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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Zum Acmzlerwechsel

Leidenschaft der Parteien fast bis zur Aussichtslosigkeit erschwert. Mit dem
tiefen Ernst und der hingebungsvollen Pflichttreue, die ihm^eigen waren, hat
er gleichwohl die Aufgabe übernommen, vor die ihn das Vertrauen des Kaisers
und seines bisherigen Vorgesetzten stellte, weil er richtig erkannte, daß die Um¬
stünde das Opfer der eigenen Person, das für jeden an dieser Stelle der wahr¬
scheinliche Ausgang war, unumgänglich forderten. Er ist nicht mit leichtherzigem
. Selbstvertrauen in diese Stellung hineingegangen, sondern, obwohl seines Wertes
und seiner Gaben bewußt, mit dem vollen Bewußtsein des ganzen Umfanges
der sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten, aus reinem Pflichtgefühl. Das
sollte in jedem Falle anerkannt werden und ihm den Dank aller Vaterlands¬
freunde sichern.

Die Art, wie Herr von Bethmann Hollweg die einzelnen politischen Auf¬
gaben, die an ihn herantraten, zu lösen verstichtKhat, ist in den Rückblicken,
die unsere großen Tageszeitungen seiner Tätigkeit gewidmet haben, von allen
wöglichen Standpunkten aus betrachtet worden. Diese historische Seite der
Sache -- sei es von einem dieser Standpunkte, oder sei es von einem neuen
aus -- noch einmal zu würdigen, halte ich für überflüssig. Später wird die
Geschichtsschreibung darüber ein Urteil zu fällen haben. Heute fehlt dazu die
sichere Unterlage. Wohl aber läßt sich vielleicht der Betrachtung der persön¬
lichen Wirksamkeit Bethmann Hollwegs anch mancherlei Allgemeines abgewinnen,
was für die Beurteilung der gegenwärtigen politischen Lage von Wichtigkeit ist.

Erwähnt wurden schon die eigentümlichen Schwierigkeiten, die dem Wirken
des fünften Reichskanzlers von vornherein bereitet waren. Ich meine damit
nicht die Schwierigkeiten, die jedem deutschen Reichskanzler blühen, weil seine
Stellung, wie sie die Verfassung ihm zuweist, so hohe Anforderungen stellt, wie
kein anderer Posten in der Welt. Ein Mann, der nur über ein anständiges
Durchschnittsmaß von Begabung und Kenntnissen verfügt, kann diesen Posten
überhaupt nicht ausfüllen; er würd", selbst wenn ihm von den Parteien soviel
Wohlwollen entgegengebracht würde, wie Bethmann Hollweg während seiner
ganzen Amtszeit Übelwollen, schon nach ganz kurzer Zeit hoffnungslos scheitern.

Auch für die Beurteilung der heutigen Lage ist es wichtig, festzustellen,
wie weit der bisherige Reichskanzler den Aufgaben seiner Zeit gerecht geworden
es, und -- soweit es ihm nicht geglückt ist -- in welchem Umfange er die
Schuld daran trägt. Bei der Beantwortung dieser Fragen überwiegen in der
Presse zweifellos die abfülligen Urteile. Und auch sonst begegnete man bisher
vielen derartigen Urteilen, die nicht ausschließlich auf den Einfluß der Presse zurück¬
zuführen waren, sondern eigenen Beobachtungen entstammten, in gewissen Kreisen
freilich auch durch ihre maßlose Gehässigkeit den Einfluß politischen Klatsches
und böswilliger Agitation verrieten. Aber ich glaube nach persönlichen Be¬
obachtungen nicht allein zu stehen in dem Eindruck, daß die Zahl derer, die
sich von dieser Stimmungsmache und dem ungünstigen Schein mancher Erlebnisse
den Kopf frei hielten, viel größer ist. als es den Anschein hatte. Wie oft


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Zum Acmzlerwechsel

Leidenschaft der Parteien fast bis zur Aussichtslosigkeit erschwert. Mit dem
tiefen Ernst und der hingebungsvollen Pflichttreue, die ihm^eigen waren, hat
er gleichwohl die Aufgabe übernommen, vor die ihn das Vertrauen des Kaisers
und seines bisherigen Vorgesetzten stellte, weil er richtig erkannte, daß die Um¬
stünde das Opfer der eigenen Person, das für jeden an dieser Stelle der wahr¬
scheinliche Ausgang war, unumgänglich forderten. Er ist nicht mit leichtherzigem
. Selbstvertrauen in diese Stellung hineingegangen, sondern, obwohl seines Wertes
und seiner Gaben bewußt, mit dem vollen Bewußtsein des ganzen Umfanges
der sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten, aus reinem Pflichtgefühl. Das
sollte in jedem Falle anerkannt werden und ihm den Dank aller Vaterlands¬
freunde sichern.

Die Art, wie Herr von Bethmann Hollweg die einzelnen politischen Auf¬
gaben, die an ihn herantraten, zu lösen verstichtKhat, ist in den Rückblicken,
die unsere großen Tageszeitungen seiner Tätigkeit gewidmet haben, von allen
wöglichen Standpunkten aus betrachtet worden. Diese historische Seite der
Sache — sei es von einem dieser Standpunkte, oder sei es von einem neuen
aus — noch einmal zu würdigen, halte ich für überflüssig. Später wird die
Geschichtsschreibung darüber ein Urteil zu fällen haben. Heute fehlt dazu die
sichere Unterlage. Wohl aber läßt sich vielleicht der Betrachtung der persön¬
lichen Wirksamkeit Bethmann Hollwegs anch mancherlei Allgemeines abgewinnen,
was für die Beurteilung der gegenwärtigen politischen Lage von Wichtigkeit ist.

