Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Kanzlerwechsel

entsprechend wählte, und der seitdem mit jedem neuen Jahre die Bestätigung
der Richtigkeit seiner Grundanschauung erfahren hatte, seit 1909 mit einem
Reichskanzler arbeitete ^und ihm fortdauernd sein Vertrauen erhielt, der an
einen drohenden Konflikt mit England nicht glaubte? Mir erscheint diese An¬
nahme so widersinnig, daß ich sie selbst dann zurückweisen würde, wenn die
Äußerungen Bethmanns, auf die sie sich stützt, beweiskräftiger wären. Bei
normaler Rollenverteilung fiel die Pflicht der Aufklärung und Warnung des
Volkes in bezug auf England der Presse zu, und diese Pflicht ist auch von
der Presse, soweit sie die amtliche Politik in ihren Grundgedanken kannte und
unterstützte, getreulich erfüllt worden. Natürlich nach der Eigenart der Blätter
verschieden, -- von den einen mehr ruhig aufklärend und die Aufmerksamkeit
des Lesers weckend, von den anderen schärfer mahnend, warnend und auf¬
rüttelnd. Ein Teil der nationalen Presse, der Mit allem, was seit 1890 ge¬
schehen war, grundsätzlich unzufrieden blieb, tat darin noch ein übriges; diese
Blätter waren von der -- in Wahrheit unbegründeten -- Furcht vor einem
geplanten politischen Anschluß an England beseelt und arbeiteten teilweise so
leidenschaftlich dagegen, daß das eigentliche Ziel der Regierung -- ein möglichst
langes Fernhalten des Konfliktes mit England -- direkt gefährdet wurde.
Hätte nun die Regierung irgendwie öffentlich zu erkennen gegeben, daß auch sie
Englands Feindschaft in ihre Rechnung eingestellt hatte, so hätte sie sich ihr
eigenes Ziel erschwert und verbaut. Sie mußte, in.festem Vertrauen auf die
deutsche Wehrkraft und die innere Gesundheit des Reichs, nach außen hin den
Übeln Schein auf sich nehmen, als ob sie wahllos und grundsätzlich nur
Verständigung suche. Sie mußte in diesem Sinne nicht nur versuchen, jede
Gelegenheit zur Verständigung mit England selbst auszunutzen, auch wenn der
dauernde Erfolg zweifelhaft war, sie mußte auch versuchen, an anderen Stellen in
die englische Einkreisung Bresche zu schlagen, wie es in den Potsdamer Verhand¬
lungen mit Ssasonow und in verschiedenen Phasen der Orientpolitik geschah.
Das; ein Staatsmann, der diese Politik einschlug, dem Glauben an ihr Ge¬
lingen Ausdruck gab und schließlich, weil ihm auf diesem Wege mancherlei
gelungen war, sich auch innerlich in den Glauben an die Möglichkeit des
letzten Gelingens einlebte, würde ihm doch nur dann zum Vorwurf gereichen,
wenn er sich auf die entgegengesetzte Wendung nicht vorbereitet hätte. Aber
dieser Vorwurf kann ihm nicht gemacht werden.

