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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Zur Erklärung des französischen Einflusses auf Holland

sellschaftskleid schmückt, sehr richtig einzuschätzen. Im Grunde verachtet Holland
ein Volk, daß von der großen Masse bis in die höchsten Kreise hinauf die
Geistlichkeit für sich denken und handeln läßt, und sich für seine eigene Person
mit einem "Klein-Paris" völlig begnügt.

Frankreich ist sich seines Einflusses auf Holland erst seit dem Kriege so
ganz bewußt geworden. Aber man jammert jetzt nicht allein in Frankreich
über die bisherigen Unterlassungssünden der Propaganda, sondern strebt in
jeder Beziehung, seine Chance restlos auszunutzen. Der Umfang des französischen
Einflusses auf Holland ist jetzt für Frankreich eine Frage von weitestgehender
politischer und wirtschaftlicher Bedeutung geworden. Darum wird Holland seit
den letzten Jahren von französischer Seite mit kultureller Propaganda über¬
schwemmt und mit den geistigen Produkten seines westlichen Freundes nahezu
überfüttert. Denn es handelt sich jetzt für Frankreich nicht nur um die Populari¬
sierung seiner eigenen Kultur in Holland, sondern vor allem um die Ver¬
drängung und Ausrottung des Ansehens und der Macht, die deutsche Kunst
und Wissenschaft bisher in Holland besessen hatten.

Daß Sympathien alles überwindend sind, zeigt sich auch hier. Keine andere
Nation, selbst keine, .die Frankreich befreundet ist, dürfte sich soviel Gastrechte
in Holland anmaßen, wie es jetzt Frankreich tut. Jeder plumpen oder auf¬
fälligen Annäherung gegenüber ist man in Holland sonst überaus empfindlich
und pflegt auch aus seinen diesbezüglichen Gefühlen kein Hehl zu machen.
Der französische Zustrom findet aber in Holland noch immer begeisterte Auf-
nahme und Interesse. Der Langmut der Holländer gegenüber der französischen
Bücher- und Vortragspropaganda läßt sich nur unter dem Gesichtspunkt ver¬
stehen, daß die Eitelkeit auf holländischer Seite eine entscheidende Rolle spielt,
denn man möchte immer werden, wie das ist, was man liebt.

Reichliches, wenn auch durchaus einseitiges Jllustrationsmaterial zu dem
bisher Gesagten findet sich in dem Dezember- und Januarheft 1916/17 einer
im Haag erscheinenden Zeitschrift "Kcvue alö ttollancle", die in der Kriegszeit von
der französischen Propaganda in Holland begründet wurde, um mit deu feinsten
Mitteln französischer Sprache, französischen Geistes und französischen Geschmacks
auf die Niederlande zu wirken.

Von den Herausgebern dieses Monatsblattes war eine Rundfrage an
Holländer von wissenschaftlichem und künstlerischen Ruf ergangen, die Material
über den Einfluß der französischen Kultur in Holland sammeln sollte. Die
aufgestellten Fragen bezogen sich besonders auf Reiseeindrücke von Holländern
in Frankreich und auf Angabe des einflußreichsten Werkes aus französischer
Wissenschaft und Kunst.

Da diese Rundfragen fehr geeignet waren und auch darauf hinzielten, in
Holland eine Front gegen die deutsche Kultur zu errichten, sind die meisten bei
der Zeitschrift eingegangenen und dort veröffentlichten Antworten durchaus pole¬
mischen Charakters und haben für eine sachliche Feststellung nur geringen Wert.


Zur Erklärung des französischen Einflusses auf Holland

sellschaftskleid schmückt, sehr richtig einzuschätzen. Im Grunde verachtet Holland
ein Volk, daß von der großen Masse bis in die höchsten Kreise hinauf die
Geistlichkeit für sich denken und handeln läßt, und sich für seine eigene Person
mit einem „Klein-Paris" völlig begnügt.

Frankreich ist sich seines Einflusses auf Holland erst seit dem Kriege so
ganz bewußt geworden. Aber man jammert jetzt nicht allein in Frankreich
über die bisherigen Unterlassungssünden der Propaganda, sondern strebt in
jeder Beziehung, seine Chance restlos auszunutzen. Der Umfang des französischen
Einflusses auf Holland ist jetzt für Frankreich eine Frage von weitestgehender
politischer und wirtschaftlicher Bedeutung geworden. Darum wird Holland seit
den letzten Jahren von französischer Seite mit kultureller Propaganda über¬
schwemmt und mit den geistigen Produkten seines westlichen Freundes nahezu
überfüttert. Denn es handelt sich jetzt für Frankreich nicht nur um die Populari¬
sierung seiner eigenen Kultur in Holland, sondern vor allem um die Ver¬
drängung und Ausrottung des Ansehens und der Macht, die deutsche Kunst
und Wissenschaft bisher in Holland besessen hatten.

