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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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die nächste Zeit festgelegt wurde. Schon damals -- das kann man heute ruhig
sagen! -- wies der Kaiser darauf hin. wie leicht der von ihm als notwendig
erkannte Weg der deutschen Entwicklung zu einem Konflikt mit England führen
könne, ja daß dieser Konflikt sogar sehr wahrscheinlich und kaum zu vermeiden
sei. Mit Bezug darauf lautete die Hauptfrage, die der Kaiser seinem erwählten
Vertrauensmann stellte, dem wesentlichen Sinne nach dahin: ob er sich zutraue,
eine Politik zu führen, die die notwendige weltpolitische Entwicklung Deutsch¬
lands fördere, das Reich dabei innerlich festige, den Ausbau der Seemacht er¬
mögliche, zugleich aber alles zu verhüten wisse, was zu einem Konflikt mit
England führen könnte, -- mindestens so lange, bis Deutschland mit seiner
Flotte auch England gegenüber widerstandsfähig genug sei. um einen Konflikt
entweder nicht fürchten zu müssen oder ihn für England selbst nicht ratsam zu
machen. Mit anderen Worten: der Kaiser sah den Krieg mit England kommen,
war auch offenbar über Gründe und Ziele dieser Feindschaft so klar, daß er
an der Beteiligung Englands an jedem Konflikt, in den Deutschland etwa geriet,
nicht zweifeln konnte. Deshalb baute er vor. ohne die natürliche Entwicklung
der deutschen Interessen zu stören, wollte aber auch als gewissenhafter Herrscher den
einzigen Ausweg, der seinem Volk diese furchtbare Prüfung vielleicht ersparen
konnte, nicht gesperrt sehen. Was der Kaiser in Kiel in den Junitagen des
Jahres 1897 Herrn von Bülow als seine Richtschnur entwickelte und was dieser
damals auf sich nahm, ist der Schlüssel nicht nur zur Bülowschen Politik,
sondern es band auch den Nachfolger Bülows. Denn diese Richtschnur konnte
von dem verantwortlichen Staatsmann wohl je nach der Lage mit verschiedenen
Mitteln und Methoden verfolgt, aber -- einmal aufgenommen -- nicht ver¬
lassen werden. Wenn hier erwähnt wird, daß sie von dem Oberhaupt des
Deutschen Reiches selbst bestimmt war, so geschieht das nicht etwa, um die
Verantwortung für die Führung dieser Politik von den Reichskanzlern abzu¬
wälzen und dem Kaiser aufzubürden. Der Kaiser gab ja damit, in Ausübung
der ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte, nur im Umriß dem die Form,
was ihm die Nation selbst durch ihre geschichtliche Entwicklung, durch die Ge¬
staltung der wirtschaftlichen Kräfte und der sozialen Verhältnisse vorgezeichnet
hatte, und der Scharfblick und Weitblick, den er dabei bewies, kann ihm auch
in den Augen derer, die mit der Art der Ausführung nicht zufrieden waren,
nur zur Ehre gereichen. Vor allem aber gilt es festzustellen, daß der Kaiser,
woran von Unkundigen mitunter gezweifelt wird, das Verhältnis zu England
rechtzeitig und richtig erkannt hat. Die Möglichkeit eines Krieges konnte ihn
nicht zurückhalten, zu tun. was für das deutsche Volk erforderlich war. Die
großen Lebensfragen der Nationen werden alle durch "Blut und Eisen" ent¬
schieden, und auch Bismarck konnte weder den Krieg von 1866. noch den von
!870 vermeiden, weil sie geschichtliche Notwendigkeiten waren.

Und nun überlege man sich einmal folgendes: Ist es überhaupt denkbar,
daß derselbe Monarch, der schon 1897 klar sah und seinen Reichskanzler dem-


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die nächste Zeit festgelegt wurde. Schon damals — das kann man heute ruhig
sagen! — wies der Kaiser darauf hin. wie leicht der von ihm als notwendig
erkannte Weg der deutschen Entwicklung zu einem Konflikt mit England führen
könne, ja daß dieser Konflikt sogar sehr wahrscheinlich und kaum zu vermeiden
sei. Mit Bezug darauf lautete die Hauptfrage, die der Kaiser seinem erwählten
Vertrauensmann stellte, dem wesentlichen Sinne nach dahin: ob er sich zutraue,
eine Politik zu führen, die die notwendige weltpolitische Entwicklung Deutsch¬
lands fördere, das Reich dabei innerlich festige, den Ausbau der Seemacht er¬
mögliche, zugleich aber alles zu verhüten wisse, was zu einem Konflikt mit
England führen könnte, — mindestens so lange, bis Deutschland mit seiner
Flotte auch England gegenüber widerstandsfähig genug sei. um einen Konflikt
entweder nicht fürchten zu müssen oder ihn für England selbst nicht ratsam zu
machen. Mit anderen Worten: der Kaiser sah den Krieg mit England kommen,
war auch offenbar über Gründe und Ziele dieser Feindschaft so klar, daß er
an der Beteiligung Englands an jedem Konflikt, in den Deutschland etwa geriet,
nicht zweifeln konnte. Deshalb baute er vor. ohne die natürliche Entwicklung
der deutschen Interessen zu stören, wollte aber auch als gewissenhafter Herrscher den
einzigen Ausweg, der seinem Volk diese furchtbare Prüfung vielleicht ersparen
konnte, nicht gesperrt sehen. Was der Kaiser in Kiel in den Junitagen des
Jahres 1897 Herrn von Bülow als seine Richtschnur entwickelte und was dieser
damals auf sich nahm, ist der Schlüssel nicht nur zur Bülowschen Politik,
sondern es band auch den Nachfolger Bülows. Denn diese Richtschnur konnte
von dem verantwortlichen Staatsmann wohl je nach der Lage mit verschiedenen
Mitteln und Methoden verfolgt, aber — einmal aufgenommen — nicht ver¬
lassen werden. Wenn hier erwähnt wird, daß sie von dem Oberhaupt des
Deutschen Reiches selbst bestimmt war, so geschieht das nicht etwa, um die
Verantwortung für die Führung dieser Politik von den Reichskanzlern abzu¬
wälzen und dem Kaiser aufzubürden. Der Kaiser gab ja damit, in Ausübung
der ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte, nur im Umriß dem die Form,
was ihm die Nation selbst durch ihre geschichtliche Entwicklung, durch die Ge¬
staltung der wirtschaftlichen Kräfte und der sozialen Verhältnisse vorgezeichnet
hatte, und der Scharfblick und Weitblick, den er dabei bewies, kann ihm auch
in den Augen derer, die mit der Art der Ausführung nicht zufrieden waren,
nur zur Ehre gereichen. Vor allem aber gilt es festzustellen, daß der Kaiser,
woran von Unkundigen mitunter gezweifelt wird, das Verhältnis zu England
rechtzeitig und richtig erkannt hat. Die Möglichkeit eines Krieges konnte ihn
nicht zurückhalten, zu tun. was für das deutsche Volk erforderlich war. Die
großen Lebensfragen der Nationen werden alle durch „Blut und Eisen" ent¬
schieden, und auch Bismarck konnte weder den Krieg von 1866. noch den von
!870 vermeiden, weil sie geschichtliche Notwendigkeiten waren.