Ich bin hier auf einen Punkt der auswärtigen Politik Bethmann Hollwegs
näher eingegangen, aus dem die stärksten Vorwürfe gegen ihn geschmiedet
worden sind, um wenigstens ein Schlaglicht darauf fallen zu lassen, wie leicht
es ist, aus einzelnen sogenannten "Tatsachen" einem Staatsmann Fehler nach¬
zuweisen, und wie schwer es ist, den größeren Zusammenhängen seines Handelns
gerecht zu werden. Freilich, die Fehlerlosigkeit der Politik Bethmann Hollwegs
zu behaupten, würde zu weit gehen. Er hat mancherlei verfehlt, und es lag
nicht nur an der Ungeeignetheit mancher Hilfskräfte, die ihm zur Verfügung


Zum Kanzlerwechsel

entsprechend wählte, und der seitdem mit jedem neuen Jahre die Bestätigung
der Richtigkeit seiner Grundanschauung erfahren hatte, seit 1909 mit einem
Reichskanzler arbeitete ^und ihm fortdauernd sein Vertrauen erhielt, der an
einen drohenden Konflikt mit England nicht glaubte? Mir erscheint diese An¬
nahme so widersinnig, daß ich sie selbst dann zurückweisen würde, wenn die
Äußerungen Bethmanns, auf die sie sich stützt, beweiskräftiger wären. Bei
normaler Rollenverteilung fiel die Pflicht der Aufklärung und Warnung des
Volkes in bezug auf England der Presse zu, und diese Pflicht ist auch von
der Presse, soweit sie die amtliche Politik in ihren Grundgedanken kannte und
unterstützte, getreulich erfüllt worden. Natürlich nach der Eigenart der Blätter
verschieden, — von den einen mehr ruhig aufklärend und die Aufmerksamkeit
des Lesers weckend, von den anderen schärfer mahnend, warnend und auf¬
rüttelnd. Ein Teil der nationalen Presse, der Mit allem, was seit 1890 ge¬
schehen war, grundsätzlich unzufrieden blieb, tat darin noch ein übriges; diese
Blätter waren von der — in Wahrheit unbegründeten — Furcht vor einem
geplanten politischen Anschluß an England beseelt und arbeiteten teilweise so
leidenschaftlich dagegen, daß das eigentliche Ziel der Regierung — ein möglichst
langes Fernhalten des Konfliktes mit England — direkt gefährdet wurde.
Hätte nun die Regierung irgendwie öffentlich zu erkennen gegeben, daß auch sie
Englands Feindschaft in ihre Rechnung eingestellt hatte, so hätte sie sich ihr
eigenes Ziel erschwert und verbaut. Sie mußte, in.festem Vertrauen auf die
deutsche Wehrkraft und die innere Gesundheit des Reichs, nach außen hin den
Übeln Schein auf sich nehmen, als ob sie wahllos und grundsätzlich nur
Verständigung suche. Sie mußte in diesem Sinne nicht nur versuchen, jede
Gelegenheit zur Verständigung mit England selbst auszunutzen, auch wenn der
dauernde Erfolg zweifelhaft war, sie mußte auch versuchen, an anderen Stellen in
die englische Einkreisung Bresche zu schlagen, wie es in den Potsdamer Verhand¬
lungen mit Ssasonow und in verschiedenen Phasen der Orientpolitik geschah.
Das; ein Staatsmann, der diese Politik einschlug, dem Glauben an ihr Ge¬
lingen Ausdruck gab und schließlich, weil ihm auf diesem Wege mancherlei
gelungen war, sich auch innerlich in den Glauben an die Möglichkeit des
letzten Gelingens einlebte, würde ihm doch nur dann zum Vorwurf gereichen,
wenn er sich auf die entgegengesetzte Wendung nicht vorbereitet hätte. Aber
dieser Vorwurf kann ihm nicht gemacht werden.

