinzip unter Umständen verlangen
könnte. Die Ordnung der Dinge in Belgien wird in jeder Beziehung vor allem
von dem Grade unseres Sieges über England abhängen. Wir müssen uns auf
die Möglichkeit einrichten, je nach dem günstigen oder weniger günstigen Aus¬
gange des Krieges den Wünschen Englands weniger oder mehr Rechnung zu
tragen. Erreichen müssen wir unbedingt nur zweierlei: die beschriebene mili¬
tärisch-politisch-wirtschaftliche Sicherung unserer westlichen Flanke und die un¬
gestörte Fortentwicklung Flanderns als eines selbständigen nationalen Ver¬
waltungsgebietes.

Beides sind Ziele, die niemanden vergewaltigen, England am wenigsten,
aber auch die wohlverstandenen Volksinteressen Belgiens nicht. Beides dient



*) Aus flämischen Kreisen teilt man mir mit, daß bei dem Mangel an tüchtigen eigenen
Verwaltungsbeamten der Eintritt deutscher Beamter in die belgische Verwaltung segensreich
empfunden würde. Das Beispiel der Türkei zeigt, daß deutsche Beamte in fremden Diensten
tätig sein können, ohne die Selbständigkeit des fremden Staates zu beeinträchtigen. Ich
empfehle aufs neue für Belgien die Verwendung solcher Beamten, die der Bevölkerung inneres
Verständnis entgegenbringen, also z. B. katholischer Rheinländer.
Das belgischeAriegsziel und die Friedenserklärung desReichstagcs

Es muß abgewartet werden, ob mit der entflohenen belgischen Regierung
ein gültiger Friede zustande kommt. Darnach richtet sich die künftige Staats¬
form. Unter der Bedingung der nationalen Selbstverwaltung der flämischen
Provinzen ist an sich die Wiederherstellung eines Königreiches Belgien mit den
deutschen Interessen vereinbar. Zitelmann empfiehlt diese Lösung, wenn sie
möglich ist, als die günstigste. Man könnte aber auch an die Errichtung zweier
Nationalstaaten, Flandern und Wallonien, denken, die entweder durch die
Personalunion des Herrschers verbunden oder auch völlig getrennt und in diesem
Falle vielleicht am zweckmäßigsten Republiken sein könnten. Man könnte die
beiden Staatsgebilde auch etwa so stellen, wie England seine großen über¬
seeischen Tochterstaaten behandelt, d. h. man könnte sie bei sonstiger Selbständig¬
keit mit je einem kaiserlichen Statthalter als Staatsoberhaupt versehen. Diese
Art würde sich dem Vorschlage Bornhaks (Grenzboten 1916, Ur. 49) nähern,
den ich früher schon für diskutabel erklärt habe. Von einer Annexion müßte
man freilich auch dabei völlig absehen: an den beiden Schutzstaaten wäre nichts
weiter deutsch als das Staatsoberhaupt.*) Wir brauchen also um die Lösung
der belgischen Frage nicht besorgt zu sein: es finden sich Staatsformen mit
oder ohne das jetzige Königshaus und die jetzige Regierung. Ungeeignet sind
die Vorschläge Meisters, der Lüttich, Namur, Zeebrügge und Ostende direkt
annektieren, ein Stück Belgiens an Luxemburg geben und das übrige
in lauter kleine Kantone zerschlagen möchte, die zu einem flämischen und einem
wallonischen Bund zusammengefaßt werden sollen. Das würde sich nicht mit
der Erklärung des Reichstages vereinbaren lassen. Verdienstlich ist an den
Vorschlägen von Meister nur, daß er wieder mal daran erinnert, daß es um
Dünkirchen und Hazebrook auch noch ein französisches Flandern gibt, dessen
Abtretung man nach dem Nationalitätenprinzip unter Umständen verlangen
könnte. Die Ordnung der Dinge in Belgien wird in jeder Beziehung vor allem
von dem Grade unseres Sieges über England abhängen. Wir müssen uns auf
die Möglichkeit einrichten, je nach dem günstigen oder weniger günstigen Aus¬
gange des Krieges den Wünschen Englands weniger oder mehr Rechnung zu
tragen. Erreichen müssen wir unbedingt nur zweierlei: die beschriebene mili¬
tärisch-politisch-wirtschaftliche Sicherung unserer westlichen Flanke und die un¬
gestörte Fortentwicklung Flanderns als eines selbständigen nationalen Ver¬
waltungsgebietes.

Beides sind Ziele, die niemanden vergewaltigen, England am wenigsten,
aber auch die wohlverstandenen Volksinteressen Belgiens nicht. Beides dient



*) Aus flämischen Kreisen teilt man mir mit, daß bei dem Mangel an tüchtigen eigenen
Verwaltungsbeamten der Eintritt deutscher Beamter in die belgische Verwaltung segensreich
empfunden würde. Das Beispiel der Türkei zeigt, daß deutsche Beamte in fremden Diensten
tätig sein können, ohne die Selbständigkeit des fremden Staates zu beeinträchtigen. Ich
empfehle aufs neue für Belgien die Verwendung solcher Beamten, die der Bevölkerung inneres
Verständnis entgegenbringen, also z. B. katholischer Rheinländer.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/150>, abgerufen am 01.07.2024.