Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Horizont wesentlich enger und beschränkter als der unsere war, für die allein Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Horizont wesentlich enger und beschränkter als der unsere war, für die allein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331963"/> <fw type="header" place="top"> Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit</fw><lb/> <p xml:id="ID_303" prev="#ID_302" next="#ID_304"> Horizont wesentlich enger und beschränkter als der unsere war, für die allein<lb/> erst Teile der Erde, noch nicht die ganze Erde den Schauplatz der Geschichte<lb/> abgaben4). Mit Fug und Recht lebt die Erinnerung fort an das Weltreich<lb/> Alexanders des Großen, das fast ein Viertel der zu seiner Zeit bekannten<lb/> Erde umfaßte, an das Weltreich der Römer, das etwas mehr denn 13 vom<lb/> Hundert der damals erschlossenen Welt sich Untertan gemacht hatte. Man<lb/> weiß, wie im Laufe der Jahrhunderte der geographische Horizont der Mensch¬<lb/> heit an Umfang wächst. Er betrug zu Ende des vierten vorchristlichen Jahr¬<lb/> hunderts, also zur Zeit Alexanders des Großen, etwa 22 Millionen Quadrat¬<lb/> kilometer, um die Wende der vorchristlichen und nachchristlichen Jahrhunderte,<lb/> in der Periode demnach des Augustus, ungefähr 40 Millionen Quadratkilo¬<lb/> meter; heute umspannt er rund 135 Millionen Quadratkilometer, — gemessen<lb/> am geographischen Horizont des Zeitalters ist das englische Weltreich der<lb/> Gegenwart mit seinen 2V Millionen Quadratkilometern kleiner als das Reich<lb/> des Makedoniers mit seiner Größe von etwa 5,3 Millionen Quadratkilometern.<lb/> Die Engländer beherrschen 21^ von: Hundert der heute bekannten Erde,<lb/> Alexander beherrschte 24 vom Hundert der ihm bekannten Erde, nachdem vor<lb/> ihm die Perser im siebenten und sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt rund<lb/> 31 vom Hundert der ihnen bekannten Erde sich unterworfen hatten. Für<lb/> statistische Angaben ist letzthin das Auge allein sähig zur Aufnahme und zur.<lb/> Vermittlung von Erkenntnissen; jedenfalls aber werden die beigebrachten Zahlen<lb/> imstande sein, dem so oft gehörten Worte Abbruch zu tun, daß einzig die<lb/> Gegenwart, nicht auch die Vergangenheit es verdiene, wirklich geschätzt zu<lb/> werden. Jedes Zeitalter hat seinen Wert in sich, und weit voneinander ge-<lb/> . trennte Zeiträume sind durch die gleichen Tendenzen des Lebens und Strebens<lb/> bedingt, die darum auch mit gleichem Namen bezeichnet werden dürfen, mag<lb/> immerhin ihr räumliches Gesichtsfeld größer oder kleiner sein^). Anders aus¬<lb/> gedrückt: auch die Vergangenheit kannte Imperialismus, Universalismus, nicht<lb/> allein das Altertum, sondern auch das Mittelalter. Wir wollen deshalb nicht<lb/> spöttisch lächeln, wenn wir unter den Versuchen, die Geschichte der Zeiten zu<lb/> gliedern, so lange dem des Kirchenvaters Hieronymus (geht. 420 n. Chr.) be¬<lb/> gegnen, der die Abfolge aller Geschichte bestimmt sah durch die Abfolge der<lb/> vier großen Weltreiche, der quÄttuor human imperia, des Reiches der Meder,<lb/> des Reiches der Perser, des Reiches Alexanders des Großen und des Reiches<lb/> der Römer. Seine Gliederung der Weltgeschichte war durch eine Stelle im<lb/> Propheten Daniel veranlaßt, wo ein böser nächtlicher Traum des Königs<lb/> Nebukadnezar von vier einander sich verzehrenden Tieren als die Sinnbilder von<lb/> vier einander sich ablösenden Reichen gedeutet wurde °). Der Prophet des Alten<lb/> Testaments kannte nur vier Reiche, folglich durfte der Kirchenvater ihrer<lb/> nicht mehr in Rechnung stellen. Für ihn und die Späteren war es selbst¬<lb/> verständlich, daß dem römischen Reiche Dauer bis ans Ende aller Dinge be-<lb/> schieden sei, daß Gott ihm solche Lebenskraft verliehen habe, weil es durch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit
