Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.Zum Ranzlerwechsel wenn das nicht so gewesen wäre, hätte er bei seinem Rücktritt das dringendste Aus der Geschichte der Ernennung' Bethmann Hollwegs zum Reichskanzler Zum Ranzlerwechsel wenn das nicht so gewesen wäre, hätte er bei seinem Rücktritt das dringendste Aus der Geschichte der Ernennung' Bethmann Hollwegs zum Reichskanzler <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332389"/> <fw type="header" place="top"> Zum Ranzlerwechsel</fw><lb/> <p xml:id="ID_352" prev="#ID_351"> wenn das nicht so gewesen wäre, hätte er bei seinem Rücktritt das dringendste<lb/> Interesse gehabt, sein Werk in eine Hand gelegt zu sehen, die es vor allem<lb/> da weiterführen und zu einem guten Ausgang bringen konnte, wo es am<lb/> stärksten gefährdet oder sogar bereits gescheitert war. Der gefährdete Punkt<lb/> war die innere Politik, und es gehörte ein hohes Maß von besonderer Be¬<lb/> gabung und Erfahrung dazu, um auch nur daran denken zu können, die er¬<lb/> regte Stimmung der Parteien einigermaßen auszugleichen. War es hiernach<lb/> erklärlich, daß Fürst Bülow seinen Nachfolger im Bereich der tüchtigsten inneren<lb/> Politiker suchte, so konnte er doch ferner nur eine Persönlichkeit empfehlen, von<lb/> der er die Überzeugung hatte, daß ihre staatsmännische Begabung ihn auch zu<lb/> einer Beherrschung des Gebietes der auswärtigen Politik befähigen werde. Es<lb/> versteht sich, daß Fürst Bülow dabei nur von dem Eindruck ausgehen konnte,<lb/> den er selbst von der Lage gewonnen hatte. Er war gerade kurz vor seinem<lb/> Rücktritt im Sommer 1909 zu dem sehr starken Gefühl berechtigt, in seiner<lb/> auswärtigen Politik besonders erfolgreich gewesen zu sein. Die Einkreisungs¬<lb/> politik König Eduards hatte ihre erste Kraftprobe gemacht und war zusammen¬<lb/> gebrochen. In Marokko war man dahin gekommen, wohin Bülow wollte, zu<lb/> einer Auseinandersetzung mit Frankreich, die uns in Marokko nicht politisch<lb/> engagierte, die den Franzosen die Herbeiführung eines Konfliktes mit uns nicht<lb/> unnötig erleichterte, wohl aber Frankreich uns gegenüber band. Daß viele bei<lb/> uns von Anfang an ein anderes Ziel gewünscht hatten, infolgedessen auch die<lb/> einzelnen Etappen des Weges anders werteten und daraus andere Eindrücke<lb/> schöpften, ist eine Sache für sich. So glaubte Fürst Bülow in der auswärtigen<lb/> Politik seinem Nachfolger eine verhältnismäßig glatte Bahn zu hinterlassen,<lb/> mußte aber doch mit der Überzeugung scheiden können, daß dieser Nachfolger<lb/> durch eine über das gewönliche Maß und über seine bisherige Tätigkeit hinaus¬<lb/> reichende staatsmännische Begabung in den Stand gesetzt sei, den richtigen Kurs<lb/> weiter zu steuern und nötigenfalls einen neuen zu finden. Wenn ein erfahrener<lb/> Menschenkenner wie Fürst Bülow in seinem mehrjährigen erprobten Mitarbeiter<lb/> Herrn von Bethmann Hollweg einen solchen Mann zu erkennen glaubte, der<lb/> Kaiser nach sorgfältiger Erwägung ihm beistimmte und acht Jahre hindurch bis<lb/> zum heutigen Tage an dieser Meinung festhielt, so muß es doch einen eigen¬<lb/> artigen Eindruck machen, wenn jetzt Leute, die durchaus gar nicht in der Lage<lb/> sind, die Zusammenhänge der Ereignisse im einzelnen zu kennen, sich sür be¬<lb/> rechtigt halten, Herrn von Bethmann Hollweg seine „Unfähigkeit" zu bescheinigen,<lb/> als ob das die ausgemachteste Sache von der Welt wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_353" next="#ID_354"> Aus der Geschichte der Ernennung' Bethmann Hollwegs zum Reichskanzler<lb/> ergibt sich aber auch schon die ganze Tragik dieser Kanzlerschaft. Sie läßt sich<lb/> vielleicht in folgende Worte zusammenfassen: auf dem Gebiet, auf dem dieser<lb/> treffliche und hochbegabte Mann zwar nicht glatte, aber doch gangbare Bahn<lb/> vor sich sah, war er ein Neuling; auf dem Gebiet, auf dem er unter gün¬<lb/> stigeren Umständen hätte Meister sein können, sah er den Erfolg durch die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Zum Ranzlerwechsel
