Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

Einflußsphären die natürlichen Reibungen unter jenen Weltreichen zu mildern,
die heute miteinander sich verbunden haben, um dem deutschen "Eindringling"
den Garaus zu bereiten. Dem jüngsten, eifrigsten und fleißigsten Weltreich,
eben dem deutschen, werden Luft, Licht und Sonne. Atemholen und Entfaltung
gemeldet. Wir haben keine andere Wahl, als durch den Sieg zu wachsen oder
durch eine Niederlage zu verkümmern; ein drittes gibt es nicht, -- diese Er¬
kenntnis ist uns eingerammt, ist der Sporn zu Wille und Leistung jedes ein¬
zelnen in unserem Volke.

Der Begriff des gegenwärtigen Imperialismus und seine Voraussetzung,
das Weltreich, deuten an, daß von ihnen zu sprechen wir in einer Zeit fähig
sind, sür welche die ganze Erde den geographischen Horizont abgibt, in einer
Zeit, die aus allen Teilen der Erde die Bedingungen weltmachtspolitischer
Tätigkeit und Bestrebung zusammentrügt. I- weiter ein Volk seinen
Horizont spannt, um so ausgedehnter und eindringender zugleich wird sein
imperialistisches Mühen und Ringen sein, weil es eben erkannt hat, daß seine
Bedürfnisse und folglich seine Arbeit, um diese Bedürfnisse zu erfüllen,
immer größeren Spielraum benötigen. Wie Brandenburg - Preußen einst
dank dem Großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen in den Kreis der
europäischen Staaten eintrat, so bedeutete die Aufrichtung des neuen Deutschen
Reiches durch Bismarck eine Erstarkung der Mitte Europas. Diese aber mußte
hinausstreben auf und über das Weltmeer, in ferne Erdteile, -- unsere Feinde
sprechen heuchlerisch von einem Gleichgewicht auf dem Festlande Europas, das
sie aufrechterhalten wollen, als wäre es für sie mehr denn eine Phrase, hinter
deren Vorhang sie ein Gleichgewicht der europäischen Mächte insgesamt auf
der ganzen Erde verhindern wollen, weil diese nur ihnen, wenn nicht gar Eng¬
land allein vorbehalten sein soll. Durch den Gang der Entwicklung darüber
belehrt, daß wir in Erdteilen zu denken haben, begreifen wir, daß der
Imperialismus unserer Gegenwart naturgemäß universalistische Tendenzen
haben muß. Mag sein Träger im einzelnen dieses oder jenes Weltreich sein,
immer umspannt und durchdringt sein Wollen zum Wachsen und Herrschen
das Universum, das Ganze der Erde. Erst an ihren Grenzen findet er die
eigene Beschränkung, um auf solche Weise zu bezeugen, daß nur die Periode
der Gegenwart Weltgeschichte im wahrsten Sinne dieses gewaltigen Wortes
mit der unendlichen Summe gegenseitiger Abstoßung und Verbindung schaffen
konnte.

Selbstverliebt in unsere Zeit sind wir geneigt, den Imperialismus eine
Schöpfung zu nennen, die nicht älter sein soll als die von uns durchmessenen.
unbestimmten Tage von nur kurzer Spannweite. Das ist zutreffend, versteht
man ihn als gerichtet auf die gesamte Erde im Ausmaß unseres geographischen
Horizonts, der sie in ihrer ganzen Ausdehnung dem menschlichen Wissen. Be¬
herrschen. Ausnutzen zugänglich gemacht hat. Imperialismus kann aber ohne
Scheu auch das Streben solcher Zeiten genannt werden, deren geographischer


Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

Einflußsphären die natürlichen Reibungen unter jenen Weltreichen zu mildern,
die heute miteinander sich verbunden haben, um dem deutschen „Eindringling"
den Garaus zu bereiten. Dem jüngsten, eifrigsten und fleißigsten Weltreich,
eben dem deutschen, werden Luft, Licht und Sonne. Atemholen und Entfaltung
gemeldet. Wir haben keine andere Wahl, als durch den Sieg zu wachsen oder
durch eine Niederlage zu verkümmern; ein drittes gibt es nicht, — diese Er¬
kenntnis ist uns eingerammt, ist der Sporn zu Wille und Leistung jedes ein¬
zelnen in unserem Volke.

