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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Zum Kanzlerwechsel

Haltung in Wort und Entschluß viele zurückgescheucht, durch seine Vorurteils¬
losigkeit gegenüber den Parteien sich gerade die Kreise entfremdet, auf die er
sich doch innerlich durch seine Überzeugung angewiesen sah. Daß er unbeirrt
seinen Weg ging, gereicht ihm zur Ehre, aber, einmal zur Besiegung der
Widerstände genötigt, hätte er nun selbst stärkere Waffen aufbringen und be¬
nutzen müssen, als bloß das Bewußtsein seiner eigenen besseren Einsicht und
seines Rechtes. Er erschwerte durch seine Zurückhaltung die Arbeit auch denen,
die ihn unterstützen wollten.

Und deren gab es viele trotz der verbissenen Gegnerschaft der Parteien,
nicht nur um seiner Person, sondern vor allem der Sache willen. Ich habe
mich darüber schon einmal in den "Grenzboten" ausgesprochen, als vor einem
Jahre das heftige Drängen um Freigabe der Kriegszielerörterung einen Gipfel¬
punkt erreichte (75. Jahrgang, Heft 31 vom 2. August 1916). Leider habe
ich mit meinen damaligen Warnungen recht behalten.

Haben wir wenigstens in einigen Hauptzügen zu beurteilen versucht, was
an wahren und falschen Gründen die wachsende Gegnerschaft gegen Herrn
von Bethmann Hollweg verursachte, so müssen wir nun die Betonung auf die
andere Seite verlegen und fragen: War es notwendig, die Dinge so weit zu
treiben, daß ein Mann wie Bethmann Hollweg mitten in dieser kritischen Zeit
vom Platze weichen mußte?

Es gibt recht viele gute Deutsche, die der Meinung sind, diese Notwen¬
digkeit habe nicht vorgelegen, und ferner betonen, daß nur die dringendsten
Gründe einen solchen Kampf gegen den Kanzler hätten rechtfertigen können.
Derartige Gründe sind aber nicht vorhanden. Abweichende Meinungen über
einzelne, ungenau bekannte und in falscher Form verbreitete Tatsachen sind
kein Beweismaterial, auf Grund dessen man in der schwierigen Lage, in der
sich unser Reich während des Krieges befindet, dem Feinde ein für ihn herz¬
erfreuendes Schauspiel gibt. Hat man sich doch sogar nicht geschämt, sich auf
einen Bericht des englischen Blaubuchs zu stützen, um dem Reichskanzler einen
Vorwurf zu machen, daß er sich in einem wichtigen Augenblick nicht als der
"starke Mann" gezeigt habe!

Darüber zur Kennzeichnung einige Bemerkungen. Die englische Regie¬
rung hatte die Akten über den Kriegsausbruch, soweit sie zur Mitteilung an
die Öffentlichkeit bestimmt wurden, nicht sogleich als "Blaubuch" drucken lassen,
sondern in Form eines "Weißbuchs", das zunächst nur für das Parlament
bestimmt war. Dieses Weißbuch enthielt nichts von der Unterredung des
Berliner Botschafters Goschen mit unserm Reichskanzler. Erst als das Blau¬
buch erschien, wurde der Bericht aufgenommen, dessen Verwertbarkeit man also
in England selbst erst nachträglich erkannt hatte. Die Aktenstücke sind im
Londoner Auswärtigen Amt sorgfältig durchgesehen und zum Teil "umredigiert"
worden. Sie sind also, namentlich soweit sie einen Schriftwechsel zwischen
englischen Behörden darstellen, für uns kein Beweismaterial. In jener Unter-


Zum Kanzlerwechsel

Haltung in Wort und Entschluß viele zurückgescheucht, durch seine Vorurteils¬
losigkeit gegenüber den Parteien sich gerade die Kreise entfremdet, auf die er
sich doch innerlich durch seine Überzeugung angewiesen sah. Daß er unbeirrt
seinen Weg ging, gereicht ihm zur Ehre, aber, einmal zur Besiegung der
Widerstände genötigt, hätte er nun selbst stärkere Waffen aufbringen und be¬
nutzen müssen, als bloß das Bewußtsein seiner eigenen besseren Einsicht und
seines Rechtes. Er erschwerte durch seine Zurückhaltung die Arbeit auch denen,
die ihn unterstützen wollten.

Und deren gab es viele trotz der verbissenen Gegnerschaft der Parteien,
nicht nur um seiner Person, sondern vor allem der Sache willen. Ich habe
mich darüber schon einmal in den „Grenzboten" ausgesprochen, als vor einem
Jahre das heftige Drängen um Freigabe der Kriegszielerörterung einen Gipfel¬
punkt erreichte (75. Jahrgang, Heft 31 vom 2. August 1916). Leider habe
ich mit meinen damaligen Warnungen recht behalten.

Haben wir wenigstens in einigen Hauptzügen zu beurteilen versucht, was
an wahren und falschen Gründen die wachsende Gegnerschaft gegen Herrn
von Bethmann Hollweg verursachte, so müssen wir nun die Betonung auf die
andere Seite verlegen und fragen: War es notwendig, die Dinge so weit zu
treiben, daß ein Mann wie Bethmann Hollweg mitten in dieser kritischen Zeit
vom Platze weichen mußte?

