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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Zum Ranzlerwechsel

redung soll Bethmann ganz außer sich gewesen sein und dem Botschafter ge¬
klagt haben, daß nun seine Politik wie ein Kartenhaus zusammengebrochen sei.
Wie kann man eine solche Äußerung, in der es auf den Zusammenhang des
Gesprächs, auf Ton und Färbung ankommt, gegen einen Mann verwerten,
wenn man das alles nur aus einem wahrscheinlich gefälschten Bericht von
feindlicher Seite kennt? Das Wahrscheinliche ist doch, daß das Gespräch der
beiden Männer eine Wendung nahm, die bei den bisherigen guten persönlichen
Beziehungen natürlich war. Herr von Bethmann selbst hat im Reichstag er¬
klärt, daß Goschen es war. der zuerst" das plötzliche Aufhören dieser Be¬
ziehungen beklagte, woran sich die Gegenbemerkung Bethmanns, daß auch er
den Zusammenbruch der in den letzten Jahren befolgten Politik beklage, in
einem viel harmloseren Sinne anschließt. Alles andere ist englische Zutat aus
Downing Street, und es ist eine Schande, wenn wir Deutsche ihr mehr Glauben
schenken als einem amtlichen Wort unseres höchsten Neichsbeamten. Wenn aber die
tiefe Erregung, in der sich der Reichskanzler befand, mit bissigen Hohn als
"Schwäche" gekennzeichnet wird, so ist es freilich leicht, vom Schreibtisch oder
von der sicheren Reichstagstribüne aus diese Schwäche zu brandmarken, wenn
man niemals in die Lage gekommen ist, in einem weltgeschichtlichen Augen¬
blick die Verantwortung für das Schicksal des Vaterlandes und ein Volk von
siebzig Millionen zu tragen. Auch ganz große Männer find in solchen Augen¬
blicken von fiebernder Erregung nicht frei gewesen.

Ein solcher Großer war der Reichskanzler nicht und hat auch niemals
beansprucht es zu sein. Wir aber haben uns seit Bismarck angewöhnt, vom
lieben Herrgott und vom Schicksal für solche Augenblicke immer einen großen
Mann "anzufordern". Und wenn er nicht da ist. so benehmen wir uns wie
unmündige Kinder, die sich selbst überlassen sind, auf die Gefahr hin. daß
ringsum alles in tausend Stücke geht. Wäre es nicht richtiger, sich darauf
einzurichten, daß wir, wie es doch in den meisten andern Staaten möglich ist,
auch dann eine erfolgreiche Politik machen, wenn keine überragende Größe die
Reichsgeschäfte führt? Man wird sagen: Deshalb wird ja von der Mehrheit
der Parteien eine stärkere Einflußnahme des Reichstags auf die gesamte
Politik gefordert. Aber so, wie diese Forderung gewöhnlich verstanden wird,
bedeutet sie eine trügerische Lösung. Denn sie würde, wenn sie nur in einer
Vermehrung äußerer Rechte bestände, das Gegenteil von dem Erwünschten
bewirken, wie sich jetzt sehr bald in den Folgen des unnötigen Kanzlerwechsels
und der damit zusammenhängenden Übeln "Friedensresolution" zeigen wird.
Unser Reich leidet noch an dem Mangel einer festen Überlieferung und an der
Rechthaberei der Parteien, die aus jeder Meinungsverschiedenheit eine Welt-
auschauungs- und Gewisse'nsfrage machen. Unter solchen Umständen wird der
Reichstag nur dann an Ansehen und Einfluß gewinnen können, wenn er die
Kraft zeigt, etwaige Mängel der verantwortlichen Reichsleitung auszugleichen
und diese zu ergänzen. Von dieser Fähigkeit hat er während der Kanzlerkrisis


Zum Ranzlerwechsel

redung soll Bethmann ganz außer sich gewesen sein und dem Botschafter ge¬
klagt haben, daß nun seine Politik wie ein Kartenhaus zusammengebrochen sei.
Wie kann man eine solche Äußerung, in der es auf den Zusammenhang des
Gesprächs, auf Ton und Färbung ankommt, gegen einen Mann verwerten,
wenn man das alles nur aus einem wahrscheinlich gefälschten Bericht von
feindlicher Seite kennt? Das Wahrscheinliche ist doch, daß das Gespräch der
beiden Männer eine Wendung nahm, die bei den bisherigen guten persönlichen
Beziehungen natürlich war. Herr von Bethmann selbst hat im Reichstag er¬
klärt, daß Goschen es war. der zuerst" das plötzliche Aufhören dieser Be¬
ziehungen beklagte, woran sich die Gegenbemerkung Bethmanns, daß auch er
den Zusammenbruch der in den letzten Jahren befolgten Politik beklage, in
einem viel harmloseren Sinne anschließt. Alles andere ist englische Zutat aus
Downing Street, und es ist eine Schande, wenn wir Deutsche ihr mehr Glauben
schenken als einem amtlichen Wort unseres höchsten Neichsbeamten. Wenn aber die
tiefe Erregung, in der sich der Reichskanzler befand, mit bissigen Hohn als
»Schwäche" gekennzeichnet wird, so ist es freilich leicht, vom Schreibtisch oder
von der sicheren Reichstagstribüne aus diese Schwäche zu brandmarken, wenn
man niemals in die Lage gekommen ist, in einem weltgeschichtlichen Augen¬
blick die Verantwortung für das Schicksal des Vaterlandes und ein Volk von
siebzig Millionen zu tragen. Auch ganz große Männer find in solchen Augen¬
blicken von fiebernder Erregung nicht frei gewesen.

