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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Deutschkunde oder Germanistik?

Die "Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit" verstanden in den Büchereien,
und die Nachdichtungen von Laistner und Winterfeld sollten.nicht ungenutzt
bleiben.

Man sieht, ungehobelte Schätze harren hier noch einer fröhlichen Urständ,
und der rechte Lehrer wird lebendige Bilder hervorzaubern können, ungehemmt
durch die Schranken von Raum in;d Zeit, Bilder, die dem Schüler mehr be¬
deuten als die von verschiedenen Lehrern vorgenommene methodische Aufreihung
der Fakta im Geschichtsunterricht, der Landschaften im geographischen, der
literarischen Werke in der Deutschkunde. Und wenn sie in der richtigen Weise
dargeboten werden, so wäre hier ein Weg gefunden für eine feinere Form der
Hochschätzung unseres Volkstums, für eine tiefere Liebe zu deutschem Wesen
als sie edlere Naturen aus der Predigt krasser Imperialisten und einseitiger
Propheten der bloß wirtschaftlichen Überlegenheit entnehmen können.




Wenn man solche Gedanken, wie sie in den vorstehenden Ausführungen
enthalten sind, im Kreise von Lehrern der betroffenen Fachgebiete äußert, pflegt
als einhellige Meinung entgegenzutönen: das sei alles sehr schön und sehr
wünschenswert, aber es gebe keine Lehrer dafür. Aber wann hätte der Deutsche
sich von solchen Unmöglichkeiten abschrecken lassen, wenn eine große Aufgabe
ZU lösen war?

Allerdings ist für das Ganze die Voraussetzung, daß der Lehrer ein reger
Geist ist, der den Gegenstand völlig beherrscht und im Heranziehen, Vergleichen
und Einprägen das richtige Maß -- kein Über- und kein Untermaß -- zu
finden weiß. Und er muß ein warmherziger Mensch sein, dem es Ernst ist
um die deutsche Sache, und es darf nicht sein, daß der wahrhaft heilige Gegen¬
stand als Lehrstoff neben anderer, im Staub der Schule schleift. Aber man
darf doch darauf rechnen, daß unter den zahlreichen wertvollen Menschen, die
unser höherer Lehrerstand umschließt, nicht wenige der Aufgabe gewachsen
wären. Woran es einzig fehlt, das ist die auf die Sache eingestellte Vor¬
bildung. Der Historiker beherrscht nicht eingehend genug die Literatur- und
Kunstgeschichte, Geographie usw., der Deutschlehrer ist kein Geograph und der
Geograph fast nie ein Kunsthistoriker; in den meisten Fällen fehlen ethno¬
graphische, volkswirtschaftliche Kenntnisse, die Beherrschung von regionaler
Volkskunde und Mundart. Fast allen aber geht das ab, was durch nichts anderes
ersetzt werden kann, die eigene Anschauung möglichst vieler Landschaften, Städte,
Kunstwerke; ihre Behandlung kann nur dann von Leben und Wärme getragen
sein, wenn sie vom Lehrer selbst erlebt worden sind.

Ergibt sich aus dieser letzten Tatsache die Forderung, dem künftigen
Lehrer der Deutschkunde durch Reisebeihilfen die Möglichkeit zu solchem Er¬
leben zu schaffen, so kommen wir im übrigen um eine Neuordnung des
Studiums für den Wissenschaftskomplex, den wir als Deutschkunde bezeichnen,
uicht herum. Aus beiden Forderungen würde auch für die Ergänzung der


Deutschkunde oder Germanistik?

Die „Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit" verstanden in den Büchereien,
und die Nachdichtungen von Laistner und Winterfeld sollten.nicht ungenutzt
bleiben.

Man sieht, ungehobelte Schätze harren hier noch einer fröhlichen Urständ,
und der rechte Lehrer wird lebendige Bilder hervorzaubern können, ungehemmt
durch die Schranken von Raum in;d Zeit, Bilder, die dem Schüler mehr be¬
deuten als die von verschiedenen Lehrern vorgenommene methodische Aufreihung
der Fakta im Geschichtsunterricht, der Landschaften im geographischen, der
literarischen Werke in der Deutschkunde. Und wenn sie in der richtigen Weise
dargeboten werden, so wäre hier ein Weg gefunden für eine feinere Form der
Hochschätzung unseres Volkstums, für eine tiefere Liebe zu deutschem Wesen
als sie edlere Naturen aus der Predigt krasser Imperialisten und einseitiger
Propheten der bloß wirtschaftlichen Überlegenheit entnehmen können.




Wenn man solche Gedanken, wie sie in den vorstehenden Ausführungen
enthalten sind, im Kreise von Lehrern der betroffenen Fachgebiete äußert, pflegt
als einhellige Meinung entgegenzutönen: das sei alles sehr schön und sehr
wünschenswert, aber es gebe keine Lehrer dafür. Aber wann hätte der Deutsche
sich von solchen Unmöglichkeiten abschrecken lassen, wenn eine große Aufgabe
ZU lösen war?

Allerdings ist für das Ganze die Voraussetzung, daß der Lehrer ein reger
Geist ist, der den Gegenstand völlig beherrscht und im Heranziehen, Vergleichen
und Einprägen das richtige Maß — kein Über- und kein Untermaß — zu
finden weiß. Und er muß ein warmherziger Mensch sein, dem es Ernst ist
um die deutsche Sache, und es darf nicht sein, daß der wahrhaft heilige Gegen¬
stand als Lehrstoff neben anderer, im Staub der Schule schleift. Aber man
darf doch darauf rechnen, daß unter den zahlreichen wertvollen Menschen, die
unser höherer Lehrerstand umschließt, nicht wenige der Aufgabe gewachsen
wären. Woran es einzig fehlt, das ist die auf die Sache eingestellte Vor¬
bildung. Der Historiker beherrscht nicht eingehend genug die Literatur- und
Kunstgeschichte, Geographie usw., der Deutschlehrer ist kein Geograph und der
Geograph fast nie ein Kunsthistoriker; in den meisten Fällen fehlen ethno¬
graphische, volkswirtschaftliche Kenntnisse, die Beherrschung von regionaler
Volkskunde und Mundart. Fast allen aber geht das ab, was durch nichts anderes
ersetzt werden kann, die eigene Anschauung möglichst vieler Landschaften, Städte,
Kunstwerke; ihre Behandlung kann nur dann von Leben und Wärme getragen
sein, wenn sie vom Lehrer selbst erlebt worden sind.

Ergibt sich aus dieser letzten Tatsache die Forderung, dem künftigen
Lehrer der Deutschkunde durch Reisebeihilfen die Möglichkeit zu solchem Er¬
leben zu schaffen, so kommen wir im übrigen um eine Neuordnung des
Studiums für den Wissenschaftskomplex, den wir als Deutschkunde bezeichnen,
uicht herum. Aus beiden Forderungen würde auch für die Ergänzung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/156>, abgerufen am 14.01.2025.