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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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standen. Aber es bleiben Verdienste genug, um ihm den Anspruch auf ge¬
rechtere Beurteilung zu sichern. Es darf ihm vor allem nicht vergessen werden,
daß er in der inneren Politik viel ausgeglichen und vorwärts gebracht hat,
und zwar unter dem vollen Einsatz seiner Persönlichkeit. Denn er hat dabei
besonders viel Feindschaft auf sich genommen, die er nicht verdiente.

Dabei brauchen wir nicht blind zu sein gegen die Schwächen, die ihm
wirklich anhasteten. AIs Staatsmann traf er in seinen Zielen das Richtige
und e' kannte auch den rechten Weg. Aber es fehlte ihm ein Drittes, was
auch dazu gehört; man mag es die "Aufmachung", die "Regie" nennen.
Darauf beruhten die meisten seiner Mißerfolge, wenn nicht alle. Er bildete
wohl das staatsmännische in sich -- was er in reichem Maße besaß -- nach
den Idealen, die er als Mensch in Kopf und Herzen trug und unter denen
die treue Hingebung an das Staatswohl, an seinen Kaiser und sein Volk
obenan stand. Aber er vermochte nicht den Staatsmann in sich, wie es doch
sein muß, aus dem Individuellen herauszulösen und ihn zu einem reinen
Werkzeug des Staatszwecks und der Staatsidee zu machen. Darum konnte
er sich nie anders geben, als seinem menschlichen Empfinden entsprach. So
erweckte er überall Vertrauen, aber wirkte nirgends bezwingend. Während
dieses Krieges war vielleicht kein Staatsmann so geeignet, das Verhältnis zu
unseren Verbündeten, die durch ihr Interesse und die politische Lage an unsere
Seite geführt wurden, zu befestigen und zu vertiefen, wie Herr von Bethmann
Hollweg. Sonst aber hatte er bei aller menschlichen Liebenswürdigkeit nicht
die Gabe des geborenen Diplomaten, aus seinem Gegenüber alles heraus¬
zuholen, während er selbst bei freiestem Sichgeben die Zugänge zu seinem
Innern sorgfältig verschlossen hält. Es entsprang vielleicht der Selbsterkenntnis,
wenn er sich solchen Lagen nur soweit aussetzte, als es nicht zu vermeiden
war. Die Presse hielt er sich weit vom Leibe, obwohl er zu klug war und
ZU modern dachte, um nicht ihre Bedeutung zu erkennen. Er konnte sich darin
nicht ganz loslösen von dem Standpunkt des typischen preußischen Beamten,
der die Notwendigkeit der Presse einsteht, aber sie doch innerlich zu allen
Teufeln wünscht und höchstens sich zu einem Gönnerstandpunkt aufschwingt,
soweit sie seinem Kommando gehorcht. Zu den schwersten Fehlern Bethmanns
während des Krieges gehörte es unstreitig, daß er den Mißbrauch der not¬
wendigen militärischen Zensur zu einer politischen Zensur duldete, die einflu߬
reiche Presse dadurch verärgern und des öffentlichen Vertrauens sowie der
inneren Unabhängigkeit berauben, sich selbst aber ein wichtiges Werkzeug un-
tauglich machen ließ, das bei geschickterer und vertrauensvollerer Behandlung
wahrscheinlich dem Kanzler und dem deutschen Volke schwere Stunden erspart hätte.

Trotzdem könnte es rätselhaft erscheinen, wodurch der Kanzler eine so
weitgehende Unzufriedenheit gegen seine Politik während des Krieges und ein
so starkes Mißtrauen hervorrufen konnte. Aber er hatte durch seine über¬
mäßiger Gewissenhaftigkeit entspringende Art von Verschlossenheit und Zurück-


standen. Aber es bleiben Verdienste genug, um ihm den Anspruch auf ge¬
rechtere Beurteilung zu sichern. Es darf ihm vor allem nicht vergessen werden,
daß er in der inneren Politik viel ausgeglichen und vorwärts gebracht hat,
und zwar unter dem vollen Einsatz seiner Persönlichkeit. Denn er hat dabei
besonders viel Feindschaft auf sich genommen, die er nicht verdiente.

Dabei brauchen wir nicht blind zu sein gegen die Schwächen, die ihm
wirklich anhasteten. AIs Staatsmann traf er in seinen Zielen das Richtige
und e' kannte auch den rechten Weg. Aber es fehlte ihm ein Drittes, was
auch dazu gehört; man mag es die „Aufmachung", die „Regie" nennen.
Darauf beruhten die meisten seiner Mißerfolge, wenn nicht alle. Er bildete
wohl das staatsmännische in sich — was er in reichem Maße besaß — nach
den Idealen, die er als Mensch in Kopf und Herzen trug und unter denen
die treue Hingebung an das Staatswohl, an seinen Kaiser und sein Volk
obenan stand. Aber er vermochte nicht den Staatsmann in sich, wie es doch
sein muß, aus dem Individuellen herauszulösen und ihn zu einem reinen
Werkzeug des Staatszwecks und der Staatsidee zu machen. Darum konnte
er sich nie anders geben, als seinem menschlichen Empfinden entsprach. So
erweckte er überall Vertrauen, aber wirkte nirgends bezwingend. Während
dieses Krieges war vielleicht kein Staatsmann so geeignet, das Verhältnis zu
unseren Verbündeten, die durch ihr Interesse und die politische Lage an unsere
Seite geführt wurden, zu befestigen und zu vertiefen, wie Herr von Bethmann
Hollweg. Sonst aber hatte er bei aller menschlichen Liebenswürdigkeit nicht
die Gabe des geborenen Diplomaten, aus seinem Gegenüber alles heraus¬
zuholen, während er selbst bei freiestem Sichgeben die Zugänge zu seinem
Innern sorgfältig verschlossen hält. Es entsprang vielleicht der Selbsterkenntnis,
wenn er sich solchen Lagen nur soweit aussetzte, als es nicht zu vermeiden
war. Die Presse hielt er sich weit vom Leibe, obwohl er zu klug war und
ZU modern dachte, um nicht ihre Bedeutung zu erkennen. Er konnte sich darin
nicht ganz loslösen von dem Standpunkt des typischen preußischen Beamten,
der die Notwendigkeit der Presse einsteht, aber sie doch innerlich zu allen
Teufeln wünscht und höchstens sich zu einem Gönnerstandpunkt aufschwingt,
soweit sie seinem Kommando gehorcht. Zu den schwersten Fehlern Bethmanns
während des Krieges gehörte es unstreitig, daß er den Mißbrauch der not¬
wendigen militärischen Zensur zu einer politischen Zensur duldete, die einflu߬
reiche Presse dadurch verärgern und des öffentlichen Vertrauens sowie der
inneren Unabhängigkeit berauben, sich selbst aber ein wichtiges Werkzeug un-
tauglich machen ließ, das bei geschickterer und vertrauensvollerer Behandlung
wahrscheinlich dem Kanzler und dem deutschen Volke schwere Stunden erspart hätte.

Trotzdem könnte es rätselhaft erscheinen, wodurch der Kanzler eine so
weitgehende Unzufriedenheit gegen seine Politik während des Krieges und ein
so starkes Mißtrauen hervorrufen konnte. Aber er hatte durch seine über¬
mäßiger Gewissenhaftigkeit entspringende Art von Verschlossenheit und Zurück-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/115>, abgerufen am 01.07.2024.