wenn das nicht so gewesen wäre, hätte er bei seinem Rücktritt das dringendste
Interesse gehabt, sein Werk in eine Hand gelegt zu sehen, die es vor allem
da weiterführen und zu einem guten Ausgang bringen konnte, wo es am
stärksten gefährdet oder sogar bereits gescheitert war. Der gefährdete Punkt
war die innere Politik, und es gehörte ein hohes Maß von besonderer Be¬
gabung und Erfahrung dazu, um auch nur daran denken zu können, die er¬
regte Stimmung der Parteien einigermaßen auszugleichen. War es hiernach
erklärlich, daß Fürst Bülow seinen Nachfolger im Bereich der tüchtigsten inneren
Politiker suchte, so konnte er doch ferner nur eine Persönlichkeit empfehlen, von
der er die Überzeugung hatte, daß ihre staatsmännische Begabung ihn auch zu
einer Beherrschung des Gebietes der auswärtigen Politik befähigen werde. Es
versteht sich, daß Fürst Bülow dabei nur von dem Eindruck ausgehen konnte,
den er selbst von der Lage gewonnen hatte. Er war gerade kurz vor seinem
Rücktritt im Sommer 1909 zu dem sehr starken Gefühl berechtigt, in seiner
auswärtigen Politik besonders erfolgreich gewesen zu sein. Die Einkreisungs¬
politik König Eduards hatte ihre erste Kraftprobe gemacht und war zusammen¬
gebrochen. In Marokko war man dahin gekommen, wohin Bülow wollte, zu
einer Auseinandersetzung mit Frankreich, die uns in Marokko nicht politisch
engagierte, die den Franzosen die Herbeiführung eines Konfliktes mit uns nicht
unnötig erleichterte, wohl aber Frankreich uns gegenüber band. Daß viele bei
uns von Anfang an ein anderes Ziel gewünscht hatten, infolgedessen auch die
einzelnen Etappen des Weges anders werteten und daraus andere Eindrücke
schöpften, ist eine Sache für sich. So glaubte Fürst Bülow in der auswärtigen
Politik seinem Nachfolger eine verhältnismäßig glatte Bahn zu hinterlassen,
mußte aber doch mit der Überzeugung scheiden können, daß dieser Nachfolger
durch eine über das gewönliche Maß und über seine bisherige Tätigkeit hinaus¬
reichende staatsmännische Begabung in den Stand gesetzt sei, den richtigen Kurs
weiter zu steuern und nötigenfalls einen neuen zu finden. Wenn ein erfahrener
Menschenkenner wie Fürst Bülow in seinem mehrjährigen erprobten Mitarbeiter
Herrn von Bethmann Hollweg einen solchen Mann zu erkennen glaubte, der
Kaiser nach sorgfältiger Erwägung ihm beistimmte und acht Jahre hindurch bis
zum heutigen Tage an dieser Meinung festhielt, so muß es doch einen eigen¬
artigen Eindruck machen, wenn jetzt Leute, die durchaus gar nicht in der Lage
sind, die Zusammenhänge der Ereignisse im einzelnen zu kennen, sich sür be¬
rechtigt halten, Herrn von Bethmann Hollweg seine „Unfähigkeit" zu bescheinigen,
als ob das die ausgemachteste Sache von der Welt wäre.
Aus der Geschichte der Ernennung' Bethmann Hollwegs zum Reichskanzler
ergibt sich aber auch schon die ganze Tragik dieser Kanzlerschaft. Sie läßt sich
vielleicht in folgende Worte zusammenfassen: auf dem Gebiet, auf dem dieser
treffliche und hochbegabte Mann zwar nicht glatte, aber doch gangbare Bahn
vor sich sah, war er ein Neuling; auf dem Gebiet, auf dem er unter gün¬
stigeren Umständen hätte Meister sein können, sah er den Erfolg durch die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |