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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

das Weltreich der Gegenwart nur der tatsächlich vorhandenen, wirtschaftlich und
machtpolitisch wirksamen Mittel zu dauernder Herrschaft sich bemächtige und
ihrer sich bediene, um zu leben und zu wachsen, folglich sich zu erhalten.

Im Wesen aber des mittelalterlichen Imperialismus ^) sind alle geschichtlich
nachweisbaren Folgewtrkungen seines Seins begründet.

Zunächst: die Lehre vom Imperium Korrmmim als dem letztmöglichen in
aller Geschichte ließ seinen Namen bestehen, obwohl tatsächlich die Welt von
Grund auf sich veränderte ^). Ein Augustus, ein Karl der Große, ein Otto der
Große, ein Friedrich Barbarossa, sie alle galten als imperatore8 Komanvrum,
waren einander gleichberechtigt und gleichverpflichtet. Seit dem einen Jahrhundert
wiesen die Kaisersiegel die Umschrift auf: Koma eaput muncii reZit orbi8
kiena rvtunäi. während der Reichsapfel den Erdball symbolisch verkörperte, den
sein Inhaber beherrschte gleich den "Regieren" des Menschengeschlechts, Befreiern
der Welt, Wiederherstellern des Erdkreises" seit Augustus oder Konstantin. So
sehr erschien das Kaiserreich als die einzig wahre Monarchie, daß gelehrt wurde,
vom Kaiser hätten die Könige ihre Herrschaft gleichwie die Sterne ihr Lende
von der Sonne. Man grübelte nicht darüber nach, daß dem alten Römerreich
in Wahrheit durch die Stürme der Völkerwanderung ein Ende bereitet worden
war. daß die politische Vorherrschaft über Westeuropa, wie sie der größte
Pippinide besaß, ein anderes und kleineres Reich als das des Augustus herauf¬
geführt habe, daß wiederum das Reich der Ottonen, Salier und Staufer ein
anderes und noch kleineres sei als das Karls des Großen. Ausgehend von
dieser Fiktion, wurden die Kaiser als Beherrscher der Welt gefeiert, welche
Schwierigkeiten immer zu überwinden waren, um das Deutsche Reich nördlich
der Alpen. Burgund und Italien zusammenzuhalten. Sie sollten Schirmherren
der Welt fern gegenüber allen Feinden des Christentums, denen jegliche Daseins-
b?rechtigung fehlte, weil sie eben Gottes Geboten und Ordnungen widerstrebten.
Man darf sagen: die Theorie sah im römischen Reiche des Mittelalters die
Grundlage eines politischen Systems auf Erden, von der aus die Lehre der
Kirche überall hin verbreitet, überall verteidigt werden könnte. Da das Ziel
des Reiches universal gefaßt wurde, galt es selbst, das Mittel zu seiner Ver¬
wirklichung, als universal, so daß die ewigen Wahrheiten des christlichen Glaubens
auch die Realität des Imperium muncli zu Hände" der Kaiser zu verbürgen schienen.
Nur so wird erklärbar, warum allen tatsächlichen Umwälzungen des historischen
Lebens zum Trotz man am Namen des Imperium festhielt, selbst dann noch, als es
zu einer Utopie geworden war, deren Untergrund die Fluten staatlicher Um¬
wälzungen längst aufgewühlt und in Atome zerklüftet hatten. Begegnet uns seit
dem fünfzehnten Jahrhundert die Wendung "Heiliges Römisches Reich deutscher
Nation", so haben neuere Forschungen dargetan, daß sie allein auf das Deutsche
Reich nördlich der Alpen sich bezieht, auf einen Teil demnach des Imperium
Koirmnum, dessen Fortbestand ausschließlich an die fortwirkende Kraft verblaßter
Überlieferungen sich zu klammern vermochte.


Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

das Weltreich der Gegenwart nur der tatsächlich vorhandenen, wirtschaftlich und
machtpolitisch wirksamen Mittel zu dauernder Herrschaft sich bemächtige und
ihrer sich bediene, um zu leben und zu wachsen, folglich sich zu erhalten.

Im Wesen aber des mittelalterlichen Imperialismus ^) sind alle geschichtlich
nachweisbaren Folgewtrkungen seines Seins begründet.

Zunächst: die Lehre vom Imperium Korrmmim als dem letztmöglichen in
aller Geschichte ließ seinen Namen bestehen, obwohl tatsächlich die Welt von
Grund auf sich veränderte ^). Ein Augustus, ein Karl der Große, ein Otto der
Große, ein Friedrich Barbarossa, sie alle galten als imperatore8 Komanvrum,
waren einander gleichberechtigt und gleichverpflichtet. Seit dem einen Jahrhundert
wiesen die Kaisersiegel die Umschrift auf: Koma eaput muncii reZit orbi8
kiena rvtunäi. während der Reichsapfel den Erdball symbolisch verkörperte, den
sein Inhaber beherrschte gleich den „Regieren« des Menschengeschlechts, Befreiern
der Welt, Wiederherstellern des Erdkreises" seit Augustus oder Konstantin. So
sehr erschien das Kaiserreich als die einzig wahre Monarchie, daß gelehrt wurde,
vom Kaiser hätten die Könige ihre Herrschaft gleichwie die Sterne ihr Lende
von der Sonne. Man grübelte nicht darüber nach, daß dem alten Römerreich
in Wahrheit durch die Stürme der Völkerwanderung ein Ende bereitet worden
war. daß die politische Vorherrschaft über Westeuropa, wie sie der größte
Pippinide besaß, ein anderes und kleineres Reich als das des Augustus herauf¬
geführt habe, daß wiederum das Reich der Ottonen, Salier und Staufer ein
anderes und noch kleineres sei als das Karls des Großen. Ausgehend von
dieser Fiktion, wurden die Kaiser als Beherrscher der Welt gefeiert, welche
Schwierigkeiten immer zu überwinden waren, um das Deutsche Reich nördlich
der Alpen. Burgund und Italien zusammenzuhalten. Sie sollten Schirmherren
der Welt fern gegenüber allen Feinden des Christentums, denen jegliche Daseins-
b?rechtigung fehlte, weil sie eben Gottes Geboten und Ordnungen widerstrebten.
Man darf sagen: die Theorie sah im römischen Reiche des Mittelalters die
Grundlage eines politischen Systems auf Erden, von der aus die Lehre der
Kirche überall hin verbreitet, überall verteidigt werden könnte. Da das Ziel
des Reiches universal gefaßt wurde, galt es selbst, das Mittel zu seiner Ver¬
wirklichung, als universal, so daß die ewigen Wahrheiten des christlichen Glaubens
auch die Realität des Imperium muncli zu Hände« der Kaiser zu verbürgen schienen.
Nur so wird erklärbar, warum allen tatsächlichen Umwälzungen des historischen
Lebens zum Trotz man am Namen des Imperium festhielt, selbst dann noch, als es
zu einer Utopie geworden war, deren Untergrund die Fluten staatlicher Um¬
wälzungen längst aufgewühlt und in Atome zerklüftet hatten. Begegnet uns seit
dem fünfzehnten Jahrhundert die Wendung „Heiliges Römisches Reich deutscher
Nation", so haben neuere Forschungen dargetan, daß sie allein auf das Deutsche
Reich nördlich der Alpen sich bezieht, auf einen Teil demnach des Imperium
Koirmnum, dessen Fortbestand ausschließlich an die fortwirkende Kraft verblaßter
Überlieferungen sich zu klammern vermochte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/124>, abgerufen am 06.01.2025.