Ich bin hier auf einen Punkt der auswärtigen Politik Bethmann Hollwegs
näher eingegangen, aus dem die stärksten Vorwürfe gegen ihn geschmiedet
worden sind, um wenigstens ein Schlaglicht darauf fallen zu lassen, wie leicht
es ist, aus einzelnen sogenannten „Tatsachen" einem Staatsmann Fehler nach¬
zuweisen, und wie schwer es ist, den größeren Zusammenhängen seines Handelns
gerecht zu werden. Freilich, die Fehlerlosigkeit der Politik Bethmann Hollwegs
zu behaupten, würde zu weit gehen. Er hat mancherlei verfehlt, und es lag
nicht nur an der Ungeeignetheit mancher Hilfskräfte, die ihm zur Verfügung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332393"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum Kanzlerwechsel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_362" prev="#ID_361"> entsprechend wählte, und der seitdem mit jedem neuen Jahre die Bestätigung<lb/>
der Richtigkeit seiner Grundanschauung erfahren hatte, seit 1909 mit einem<lb/>
Reichskanzler arbeitete ^und ihm fortdauernd sein Vertrauen erhielt, der an<lb/>
einen drohenden Konflikt mit England nicht glaubte? Mir erscheint diese An¬<lb/>
nahme so widersinnig, daß ich sie selbst dann zurückweisen würde, wenn die<lb/>
Äußerungen Bethmanns, auf die sie sich stützt, beweiskräftiger wären. Bei<lb/>
normaler Rollenverteilung fiel die Pflicht der Aufklärung und Warnung des<lb/>
Volkes in bezug auf England der Presse zu, und diese Pflicht ist auch von<lb/>
der Presse, soweit sie die amtliche Politik in ihren Grundgedanken kannte und<lb/>
unterstützte, getreulich erfüllt worden. Natürlich nach der Eigenart der Blätter<lb/>
verschieden, &#x2014; von den einen mehr ruhig aufklärend und die Aufmerksamkeit<lb/>
des Lesers weckend, von den anderen schärfer mahnend, warnend und auf¬<lb/>
rüttelnd. Ein Teil der nationalen Presse, der Mit allem, was seit 1890 ge¬<lb/>
schehen war, grundsätzlich unzufrieden blieb, tat darin noch ein übriges; diese<lb/>
Blätter waren von der &#x2014; in Wahrheit unbegründeten &#x2014; Furcht vor einem<lb/>
geplanten politischen Anschluß an England beseelt und arbeiteten teilweise so<lb/>
leidenschaftlich dagegen, daß das eigentliche Ziel der Regierung &#x2014; ein möglichst<lb/>
langes Fernhalten des Konfliktes mit England &#x2014; direkt gefährdet wurde.<lb/>
Hätte nun die Regierung irgendwie öffentlich zu erkennen gegeben, daß auch sie<lb/>
Englands Feindschaft in ihre Rechnung eingestellt hatte, so hätte sie sich ihr<lb/>
eigenes Ziel erschwert und verbaut. Sie mußte, in.festem Vertrauen auf die<lb/>
deutsche Wehrkraft und die innere Gesundheit des Reichs, nach außen hin den<lb/>
Übeln Schein auf sich nehmen, als ob sie wahllos und grundsätzlich nur<lb/>
Verständigung suche. Sie mußte in diesem Sinne nicht nur versuchen, jede<lb/>
Gelegenheit zur Verständigung mit England selbst auszunutzen, auch wenn der<lb/>
dauernde Erfolg zweifelhaft war, sie mußte auch versuchen, an anderen Stellen in<lb/>
die englische Einkreisung Bresche zu schlagen, wie es in den Potsdamer Verhand¬<lb/>
lungen mit Ssasonow und in verschiedenen Phasen der Orientpolitik geschah.<lb/>
Das; ein Staatsmann, der diese Politik einschlug, dem Glauben an ihr Ge¬<lb/>
lingen Ausdruck gab und schließlich, weil ihm auf diesem Wege mancherlei<lb/>
gelungen war, sich auch innerlich in den Glauben an die Möglichkeit des<lb/>
letzten Gelingens einlebte, würde ihm doch nur dann zum Vorwurf gereichen,<lb/>
wenn er sich auf die entgegengesetzte Wendung nicht vorbereitet hätte. Aber<lb/>
dieser Vorwurf kann ihm nicht gemacht werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_363" next="#ID_364"> Ich bin hier auf einen Punkt der auswärtigen Politik Bethmann Hollwegs<lb/>
näher eingegangen, aus dem die stärksten Vorwürfe gegen ihn geschmiedet<lb/>