Daß Sympathien alles überwindend sind, zeigt sich auch hier. Keine andere
Nation, selbst keine, .die Frankreich befreundet ist, dürfte sich soviel Gastrechte
in Holland anmaßen, wie es jetzt Frankreich tut. Jeder plumpen oder auf¬
fälligen Annäherung gegenüber ist man in Holland sonst überaus empfindlich
und pflegt auch aus seinen diesbezüglichen Gefühlen kein Hehl zu machen.
Der französische Zustrom findet aber in Holland noch immer begeisterte Auf-
nahme und Interesse. Der Langmut der Holländer gegenüber der französischen
Bücher- und Vortragspropaganda läßt sich nur unter dem Gesichtspunkt ver¬
stehen, daß die Eitelkeit auf holländischer Seite eine entscheidende Rolle spielt,
denn man möchte immer werden, wie das ist, was man liebt.

Reichliches, wenn auch durchaus einseitiges Jllustrationsmaterial zu dem
bisher Gesagten findet sich in dem Dezember- und Januarheft 1916/17 einer
im Haag erscheinenden Zeitschrift „Kcvue alö ttollancle", die in der Kriegszeit von
der französischen Propaganda in Holland begründet wurde, um mit deu feinsten
Mitteln französischer Sprache, französischen Geistes und französischen Geschmacks
auf die Niederlande zu wirken.

Von den Herausgebern dieses Monatsblattes war eine Rundfrage an
Holländer von wissenschaftlichem und künstlerischen Ruf ergangen, die Material
über den Einfluß der französischen Kultur in Holland sammeln sollte. Die
aufgestellten Fragen bezogen sich besonders auf Reiseeindrücke von Holländern
in Frankreich und auf Angabe des einflußreichsten Werkes aus französischer
Wissenschaft und Kunst.

Da diese Rundfragen fehr geeignet waren und auch darauf hinzielten, in
Holland eine Front gegen die deutsche Kultur zu errichten, sind die meisten bei
der Zeitschrift eingegangenen und dort veröffentlichten Antworten durchaus pole¬
mischen Charakters und haben für eine sachliche Feststellung nur geringen Wert.


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[0137] Zur Erklärung des französischen Einflusses auf Holland sellschaftskleid schmückt, sehr richtig einzuschätzen. Im Grunde verachtet Holland ein Volk, daß von der großen Masse bis in die höchsten Kreise hinauf die Geistlichkeit für sich denken und handeln läßt, und sich für seine eigene Person mit einem „Klein-Paris" völlig begnügt. Frankreich ist sich seines Einflusses auf Holland erst seit dem Kriege so ganz bewußt geworden. Aber man jammert jetzt nicht allein in Frankreich über die bisherigen Unterlassungssünden der Propaganda, sondern strebt in jeder Beziehung, seine Chance restlos auszunutzen. Der Umfang des französischen Einflusses auf Holland ist jetzt für Frankreich eine Frage von weitestgehender politischer und wirtschaftlicher Bedeutung geworden. Darum wird Holland seit den letzten Jahren von französischer Seite mit kultureller Propaganda über¬ schwemmt und mit den geistigen Produkten seines westlichen Freundes nahezu überfüttert. Denn es handelt sich jetzt für Frankreich nicht nur um die Populari¬ sierung seiner eigenen Kultur in Holland, sondern vor allem um die Ver¬ drängung und Ausrottung des Ansehens und der Macht, die deutsche Kunst und Wissenschaft bisher in Holland besessen hatten. Daß Sympathien alles überwindend sind, zeigt sich auch hier. Keine andere Nation, selbst keine, .die Frankreich befreundet ist, dürfte sich soviel Gastrechte in Holland anmaßen, wie es jetzt Frankreich tut. Jeder plumpen oder auf¬ fälligen Annäherung gegenüber ist man in Holland sonst überaus empfindlich und pflegt auch aus seinen diesbezüglichen Gefühlen kein Hehl zu machen. Der französische Zustrom findet aber in Holland noch immer begeisterte Auf- nahme und Interesse. Der Langmut der Holländer gegenüber der französischen Bücher- und Vortragspropaganda läßt sich nur unter dem Gesichtspunkt ver¬ stehen, daß die Eitelkeit auf holländischer Seite eine entscheidende Rolle spielt, denn man möchte immer werden, wie das ist, was man liebt. Reichliches, wenn auch durchaus einseitiges Jllustrationsmaterial zu dem bisher Gesagten findet sich in dem Dezember- und Januarheft 1916/17 einer im Haag erscheinenden Zeitschrift „Kcvue alö ttollancle", die in der Kriegszeit von der französischen Propaganda in Holland begründet wurde, um mit deu feinsten Mitteln französischer Sprache, französischen Geistes und französischen Geschmacks auf die Niederlande zu wirken. Von den Herausgebern dieses Monatsblattes war eine Rundfrage an Holländer von wissenschaftlichem und künstlerischen Ruf ergangen, die Material über den Einfluß der französischen Kultur in Holland sammeln sollte. Die aufgestellten Fragen bezogen sich besonders auf Reiseeindrücke von Holländern in Frankreich und auf Angabe des einflußreichsten Werkes aus französischer Wissenschaft und Kunst. Da diese Rundfragen fehr geeignet waren und auch darauf hinzielten, in Holland eine Front gegen die deutsche Kultur zu errichten, sind die meisten bei der Zeitschrift eingegangenen und dort veröffentlichten Antworten durchaus pole¬ mischen Charakters und haben für eine sachliche Feststellung nur geringen Wert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/137>, abgerufen am 11.01.2025.