Und nun überlege man sich einmal folgendes: Ist es überhaupt denkbar,
daß derselbe Monarch, der schon 1897 klar sah und seinen Reichskanzler dem-


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[0113] Zum Ranzlerwechscl die nächste Zeit festgelegt wurde. Schon damals — das kann man heute ruhig sagen! — wies der Kaiser darauf hin. wie leicht der von ihm als notwendig erkannte Weg der deutschen Entwicklung zu einem Konflikt mit England führen könne, ja daß dieser Konflikt sogar sehr wahrscheinlich und kaum zu vermeiden sei. Mit Bezug darauf lautete die Hauptfrage, die der Kaiser seinem erwählten Vertrauensmann stellte, dem wesentlichen Sinne nach dahin: ob er sich zutraue, eine Politik zu führen, die die notwendige weltpolitische Entwicklung Deutsch¬ lands fördere, das Reich dabei innerlich festige, den Ausbau der Seemacht er¬ mögliche, zugleich aber alles zu verhüten wisse, was zu einem Konflikt mit England führen könnte, — mindestens so lange, bis Deutschland mit seiner Flotte auch England gegenüber widerstandsfähig genug sei. um einen Konflikt entweder nicht fürchten zu müssen oder ihn für England selbst nicht ratsam zu machen. Mit anderen Worten: der Kaiser sah den Krieg mit England kommen, war auch offenbar über Gründe und Ziele dieser Feindschaft so klar, daß er an der Beteiligung Englands an jedem Konflikt, in den Deutschland etwa geriet, nicht zweifeln konnte. Deshalb baute er vor. ohne die natürliche Entwicklung der deutschen Interessen zu stören, wollte aber auch als gewissenhafter Herrscher den einzigen Ausweg, der seinem Volk diese furchtbare Prüfung vielleicht ersparen konnte, nicht gesperrt sehen. Was der Kaiser in Kiel in den Junitagen des Jahres 1897 Herrn von Bülow als seine Richtschnur entwickelte und was dieser damals auf sich nahm, ist der Schlüssel nicht nur zur Bülowschen Politik, sondern es band auch den Nachfolger Bülows. Denn diese Richtschnur konnte von dem verantwortlichen Staatsmann wohl je nach der Lage mit verschiedenen Mitteln und Methoden verfolgt, aber — einmal aufgenommen — nicht ver¬ lassen werden. Wenn hier erwähnt wird, daß sie von dem Oberhaupt des Deutschen Reiches selbst bestimmt war, so geschieht das nicht etwa, um die Verantwortung für die Führung dieser Politik von den Reichskanzlern abzu¬ wälzen und dem Kaiser aufzubürden. Der Kaiser gab ja damit, in Ausübung der ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte, nur im Umriß dem die Form, was ihm die Nation selbst durch ihre geschichtliche Entwicklung, durch die Ge¬ staltung der wirtschaftlichen Kräfte und der sozialen Verhältnisse vorgezeichnet hatte, und der Scharfblick und Weitblick, den er dabei bewies, kann ihm auch in den Augen derer, die mit der Art der Ausführung nicht zufrieden waren, nur zur Ehre gereichen. Vor allem aber gilt es festzustellen, daß der Kaiser, woran von Unkundigen mitunter gezweifelt wird, das Verhältnis zu England rechtzeitig und richtig erkannt hat. Die Möglichkeit eines Krieges konnte ihn nicht zurückhalten, zu tun. was für das deutsche Volk erforderlich war. Die großen Lebensfragen der Nationen werden alle durch „Blut und Eisen" ent¬ schieden, und auch Bismarck konnte weder den Krieg von 1866. noch den von !870 vermeiden, weil sie geschichtliche Notwendigkeiten waren. Und nun überlege man sich einmal folgendes: Ist es überhaupt denkbar, daß derselbe Monarch, der schon 1897 klar sah und seinen Reichskanzler dem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/113>, abgerufen am 01.07.2024.