Es gibt recht viele gute Deutsche, die der Meinung sind, diese Notwen¬
digkeit habe nicht vorgelegen, und ferner betonen, daß nur die dringendsten
Gründe einen solchen Kampf gegen den Kanzler hätten rechtfertigen können.
Derartige Gründe sind aber nicht vorhanden. Abweichende Meinungen über
einzelne, ungenau bekannte und in falscher Form verbreitete Tatsachen sind
kein Beweismaterial, auf Grund dessen man in der schwierigen Lage, in der
sich unser Reich während des Krieges befindet, dem Feinde ein für ihn herz¬
erfreuendes Schauspiel gibt. Hat man sich doch sogar nicht geschämt, sich auf
einen Bericht des englischen Blaubuchs zu stützen, um dem Reichskanzler einen
Vorwurf zu machen, daß er sich in einem wichtigen Augenblick nicht als der
„starke Mann" gezeigt habe!

Darüber zur Kennzeichnung einige Bemerkungen. Die englische Regie¬
rung hatte die Akten über den Kriegsausbruch, soweit sie zur Mitteilung an
die Öffentlichkeit bestimmt wurden, nicht sogleich als „Blaubuch" drucken lassen,
sondern in Form eines „Weißbuchs", das zunächst nur für das Parlament
bestimmt war. Dieses Weißbuch enthielt nichts von der Unterredung des
Berliner Botschafters Goschen mit unserm Reichskanzler. Erst als das Blau¬
buch erschien, wurde der Bericht aufgenommen, dessen Verwertbarkeit man also
in England selbst erst nachträglich erkannt hatte. Die Aktenstücke sind im
Londoner Auswärtigen Amt sorgfältig durchgesehen und zum Teil „umredigiert"
worden. Sie sind also, namentlich soweit sie einen Schriftwechsel zwischen
englischen Behörden darstellen, für uns kein Beweismaterial. In jener Unter-


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[0116] Zum Kanzlerwechsel Haltung in Wort und Entschluß viele zurückgescheucht, durch seine Vorurteils¬ losigkeit gegenüber den Parteien sich gerade die Kreise entfremdet, auf die er sich doch innerlich durch seine Überzeugung angewiesen sah. Daß er unbeirrt seinen Weg ging, gereicht ihm zur Ehre, aber, einmal zur Besiegung der Widerstände genötigt, hätte er nun selbst stärkere Waffen aufbringen und be¬ nutzen müssen, als bloß das Bewußtsein seiner eigenen besseren Einsicht und seines Rechtes. Er erschwerte durch seine Zurückhaltung die Arbeit auch denen, die ihn unterstützen wollten. Und deren gab es viele trotz der verbissenen Gegnerschaft der Parteien, nicht nur um seiner Person, sondern vor allem der Sache willen. Ich habe mich darüber schon einmal in den „Grenzboten" ausgesprochen, als vor einem Jahre das heftige Drängen um Freigabe der Kriegszielerörterung einen Gipfel¬ punkt erreichte (75. Jahrgang, Heft 31 vom 2. August 1916). Leider habe ich mit meinen damaligen Warnungen recht behalten. Haben wir wenigstens in einigen Hauptzügen zu beurteilen versucht, was an wahren und falschen Gründen die wachsende Gegnerschaft gegen Herrn von Bethmann Hollweg verursachte, so müssen wir nun die Betonung auf die andere Seite verlegen und fragen: War es notwendig, die Dinge so weit zu treiben, daß ein Mann wie Bethmann Hollweg mitten in dieser kritischen Zeit vom Platze weichen mußte? Es gibt recht viele gute Deutsche, die der Meinung sind, diese Notwen¬ digkeit habe nicht vorgelegen, und ferner betonen, daß nur die dringendsten Gründe einen solchen Kampf gegen den Kanzler hätten rechtfertigen können. Derartige Gründe sind aber nicht vorhanden. Abweichende Meinungen über einzelne, ungenau bekannte und in falscher Form verbreitete Tatsachen sind kein Beweismaterial, auf Grund dessen man in der schwierigen Lage, in der sich unser Reich während des Krieges befindet, dem Feinde ein für ihn herz¬ erfreuendes Schauspiel gibt. Hat man sich doch sogar nicht geschämt, sich auf einen Bericht des englischen Blaubuchs zu stützen, um dem Reichskanzler einen Vorwurf zu machen, daß er sich in einem wichtigen Augenblick nicht als der „starke Mann" gezeigt habe! Darüber zur Kennzeichnung einige Bemerkungen. Die englische Regie¬ rung hatte die Akten über den Kriegsausbruch, soweit sie zur Mitteilung an die Öffentlichkeit bestimmt wurden, nicht sogleich als „Blaubuch" drucken lassen, sondern in Form eines „Weißbuchs", das zunächst nur für das Parlament bestimmt war. Dieses Weißbuch enthielt nichts von der Unterredung des Berliner Botschafters Goschen mit unserm Reichskanzler. Erst als das Blau¬ buch erschien, wurde der Bericht aufgenommen, dessen Verwertbarkeit man also in England selbst erst nachträglich erkannt hatte. Die Aktenstücke sind im Londoner Auswärtigen Amt sorgfältig durchgesehen und zum Teil „umredigiert" worden. Sie sind also, namentlich soweit sie einen Schriftwechsel zwischen englischen Behörden darstellen, für uns kein Beweismaterial. In jener Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/116>, abgerufen am 01.07.2024.