Der Begriff des gegenwärtigen Imperialismus und seine Voraussetzung,
das Weltreich, deuten an, daß von ihnen zu sprechen wir in einer Zeit fähig
sind, sür welche die ganze Erde den geographischen Horizont abgibt, in einer
Zeit, die aus allen Teilen der Erde die Bedingungen weltmachtspolitischer
Tätigkeit und Bestrebung zusammentrügt. I- weiter ein Volk seinen
Horizont spannt, um so ausgedehnter und eindringender zugleich wird sein
imperialistisches Mühen und Ringen sein, weil es eben erkannt hat, daß seine
Bedürfnisse und folglich seine Arbeit, um diese Bedürfnisse zu erfüllen,
immer größeren Spielraum benötigen. Wie Brandenburg - Preußen einst
dank dem Großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen in den Kreis der
europäischen Staaten eintrat, so bedeutete die Aufrichtung des neuen Deutschen
Reiches durch Bismarck eine Erstarkung der Mitte Europas. Diese aber mußte
hinausstreben auf und über das Weltmeer, in ferne Erdteile, — unsere Feinde
sprechen heuchlerisch von einem Gleichgewicht auf dem Festlande Europas, das
sie aufrechterhalten wollen, als wäre es für sie mehr denn eine Phrase, hinter
deren Vorhang sie ein Gleichgewicht der europäischen Mächte insgesamt auf
der ganzen Erde verhindern wollen, weil diese nur ihnen, wenn nicht gar Eng¬
land allein vorbehalten sein soll. Durch den Gang der Entwicklung darüber
belehrt, daß wir in Erdteilen zu denken haben, begreifen wir, daß der
Imperialismus unserer Gegenwart naturgemäß universalistische Tendenzen
haben muß. Mag sein Träger im einzelnen dieses oder jenes Weltreich sein,
immer umspannt und durchdringt sein Wollen zum Wachsen und Herrschen
das Universum, das Ganze der Erde. Erst an ihren Grenzen findet er die
eigene Beschränkung, um auf solche Weise zu bezeugen, daß nur die Periode
der Gegenwart Weltgeschichte im wahrsten Sinne dieses gewaltigen Wortes
mit der unendlichen Summe gegenseitiger Abstoßung und Verbindung schaffen
konnte.

