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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

Ein zweites Moment wurde dem mittelalterlichen Imperialismus nicht
weniger gefährlich, schließlich sogar verhängnisvoll. Sollte der einzelne Kaiser,
welches Namens oder Stammes er immer war, als ein Werkzeug Gottes zur
Verbreitung des christlichen Glaubens sichtbarlich in Erscheinung treten, so be¬
dürfte er der feierlichen Einführung in sein erhabenes Amt, der Krönung zürn
Kaiser als einer Handlung, die ihn zur dauernden Verteidigung der supra¬
nationalen Menschengemeinschaft des Imperium Koirmnum berief. Im Reich
der alten römischen Kaiser waren solche Krönungen noch nicht Brauch gewesen;
sie bürgerten sich aber frühzeitig im byzantinischen Reiche ein. das den europäisch¬
asiatischen Orient zusammenhielt, nachdem die östliche Reichshälfte, wie sie in der
Teilung vom Jahre 395 geschaffen war, die Stürme der Völkerwanderung und
die Angriffe des Islam siegreich bestanden hatte. In Byzanz krönte der Patriarch
von Byzanz den Kaiser. Für das Gebiet des weströmischen Reiches wurde die
Kaiserkrönung des Jahres 800, von Papst Leo dem Dritten an Karl dem
Großen vollzogen, zum maßgebenden Vorbild für alle späteren. Karl hatte sich
Gallien, Deutschland und Italien Untertan gemacht. Wohl war sein Reich minder
umfänglich als das weströmische, weil ihm England und Spanien, Sizilien,
Unteritalien und Nordafrika fehlten, sein Geschlecht aber hatte durch die Gründung
des Kirchenstaates, durch die Beseitigung der Langobardenherrschaft in Ober¬
italien sich das Papsttum gleichwie einen Schuldner verpflichtet. Da dieses den
traditionellen Forderungen des als heterodox abgelehnten byzantinischen Kaiser¬
tums auf Italien widerstrebte, suchte es Schutz bei den Karolingern. Karl
empfing die Kaiserkrone aus der Hand des Papst. V Er sollte als Kaiser dem
von Ostrom ebenbürtig sein, Leo der Dritte hiM?gen als Vollstrecker des
göttlichen Willens sich betätigen, auf daß gerade Karl der Nachfolger der west¬
römischen Kaiser und damit ihrer altrömischen Vorgänger würde. Die augen¬
blickliche politische Gesamtlage Europas, der Gegensatz der römisch-katholischen
Glaubensanschaumlgen gegenüber denen in Byzanz wie denen des Islam, das
Vorbild des Zeremoniells in Konstantinopel, die Überlieferungen der Kirchenväter,
alles zusammen schuf ein neues Reich, ein neues Kaisertum, nur daß Reich und
Kaiser rechtsförmlich die Erbschaft des alten Gesamtreiches und eines Konstantin
des Großen antreten sollten. Die Feier aber in der Peterskirche zu Rom am
Weihnachtstage 800 hatte die Kraft eines Präzedens, stand am Anfang einer
von gleichen Gedanken erfüllten Geschichte eines ganzen Jahrtausends. Wenn sie
Karl zum Kaiser machte, war dann in der Folge nicht auch für jeden Herrscher,
der Kaiser, Nachfolger eines Karl und Augustus sein wollte, die Krönung
durch den Nachfolger Petri unbedingt erforderlich? Ein Imperium Kormann
ohne Kaiser war undenkbar, ebenso ein römischer Kaiser ohne päpstliche
Krönung, -- auf beide Voraussetzungen gründete sich die Ansicht, die schon ein
Urenkel Karl ödes Großen im Jahre 871 in die Worte kleidete, daß allein die Päpste
es seien, die durch die feierliche Krönung Namen, Würde, Herrscherrecht und
Herrscherpflicht des Imperator Komanorum verleihen").


Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

Ein zweites Moment wurde dem mittelalterlichen Imperialismus nicht
weniger gefährlich, schließlich sogar verhängnisvoll. Sollte der einzelne Kaiser,
welches Namens oder Stammes er immer war, als ein Werkzeug Gottes zur
Verbreitung des christlichen Glaubens sichtbarlich in Erscheinung treten, so be¬
dürfte er der feierlichen Einführung in sein erhabenes Amt, der Krönung zürn
Kaiser als einer Handlung, die ihn zur dauernden Verteidigung der supra¬
nationalen Menschengemeinschaft des Imperium Koirmnum berief. Im Reich
der alten römischen Kaiser waren solche Krönungen noch nicht Brauch gewesen;
sie bürgerten sich aber frühzeitig im byzantinischen Reiche ein. das den europäisch¬
asiatischen Orient zusammenhielt, nachdem die östliche Reichshälfte, wie sie in der
Teilung vom Jahre 395 geschaffen war, die Stürme der Völkerwanderung und
die Angriffe des Islam siegreich bestanden hatte. In Byzanz krönte der Patriarch
von Byzanz den Kaiser. Für das Gebiet des weströmischen Reiches wurde die
Kaiserkrönung des Jahres 800, von Papst Leo dem Dritten an Karl dem
Großen vollzogen, zum maßgebenden Vorbild für alle späteren. Karl hatte sich
Gallien, Deutschland und Italien Untertan gemacht. Wohl war sein Reich minder
umfänglich als das weströmische, weil ihm England und Spanien, Sizilien,
Unteritalien und Nordafrika fehlten, sein Geschlecht aber hatte durch die Gründung
des Kirchenstaates, durch die Beseitigung der Langobardenherrschaft in Ober¬
italien sich das Papsttum gleichwie einen Schuldner verpflichtet. Da dieses den
traditionellen Forderungen des als heterodox abgelehnten byzantinischen Kaiser¬
tums auf Italien widerstrebte, suchte es Schutz bei den Karolingern. Karl
empfing die Kaiserkrone aus der Hand des Papst. V Er sollte als Kaiser dem
von Ostrom ebenbürtig sein, Leo der Dritte hiM?gen als Vollstrecker des
göttlichen Willens sich betätigen, auf daß gerade Karl der Nachfolger der west¬
römischen Kaiser und damit ihrer altrömischen Vorgänger würde. Die augen¬
blickliche politische Gesamtlage Europas, der Gegensatz der römisch-katholischen
Glaubensanschaumlgen gegenüber denen in Byzanz wie denen des Islam, das
Vorbild des Zeremoniells in Konstantinopel, die Überlieferungen der Kirchenväter,
alles zusammen schuf ein neues Reich, ein neues Kaisertum, nur daß Reich und
Kaiser rechtsförmlich die Erbschaft des alten Gesamtreiches und eines Konstantin
des Großen antreten sollten. Die Feier aber in der Peterskirche zu Rom am
Weihnachtstage 800 hatte die Kraft eines Präzedens, stand am Anfang einer
von gleichen Gedanken erfüllten Geschichte eines ganzen Jahrtausends. Wenn sie
Karl zum Kaiser machte, war dann in der Folge nicht auch für jeden Herrscher,
der Kaiser, Nachfolger eines Karl und Augustus sein wollte, die Krönung
durch den Nachfolger Petri unbedingt erforderlich? Ein Imperium Kormann
ohne Kaiser war undenkbar, ebenso ein römischer Kaiser ohne päpstliche
Krönung, — auf beide Voraussetzungen gründete sich die Ansicht, die schon ein
Urenkel Karl ödes Großen im Jahre 871 in die Worte kleidete, daß allein die Päpste
es seien, die durch die feierliche Krönung Namen, Würde, Herrscherrecht und
Herrscherpflicht des Imperator Komanorum verleihen").


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[0125] Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Ein zweites Moment wurde dem mittelalterlichen Imperialismus nicht weniger gefährlich, schließlich sogar verhängnisvoll. Sollte der einzelne Kaiser, welches Namens oder Stammes er immer war, als ein Werkzeug Gottes zur Verbreitung des christlichen Glaubens sichtbarlich in Erscheinung treten, so be¬ dürfte er der feierlichen Einführung in sein erhabenes Amt, der Krönung zürn Kaiser als einer Handlung, die ihn zur dauernden Verteidigung der supra¬ nationalen Menschengemeinschaft des Imperium Koirmnum berief. Im Reich der alten römischen Kaiser waren solche Krönungen noch nicht Brauch gewesen; sie bürgerten sich aber frühzeitig im byzantinischen Reiche ein. das den europäisch¬ asiatischen Orient zusammenhielt, nachdem die östliche Reichshälfte, wie sie in der Teilung vom Jahre 395 geschaffen war, die Stürme der Völkerwanderung und die Angriffe des Islam siegreich bestanden hatte. In Byzanz krönte der Patriarch von Byzanz den Kaiser. Für das Gebiet des weströmischen Reiches wurde die Kaiserkrönung des Jahres 800, von Papst Leo dem Dritten an Karl dem Großen vollzogen, zum maßgebenden Vorbild für alle späteren. Karl hatte sich Gallien, Deutschland und Italien Untertan gemacht. Wohl war sein Reich minder umfänglich als das weströmische, weil ihm England und Spanien, Sizilien, Unteritalien und Nordafrika fehlten, sein Geschlecht aber hatte durch die Gründung des Kirchenstaates, durch die Beseitigung der Langobardenherrschaft in Ober¬ italien sich das Papsttum gleichwie einen Schuldner verpflichtet. Da dieses den traditionellen Forderungen des als heterodox abgelehnten byzantinischen Kaiser¬ tums auf Italien widerstrebte, suchte es Schutz bei den Karolingern. Karl empfing die Kaiserkrone aus der Hand des Papst. V Er sollte als Kaiser dem von Ostrom ebenbürtig sein, Leo der Dritte hiM?gen als Vollstrecker des göttlichen Willens sich betätigen, auf daß gerade Karl der Nachfolger der west¬ römischen Kaiser und damit ihrer altrömischen Vorgänger würde. Die augen¬ blickliche politische Gesamtlage Europas, der Gegensatz der römisch-katholischen Glaubensanschaumlgen gegenüber denen in Byzanz wie denen des Islam, das Vorbild des Zeremoniells in Konstantinopel, die Überlieferungen der Kirchenväter, alles zusammen schuf ein neues Reich, ein neues Kaisertum, nur daß Reich und Kaiser rechtsförmlich die Erbschaft des alten Gesamtreiches und eines Konstantin des Großen antreten sollten. Die Feier aber in der Peterskirche zu Rom am Weihnachtstage 800 hatte die Kraft eines Präzedens, stand am Anfang einer von gleichen Gedanken erfüllten Geschichte eines ganzen Jahrtausends. Wenn sie Karl zum Kaiser machte, war dann in der Folge nicht auch für jeden Herrscher, der Kaiser, Nachfolger eines Karl und Augustus sein wollte, die Krönung durch den Nachfolger Petri unbedingt erforderlich? Ein Imperium Kormann ohne Kaiser war undenkbar, ebenso ein römischer Kaiser ohne päpstliche Krönung, — auf beide Voraussetzungen gründete sich die Ansicht, die schon ein Urenkel Karl ödes Großen im Jahre 871 in die Worte kleidete, daß allein die Päpste es seien, die durch die feierliche Krönung Namen, Würde, Herrscherrecht und Herrscherpflicht des Imperator Komanorum verleihen").

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/125>, abgerufen am 08.01.2025.