Horizont wesentlich enger und beschränkter als der unsere war, für die allein
erst Teile der Erde, noch nicht die ganze Erde den Schauplatz der Geschichte
abgaben4). Mit Fug und Recht lebt die Erinnerung fort an das Weltreich
Alexanders des Großen, das fast ein Viertel der zu seiner Zeit bekannten
Erde umfaßte, an das Weltreich der Römer, das etwas mehr denn 13 vom
Hundert der damals erschlossenen Welt sich Untertan gemacht hatte. Man
weiß, wie im Laufe der Jahrhunderte der geographische Horizont der Mensch¬
heit an Umfang wächst. Er betrug zu Ende des vierten vorchristlichen Jahr¬
hunderts, also zur Zeit Alexanders des Großen, etwa 22 Millionen Quadrat¬
kilometer, um die Wende der vorchristlichen und nachchristlichen Jahrhunderte,
in der Periode demnach des Augustus, ungefähr 40 Millionen Quadratkilo¬
meter; heute umspannt er rund 135 Millionen Quadratkilometer, — gemessen
am geographischen Horizont des Zeitalters ist das englische Weltreich der
Gegenwart mit seinen 2V Millionen Quadratkilometern kleiner als das Reich
des Makedoniers mit seiner Größe von etwa 5,3 Millionen Quadratkilometern.
Die Engländer beherrschen 21^ von: Hundert der heute bekannten Erde,
Alexander beherrschte 24 vom Hundert der ihm bekannten Erde, nachdem vor
ihm die Perser im siebenten und sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt rund
31 vom Hundert der ihnen bekannten Erde sich unterworfen hatten. Für
statistische Angaben ist letzthin das Auge allein sähig zur Aufnahme und zur.
Vermittlung von Erkenntnissen; jedenfalls aber werden die beigebrachten Zahlen
imstande sein, dem so oft gehörten Worte Abbruch zu tun, daß einzig die
Gegenwart, nicht auch die Vergangenheit es verdiene, wirklich geschätzt zu
werden. Jedes Zeitalter hat seinen Wert in sich, und weit voneinander ge-
. trennte Zeiträume sind durch die gleichen Tendenzen des Lebens und Strebens
bedingt, die darum auch mit gleichem Namen bezeichnet werden dürfen, mag
immerhin ihr räumliches Gesichtsfeld größer oder kleiner sein^). Anders aus¬
gedrückt: auch die Vergangenheit kannte Imperialismus, Universalismus, nicht
allein das Altertum, sondern auch das Mittelalter. Wir wollen deshalb nicht
spöttisch lächeln, wenn wir unter den Versuchen, die Geschichte der Zeiten zu
gliedern, so lange dem des Kirchenvaters Hieronymus (geht. 420 n. Chr.) be¬
gegnen, der die Abfolge aller Geschichte bestimmt sah durch die Abfolge der
vier großen Weltreiche, der quÄttuor human imperia, des Reiches der Meder,
des Reiches der Perser, des Reiches Alexanders des Großen und des Reiches
der Römer. Seine Gliederung der Weltgeschichte war durch eine Stelle im
Propheten Daniel veranlaßt, wo ein böser nächtlicher Traum des Königs
Nebukadnezar von vier einander sich verzehrenden Tieren als die Sinnbilder von
vier einander sich ablösenden Reichen gedeutet wurde °). Der Prophet des Alten
Testaments kannte nur vier Reiche, folglich durfte der Kirchenvater ihrer
nicht mehr in Rechnung stellen. Für ihn und die Späteren war es selbst¬
verständlich, daß dem römischen Reiche Dauer bis ans Ende aller Dinge be-
schieden sei, daß Gott ihm solche Lebenskraft verliehen habe, weil es durch
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