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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Zum Kcmzlerwechsel

bin ich bei schlichtdenkenden Männern aller Kreise dem Ausdruck des Unwillens
begegnet über die Zügellosigkeit und Unvernunft der an dem Reichskanzler
geübten Kritik! Und zwar waren das durchaus nicht etwa Männer, die auf
dem Boden der "Flaumacher" und "Scheidemänner" standen, sondern solche
von gerade entgegengesetzter Richtung, die aber ein tieferes und treffenderes
Verständnis für die eigenartige Lage des leitenden Staatsmannes besaßen, als
mancher zünftige Politiker.

Auseinandersetzen kann man sich natürlich nur mit den Gegnern des bis¬
herigen Reichskanzlers, deren abweichende Meinung auf sachlicher Grundlage
ruht. Hier begegnen wir vor allem dem Vorwurf, daß Herr von Bethmann
Hollweg es nicht nur nicht verstanden habe, den Krieg zu verhindern, sondern
daß er sich von ihm völlig habe überraschen lassen. Prüft man die Unterlagen
dieses Vorwurfs, so zeigt sich, daß sie sehr schwach und schmal sind. Aber
man darf sich auch nicht verhehlen, daß der Grund der Meinungsverschiedenheit
tiefer liegt. Über die ganzen geschichtlichen Zusammenhänge unserer Außen¬
politik seit der Gründung des Reiches laufen zwei verschiedene Grundauffassungen
nebeneinander her, über deren Berechtigung oder Nichtberechtigung wiederum
erst in späteren Zeiten das Urteil der Geschichte entscheiden wird. Es würde
zu weit führen, das im einzelnen zu erläutern. Wir kommen da auf die letzten
inneren Gründe des Konflikts zwischen Kaiser Wilhelm dem Zweiten und Bis-
marck. Jedenfalls war der Weg beschritten worden, der zu einer deutschen
Weltpolitik führte. Er führte anfangs unter den Folgen der Entlassung Bismarcks
und bei dem ungestümen Verlangen des Kaisers, sowohl die sozialpolitische
Grundlage dieser neuen Zeit zu legen, als auch die Schaffung einer deutschen
Flotte möglichst schnell ins Werk zu setzen, zu weit ab von den bis dahin fest¬
gehaltenen Grundlagen,' deren ungeschwächte Lebenskraft für die Zukunft des
Reiches nicht zu entbehren war. Die Wiedergutmachung dieses Schadens wurde
schon unter dem Fürsten Hohenlohe angebahnt, unter dem Fürsten Bülow ziel¬
bewußt durchgeführt. Das hat man auf der anderen Seite als einen mangel¬
haft gelungenen Versuch zur Rückkehr zu Bismarcks politischen Plänen auf¬
gefußt. Mit Unrecht! Was als Umkehr erschien, war neben der wiederkehrenden
Würdigung von Bismarcks Meisterschaft und Vorbild in Mitteln und Methoden
nur die Wiederanknüpfung an das Dauernde und Wertvolle an Bismarcks
Lebenswerk, nicht aber die Fortsetzung der alten Bismarckschen Kontinental¬
politik. Der von Kaiser Wilhelm gewiesene Weg war beschritten und wurde
festgehalten; er führte in wesentlichen Punkten über Bismarck hinaus und
forderte eine neue Zurichtung. Als der Kaiser vor zwanzig Jahren den damaligen
Botschafter Bernhard von Bülow nach Kiel rief, um ihn zunächst dem alternden
und müde werdenden Fürsten Hohenlohe als Leiter der auswärtigen Politik
an die Seite zu setzen, ihm zugleich aber auch für später die beabsichtigte Über¬
tragung der Reichskanzterschaft anzukündigen, fand an Bord der "Hohenzollem"
jene denkwürdige Unterredung statt, in der der Weg der deutschen Politik für


Zum Kcmzlerwechsel

bin ich bei schlichtdenkenden Männern aller Kreise dem Ausdruck des Unwillens
begegnet über die Zügellosigkeit und Unvernunft der an dem Reichskanzler
geübten Kritik! Und zwar waren das durchaus nicht etwa Männer, die auf
dem Boden der „Flaumacher" und „Scheidemänner" standen, sondern solche
von gerade entgegengesetzter Richtung, die aber ein tieferes und treffenderes
Verständnis für die eigenartige Lage des leitenden Staatsmannes besaßen, als
mancher zünftige Politiker.

Auseinandersetzen kann man sich natürlich nur mit den Gegnern des bis¬
herigen Reichskanzlers, deren abweichende Meinung auf sachlicher Grundlage
ruht. Hier begegnen wir vor allem dem Vorwurf, daß Herr von Bethmann
Hollweg es nicht nur nicht verstanden habe, den Krieg zu verhindern, sondern
daß er sich von ihm völlig habe überraschen lassen. Prüft man die Unterlagen
dieses Vorwurfs, so zeigt sich, daß sie sehr schwach und schmal sind. Aber
man darf sich auch nicht verhehlen, daß der Grund der Meinungsverschiedenheit
tiefer liegt. Über die ganzen geschichtlichen Zusammenhänge unserer Außen¬
politik seit der Gründung des Reiches laufen zwei verschiedene Grundauffassungen
nebeneinander her, über deren Berechtigung oder Nichtberechtigung wiederum
erst in späteren Zeiten das Urteil der Geschichte entscheiden wird. Es würde
zu weit führen, das im einzelnen zu erläutern. Wir kommen da auf die letzten
inneren Gründe des Konflikts zwischen Kaiser Wilhelm dem Zweiten und Bis-
marck. Jedenfalls war der Weg beschritten worden, der zu einer deutschen
Weltpolitik führte. Er führte anfangs unter den Folgen der Entlassung Bismarcks
und bei dem ungestümen Verlangen des Kaisers, sowohl die sozialpolitische
Grundlage dieser neuen Zeit zu legen, als auch die Schaffung einer deutschen
Flotte möglichst schnell ins Werk zu setzen, zu weit ab von den bis dahin fest¬
gehaltenen Grundlagen,' deren ungeschwächte Lebenskraft für die Zukunft des
Reiches nicht zu entbehren war. Die Wiedergutmachung dieses Schadens wurde
schon unter dem Fürsten Hohenlohe angebahnt, unter dem Fürsten Bülow ziel¬
bewußt durchgeführt. Das hat man auf der anderen Seite als einen mangel¬
haft gelungenen Versuch zur Rückkehr zu Bismarcks politischen Plänen auf¬
gefußt. Mit Unrecht! Was als Umkehr erschien, war neben der wiederkehrenden
Würdigung von Bismarcks Meisterschaft und Vorbild in Mitteln und Methoden
nur die Wiederanknüpfung an das Dauernde und Wertvolle an Bismarcks
Lebenswerk, nicht aber die Fortsetzung der alten Bismarckschen Kontinental¬
politik. Der von Kaiser Wilhelm gewiesene Weg war beschritten und wurde
festgehalten; er führte in wesentlichen Punkten über Bismarck hinaus und
forderte eine neue Zurichtung. Als der Kaiser vor zwanzig Jahren den damaligen
Botschafter Bernhard von Bülow nach Kiel rief, um ihn zunächst dem alternden
und müde werdenden Fürsten Hohenlohe als Leiter der auswärtigen Politik
an die Seite zu setzen, ihm zugleich aber auch für später die beabsichtigte Über¬
tragung der Reichskanzterschaft anzukündigen, fand an Bord der „Hohenzollem"
jene denkwürdige Unterredung statt, in der der Weg der deutschen Politik für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/112>, abgerufen am 01.07.2024.