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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Rahmen der speziell sogenannten Nationalliberalen Partei hinaus! -- und die
kleindeutsche Geschichtsschreibung eines Sybel oder Treitschke vertraten niemals
die Meinung des ganzen Volkes. Die Demokratie, die sich eben damals vom cicht-
undvierziger Radikalismus zur Sozialdemokratie umbildete, mußte bis zum Aus¬
bruche des Weltkrieges als "antinational" behandelt werden. In zweiter Linie
stand auch der politische Katholizismus unter den "Reichsfeinden". Was ihn
anlangt, so liegen insofern die Dinge etwas anders, als die kluge Zentrums¬
politik schon längst es verstanden hat, auf die Reichsregierung maßgebenden
Einfluß zu gewinnen, und auch schon längst das katholische Volk dazu erzogen
hat, den nationalpolitischen Aufstieg Deutschlands mit innerem Anteil mitzu¬
machen. Noch immer benutzten zwar nationalistische, liberale und konfessionell¬
evangelische Blätter im politischen Kampfe gern das naheliegende Agitations¬
mittel, das Zentrum oder die römische Kirche selber wegen ihrer ausländischen
höchsten Autorität als nicht waschecht national hinzustellen; aber wer die deutschen
Katholiken wirklich kannte, der wußte, daß sie recht hatten, wenn sie von sich
sagten: "An nationalem Bewußtsein stehen wir hinter niemandem zurück, auch
wenn wir treue Söhne unserer Kirche sind." Ich bin also durchaus nicht der
Meinung, daß erst der Krieg hätte kommen müssen, um den deutschen Katho¬
lizismus in den Dienst des nationalen Gedankens zu stellen. Wenn ich aber
trotzdem so etwas wie eine gewisse Nationalisierung gerade auch des spezifisch
katholischen Geistes durch den Krieg zu bemerken glaube, und eben von dieser
Beobachtung im folgenden noch etwas näher sprechen möchte, so veranlaßt mich
dazu die Verwandlung zweier unscheinbarer Worte in dem oben formulierten
nationalen Bekenntnis. Es scheint immer mehr, als wollten die geistigen
Führer gerade eines recht konsequenten Katholizismus die Worte "Auch wenn"
durch ein "Gerade weil" ersetzen: "An nationalem. Bewußtsein stehen wir hinter
niemandem zurück, gerade weil wir treue Söhne unserer Kirche sind." Bisher
legten bekanntlich die Protestanten Wert daraus, daß ihr Luthergeist etwas be¬
sonders echt Deutsches sei. Politisch-anthropologische Rassentheoretiker evan¬
gelischer Konfession glaubten sogar, daß die protestantische Religiosität dem
germanischen Nassencharakter ur- und wesensverwandt sei, und der Evangelische
Bund nebst den ihm nahestehenden Organisationen hat häufig den im evan¬
gelischen Bürgertum recht erlahmten kirchlichen Eifer mit dem Feldgeschrei
"Deutsch-evangelisch!" aufzurütteln versucht. Es muß uns mit lebhaftem
Interesse erfüllen, wenn man jetzt im Kriege mit großer Entschiedenheit von
geistig führenden Katholiken auf die Wesensverwandtschaft gerade der spezifisch
katholischen Religiosität mit dem deutschen Geiste hingewiesen wird. Vom
nationalpolitischen Standpunkte aus begrüße ich darin ein überaus erfreuliches
Symptom. Die Vorteile, die ein vollständiger innerer Einklang des katho¬
lischen mit dem deutschen Geistesideal für die kulturpolitische Fernwirkung des
deutschen Geistes auf die anderen Völker und die zukünftige Geistesgeschichte
überhaupt uns bringen müßte, sind kaum zu überschätzen. Wir Protestanten


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Rahmen der speziell sogenannten Nationalliberalen Partei hinaus! — und die
kleindeutsche Geschichtsschreibung eines Sybel oder Treitschke vertraten niemals
die Meinung des ganzen Volkes. Die Demokratie, die sich eben damals vom cicht-
undvierziger Radikalismus zur Sozialdemokratie umbildete, mußte bis zum Aus¬
bruche des Weltkrieges als „antinational" behandelt werden. In zweiter Linie
stand auch der politische Katholizismus unter den „Reichsfeinden". Was ihn
anlangt, so liegen insofern die Dinge etwas anders, als die kluge Zentrums¬
politik schon längst es verstanden hat, auf die Reichsregierung maßgebenden
Einfluß zu gewinnen, und auch schon längst das katholische Volk dazu erzogen
hat, den nationalpolitischen Aufstieg Deutschlands mit innerem Anteil mitzu¬
machen. Noch immer benutzten zwar nationalistische, liberale und konfessionell¬
evangelische Blätter im politischen Kampfe gern das naheliegende Agitations¬
mittel, das Zentrum oder die römische Kirche selber wegen ihrer ausländischen
höchsten Autorität als nicht waschecht national hinzustellen; aber wer die deutschen
Katholiken wirklich kannte, der wußte, daß sie recht hatten, wenn sie von sich
sagten: „An nationalem Bewußtsein stehen wir hinter niemandem zurück, auch
wenn wir treue Söhne unserer Kirche sind." Ich bin also durchaus nicht der
Meinung, daß erst der Krieg hätte kommen müssen, um den deutschen Katho¬
lizismus in den Dienst des nationalen Gedankens zu stellen. Wenn ich aber
trotzdem so etwas wie eine gewisse Nationalisierung gerade auch des spezifisch
katholischen Geistes durch den Krieg zu bemerken glaube, und eben von dieser
Beobachtung im folgenden noch etwas näher sprechen möchte, so veranlaßt mich
dazu die Verwandlung zweier unscheinbarer Worte in dem oben formulierten
nationalen Bekenntnis. Es scheint immer mehr, als wollten die geistigen
Führer gerade eines recht konsequenten Katholizismus die Worte „Auch wenn"
durch ein „Gerade weil" ersetzen: „An nationalem. Bewußtsein stehen wir hinter
niemandem zurück, gerade weil wir treue Söhne unserer Kirche sind." Bisher
legten bekanntlich die Protestanten Wert daraus, daß ihr Luthergeist etwas be¬
sonders echt Deutsches sei. Politisch-anthropologische Rassentheoretiker evan¬
gelischer Konfession glaubten sogar, daß die protestantische Religiosität dem
germanischen Nassencharakter ur- und wesensverwandt sei, und der Evangelische
Bund nebst den ihm nahestehenden Organisationen hat häufig den im evan¬
gelischen Bürgertum recht erlahmten kirchlichen Eifer mit dem Feldgeschrei
„Deutsch-evangelisch!" aufzurütteln versucht. Es muß uns mit lebhaftem
Interesse erfüllen, wenn man jetzt im Kriege mit großer Entschiedenheit von
geistig führenden Katholiken auf die Wesensverwandtschaft gerade der spezifisch
katholischen Religiosität mit dem deutschen Geiste hingewiesen wird. Vom
nationalpolitischen Standpunkte aus begrüße ich darin ein überaus erfreuliches
Symptom. Die Vorteile, die ein vollständiger innerer Einklang des katho¬
lischen mit dem deutschen Geistesideal für die kulturpolitische Fernwirkung des
deutschen Geistes auf die anderen Völker und die zukünftige Geistesgeschichte
überhaupt uns bringen müßte, sind kaum zu überschätzen. Wir Protestanten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/14>, abgerufen am 29.06.2024.