Erwähnt wurden schon die eigentümlichen Schwierigkeiten, die dem Wirken
des fünften Reichskanzlers von vornherein bereitet waren. Ich meine damit
nicht die Schwierigkeiten, die jedem deutschen Reichskanzler blühen, weil seine
Stellung, wie sie die Verfassung ihm zuweist, so hohe Anforderungen stellt, wie
kein anderer Posten in der Welt. Ein Mann, der nur über ein anständiges
Durchschnittsmaß von Begabung und Kenntnissen verfügt, kann diesen Posten
überhaupt nicht ausfüllen; er würd«, selbst wenn ihm von den Parteien soviel
Wohlwollen entgegengebracht würde, wie Bethmann Hollweg während seiner
ganzen Amtszeit Übelwollen, schon nach ganz kurzer Zeit hoffnungslos scheitern.

Auch für die Beurteilung der heutigen Lage ist es wichtig, festzustellen,
wie weit der bisherige Reichskanzler den Aufgaben seiner Zeit gerecht geworden
es, und — soweit es ihm nicht geglückt ist — in welchem Umfange er die
Schuld daran trägt. Bei der Beantwortung dieser Fragen überwiegen in der
Presse zweifellos die abfülligen Urteile. Und auch sonst begegnete man bisher
vielen derartigen Urteilen, die nicht ausschließlich auf den Einfluß der Presse zurück¬
zuführen waren, sondern eigenen Beobachtungen entstammten, in gewissen Kreisen
freilich auch durch ihre maßlose Gehässigkeit den Einfluß politischen Klatsches
und böswilliger Agitation verrieten. Aber ich glaube nach persönlichen Be¬
obachtungen nicht allein zu stehen in dem Eindruck, daß die Zahl derer, die
sich von dieser Stimmungsmache und dem ungünstigen Schein mancher Erlebnisse
den Kopf frei hielten, viel größer ist. als es den Anschein hatte. Wie oft


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[0111] Zum Acmzlerwechsel Leidenschaft der Parteien fast bis zur Aussichtslosigkeit erschwert. Mit dem tiefen Ernst und der hingebungsvollen Pflichttreue, die ihm^eigen waren, hat er gleichwohl die Aufgabe übernommen, vor die ihn das Vertrauen des Kaisers und seines bisherigen Vorgesetzten stellte, weil er richtig erkannte, daß die Um¬ stünde das Opfer der eigenen Person, das für jeden an dieser Stelle der wahr¬ scheinliche Ausgang war, unumgänglich forderten. Er ist nicht mit leichtherzigem . Selbstvertrauen in diese Stellung hineingegangen, sondern, obwohl seines Wertes und seiner Gaben bewußt, mit dem vollen Bewußtsein des ganzen Umfanges der sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten, aus reinem Pflichtgefühl. Das sollte in jedem Falle anerkannt werden und ihm den Dank aller Vaterlands¬ freunde sichern. Die Art, wie Herr von Bethmann Hollweg die einzelnen politischen Auf¬ gaben, die an ihn herantraten, zu lösen verstichtKhat, ist in den Rückblicken, die unsere großen Tageszeitungen seiner Tätigkeit gewidmet haben, von allen wöglichen Standpunkten aus betrachtet worden. Diese historische Seite der Sache — sei es von einem dieser Standpunkte, oder sei es von einem neuen aus — noch einmal zu würdigen, halte ich für überflüssig. Später wird die Geschichtsschreibung darüber ein Urteil zu fällen haben. Heute fehlt dazu die sichere Unterlage. Wohl aber läßt sich vielleicht der Betrachtung der persön¬ lichen Wirksamkeit Bethmann Hollwegs anch mancherlei Allgemeines abgewinnen, was für die Beurteilung der gegenwärtigen politischen Lage von Wichtigkeit ist. Erwähnt wurden schon die eigentümlichen Schwierigkeiten, die dem Wirken des fünften Reichskanzlers von vornherein bereitet waren. Ich meine damit nicht die Schwierigkeiten, die jedem deutschen Reichskanzler blühen, weil seine Stellung, wie sie die Verfassung ihm zuweist, so hohe Anforderungen stellt, wie kein anderer Posten in der Welt. Ein Mann, der nur über ein anständiges Durchschnittsmaß von Begabung und Kenntnissen verfügt, kann diesen Posten überhaupt nicht ausfüllen; er würd«, selbst wenn ihm von den Parteien soviel Wohlwollen entgegengebracht würde, wie Bethmann Hollweg während seiner ganzen Amtszeit Übelwollen, schon nach ganz kurzer Zeit hoffnungslos scheitern. Auch für die Beurteilung der heutigen Lage ist es wichtig, festzustellen, wie weit der bisherige Reichskanzler den Aufgaben seiner Zeit gerecht geworden es, und — soweit es ihm nicht geglückt ist — in welchem Umfange er die Schuld daran trägt. Bei der Beantwortung dieser Fragen überwiegen in der Presse zweifellos die abfülligen Urteile. Und auch sonst begegnete man bisher vielen derartigen Urteilen, die nicht ausschließlich auf den Einfluß der Presse zurück¬ zuführen waren, sondern eigenen Beobachtungen entstammten, in gewissen Kreisen freilich auch durch ihre maßlose Gehässigkeit den Einfluß politischen Klatsches und böswilliger Agitation verrieten. Aber ich glaube nach persönlichen Be¬ obachtungen nicht allein zu stehen in dem Eindruck, daß die Zahl derer, die sich von dieser Stimmungsmache und dem ungünstigen Schein mancher Erlebnisse den Kopf frei hielten, viel größer ist. als es den Anschein hatte. Wie oft v

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/111>, abgerufen am 01.07.2024.