Ein solcher Großer war der Reichskanzler nicht und hat auch niemals
beansprucht es zu sein. Wir aber haben uns seit Bismarck angewöhnt, vom
lieben Herrgott und vom Schicksal für solche Augenblicke immer einen großen
Mann „anzufordern". Und wenn er nicht da ist. so benehmen wir uns wie
unmündige Kinder, die sich selbst überlassen sind, auf die Gefahr hin. daß
ringsum alles in tausend Stücke geht. Wäre es nicht richtiger, sich darauf
einzurichten, daß wir, wie es doch in den meisten andern Staaten möglich ist,
auch dann eine erfolgreiche Politik machen, wenn keine überragende Größe die
Reichsgeschäfte führt? Man wird sagen: Deshalb wird ja von der Mehrheit
der Parteien eine stärkere Einflußnahme des Reichstags auf die gesamte
Politik gefordert. Aber so, wie diese Forderung gewöhnlich verstanden wird,
bedeutet sie eine trügerische Lösung. Denn sie würde, wenn sie nur in einer
Vermehrung äußerer Rechte bestände, das Gegenteil von dem Erwünschten
bewirken, wie sich jetzt sehr bald in den Folgen des unnötigen Kanzlerwechsels
und der damit zusammenhängenden Übeln „Friedensresolution" zeigen wird.
Unser Reich leidet noch an dem Mangel einer festen Überlieferung und an der
Rechthaberei der Parteien, die aus jeder Meinungsverschiedenheit eine Welt-
auschauungs- und Gewisse'nsfrage machen. Unter solchen Umständen wird der
Reichstag nur dann an Ansehen und Einfluß gewinnen können, wenn er die
Kraft zeigt, etwaige Mängel der verantwortlichen Reichsleitung auszugleichen
und diese zu ergänzen. Von dieser Fähigkeit hat er während der Kanzlerkrisis


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[0117] Zum Ranzlerwechsel redung soll Bethmann ganz außer sich gewesen sein und dem Botschafter ge¬ klagt haben, daß nun seine Politik wie ein Kartenhaus zusammengebrochen sei. Wie kann man eine solche Äußerung, in der es auf den Zusammenhang des Gesprächs, auf Ton und Färbung ankommt, gegen einen Mann verwerten, wenn man das alles nur aus einem wahrscheinlich gefälschten Bericht von feindlicher Seite kennt? Das Wahrscheinliche ist doch, daß das Gespräch der beiden Männer eine Wendung nahm, die bei den bisherigen guten persönlichen Beziehungen natürlich war. Herr von Bethmann selbst hat im Reichstag er¬ klärt, daß Goschen es war. der zuerst" das plötzliche Aufhören dieser Be¬ ziehungen beklagte, woran sich die Gegenbemerkung Bethmanns, daß auch er den Zusammenbruch der in den letzten Jahren befolgten Politik beklage, in einem viel harmloseren Sinne anschließt. Alles andere ist englische Zutat aus Downing Street, und es ist eine Schande, wenn wir Deutsche ihr mehr Glauben schenken als einem amtlichen Wort unseres höchsten Neichsbeamten. Wenn aber die tiefe Erregung, in der sich der Reichskanzler befand, mit bissigen Hohn als »Schwäche" gekennzeichnet wird, so ist es freilich leicht, vom Schreibtisch oder von der sicheren Reichstagstribüne aus diese Schwäche zu brandmarken, wenn man niemals in die Lage gekommen ist, in einem weltgeschichtlichen Augen¬ blick die Verantwortung für das Schicksal des Vaterlandes und ein Volk von siebzig Millionen zu tragen. Auch ganz große Männer find in solchen Augen¬ blicken von fiebernder Erregung nicht frei gewesen. Ein solcher Großer war der Reichskanzler nicht und hat auch niemals beansprucht es zu sein. Wir aber haben uns seit Bismarck angewöhnt, vom lieben Herrgott und vom Schicksal für solche Augenblicke immer einen großen Mann „anzufordern". Und wenn er nicht da ist. so benehmen wir uns wie unmündige Kinder, die sich selbst überlassen sind, auf die Gefahr hin. daß ringsum alles in tausend Stücke geht. Wäre es nicht richtiger, sich darauf einzurichten, daß wir, wie es doch in den meisten andern Staaten möglich ist, auch dann eine erfolgreiche Politik machen, wenn keine überragende Größe die Reichsgeschäfte führt? Man wird sagen: Deshalb wird ja von der Mehrheit der Parteien eine stärkere Einflußnahme des Reichstags auf die gesamte Politik gefordert. Aber so, wie diese Forderung gewöhnlich verstanden wird, bedeutet sie eine trügerische Lösung. Denn sie würde, wenn sie nur in einer Vermehrung äußerer Rechte bestände, das Gegenteil von dem Erwünschten bewirken, wie sich jetzt sehr bald in den Folgen des unnötigen Kanzlerwechsels und der damit zusammenhängenden Übeln „Friedensresolution" zeigen wird. Unser Reich leidet noch an dem Mangel einer festen Überlieferung und an der Rechthaberei der Parteien, die aus jeder Meinungsverschiedenheit eine Welt- auschauungs- und Gewisse'nsfrage machen. Unter solchen Umständen wird der Reichstag nur dann an Ansehen und Einfluß gewinnen können, wenn er die Kraft zeigt, etwaige Mängel der verantwortlichen Reichsleitung auszugleichen und diese zu ergänzen. Von dieser Fähigkeit hat er während der Kanzlerkrisis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/117>, abgerufen am 01.07.2024.