worden sind, um wenigstens ein Schlaglicht darauf fallen zu lassen, wie leicht<lb/>
es ist, aus einzelnen sogenannten &#x201E;Tatsachen" einem Staatsmann Fehler nach¬<lb/>
zuweisen, und wie schwer es ist, den größeren Zusammenhängen seines Handelns<lb/>
gerecht zu werden. Freilich, die Fehlerlosigkeit der Politik Bethmann Hollwegs<lb/>
zu behaupten, würde zu weit gehen. Er hat mancherlei verfehlt, und es lag<lb/>
nicht nur an der Ungeeignetheit mancher Hilfskräfte, die ihm zur Verfügung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] Zum Kanzlerwechsel entsprechend wählte, und der seitdem mit jedem neuen Jahre die Bestätigung der Richtigkeit seiner Grundanschauung erfahren hatte, seit 1909 mit einem Reichskanzler arbeitete ^und ihm fortdauernd sein Vertrauen erhielt, der an einen drohenden Konflikt mit England nicht glaubte? Mir erscheint diese An¬ nahme so widersinnig, daß ich sie selbst dann zurückweisen würde, wenn die Äußerungen Bethmanns, auf die sie sich stützt, beweiskräftiger wären. Bei normaler Rollenverteilung fiel die Pflicht der Aufklärung und Warnung des Volkes in bezug auf England der Presse zu, und diese Pflicht ist auch von der Presse, soweit sie die amtliche Politik in ihren Grundgedanken kannte und unterstützte, getreulich erfüllt worden. Natürlich nach der Eigenart der Blätter verschieden, — von den einen mehr ruhig aufklärend und die Aufmerksamkeit des Lesers weckend, von den anderen schärfer mahnend, warnend und auf¬ rüttelnd. Ein Teil der nationalen Presse, der Mit allem, was seit 1890 ge¬ schehen war, grundsätzlich unzufrieden blieb, tat darin noch ein übriges; diese Blätter waren von der — in Wahrheit unbegründeten — Furcht vor einem geplanten politischen Anschluß an England beseelt und arbeiteten teilweise so leidenschaftlich dagegen, daß das eigentliche Ziel der Regierung — ein möglichst langes Fernhalten des Konfliktes mit England — direkt gefährdet wurde. Hätte nun die Regierung irgendwie öffentlich zu erkennen gegeben, daß auch sie Englands Feindschaft in ihre Rechnung eingestellt hatte, so hätte sie sich ihr eigenes Ziel erschwert und verbaut. Sie mußte, in.festem Vertrauen auf die deutsche Wehrkraft und die innere Gesundheit des Reichs, nach außen hin den Übeln Schein auf sich nehmen, als ob sie wahllos und grundsätzlich nur Verständigung suche. Sie mußte in diesem Sinne nicht nur versuchen, jede Gelegenheit zur Verständigung mit England selbst auszunutzen, auch wenn der dauernde Erfolg zweifelhaft war, sie mußte auch versuchen, an anderen Stellen in die englische Einkreisung Bresche zu schlagen, wie es in den Potsdamer Verhand¬ lungen mit Ssasonow und in verschiedenen Phasen der Orientpolitik geschah. Das; ein Staatsmann, der diese Politik einschlug, dem Glauben an ihr Ge¬ lingen Ausdruck gab und schließlich, weil ihm auf diesem Wege mancherlei gelungen war, sich auch innerlich in den Glauben an die Möglichkeit des letzten Gelingens einlebte, würde ihm doch nur dann zum Vorwurf gereichen, wenn er sich auf die entgegengesetzte Wendung nicht vorbereitet hätte. Aber dieser Vorwurf kann ihm nicht gemacht werden. Ich bin hier auf einen Punkt der auswärtigen Politik Bethmann Hollwegs näher eingegangen, aus dem die stärksten Vorwürfe gegen ihn geschmiedet worden sind, um wenigstens ein Schlaglicht darauf fallen zu lassen, wie leicht es ist, aus einzelnen sogenannten „Tatsachen" einem Staatsmann Fehler nach¬ zuweisen, und wie schwer es ist, den größeren Zusammenhängen seines Handelns gerecht zu werden. Freilich, die Fehlerlosigkeit der Politik Bethmann Hollwegs zu behaupten, würde zu weit gehen. Er hat mancherlei verfehlt, und es lag nicht nur an der Ungeeignetheit mancher Hilfskräfte, die ihm zur Verfügung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/114>, abgerufen am 01.07.2024.