Selbstverliebt in unsere Zeit sind wir geneigt, den Imperialismus eine
Schöpfung zu nennen, die nicht älter sein soll als die von uns durchmessenen.
unbestimmten Tage von nur kurzer Spannweite. Das ist zutreffend, versteht
man ihn als gerichtet auf die gesamte Erde im Ausmaß unseres geographischen
Horizonts, der sie in ihrer ganzen Ausdehnung dem menschlichen Wissen. Be¬
herrschen. Ausnutzen zugänglich gemacht hat. Imperialismus kann aber ohne
Scheu auch das Streben solcher Zeiten genannt werden, deren geographischer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331962"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_300" prev="#ID_299"> Einflußsphären die natürlichen Reibungen unter jenen Weltreichen zu mildern,<lb/>
die heute miteinander sich verbunden haben, um dem deutschen &#x201E;Eindringling"<lb/>
den Garaus zu bereiten. Dem jüngsten, eifrigsten und fleißigsten Weltreich,<lb/>
eben dem deutschen, werden Luft, Licht und Sonne. Atemholen und Entfaltung<lb/>
gemeldet. Wir haben keine andere Wahl, als durch den Sieg zu wachsen oder<lb/>
durch eine Niederlage zu verkümmern; ein drittes gibt es nicht, &#x2014; diese Er¬<lb/>
kenntnis ist uns eingerammt, ist der Sporn zu Wille und Leistung jedes ein¬<lb/>
zelnen in unserem Volke.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_301"> Der Begriff des gegenwärtigen Imperialismus und seine Voraussetzung,<lb/>
das Weltreich, deuten an, daß von ihnen zu sprechen wir in einer Zeit fähig<lb/>
sind, sür welche die ganze Erde den geographischen Horizont abgibt, in einer<lb/>
Zeit, die aus allen Teilen der Erde die Bedingungen weltmachtspolitischer<lb/>
Tätigkeit und Bestrebung zusammentrügt. I- weiter ein Volk seinen<lb/>
Horizont spannt, um so ausgedehnter und eindringender zugleich wird sein<lb/>
imperialistisches Mühen und Ringen sein, weil es eben erkannt hat, daß seine<lb/>
Bedürfnisse und folglich seine Arbeit, um diese Bedürfnisse zu erfüllen,<lb/>
immer größeren Spielraum benötigen. Wie Brandenburg - Preußen einst<lb/>
dank dem Großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen in den Kreis der<lb/>
europäischen Staaten eintrat, so bedeutete die Aufrichtung des neuen Deutschen<lb/>
Reiches durch Bismarck eine Erstarkung der Mitte Europas. Diese aber mußte<lb/>
hinausstreben auf und über das Weltmeer, in ferne Erdteile, &#x2014; unsere Feinde<lb/>
sprechen heuchlerisch von einem Gleichgewicht auf dem Festlande Europas, das<lb/>
sie aufrechterhalten wollen, als wäre es für sie mehr denn eine Phrase, hinter<lb/>
deren Vorhang sie ein Gleichgewicht der europäischen Mächte insgesamt auf<lb/>
der ganzen Erde verhindern wollen, weil diese nur ihnen, wenn nicht gar Eng¬<lb/>
land allein vorbehalten sein soll. Durch den Gang der Entwicklung darüber<lb/>
belehrt, daß wir in Erdteilen zu denken haben, begreifen wir, daß der<lb/>
Imperialismus unserer Gegenwart naturgemäß universalistische Tendenzen<lb/>
haben muß. Mag sein Träger im einzelnen dieses oder jenes Weltreich sein,<lb/>
immer umspannt und durchdringt sein Wollen zum Wachsen und Herrschen<lb/>
das Universum, das Ganze der Erde. Erst an ihren Grenzen findet er die<lb/>
eigene Beschränkung, um auf solche Weise zu bezeugen, daß nur die Periode<lb/>
der Gegenwart Weltgeschichte im wahrsten Sinne dieses gewaltigen Wortes<lb/>
mit der unendlichen Summe gegenseitiger Abstoßung und Verbindung schaffen<lb/>
konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_302" next="#ID_303"> Selbstverliebt in unsere Zeit sind wir geneigt, den Imperialismus eine<lb/>
Schöpfung zu nennen, die nicht älter sein soll als die von uns durchmessenen.<lb/>
unbestimmten Tage von nur kurzer Spannweite. Das ist zutreffend, versteht<lb/>
man ihn als gerichtet auf die gesamte Erde im Ausmaß unseres geographischen<lb/>
Horizonts, der sie in ihrer ganzen Ausdehnung dem menschlichen Wissen. Be¬<lb/>
herrschen. Ausnutzen zugänglich gemacht hat. Imperialismus kann aber ohne<lb/>
Scheu auch das Streben solcher Zeiten genannt werden, deren geographischer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Einflußsphären die natürlichen Reibungen unter jenen Weltreichen zu mildern, die heute miteinander sich verbunden haben, um dem deutschen „Eindringling" den Garaus zu bereiten. Dem jüngsten, eifrigsten und fleißigsten Weltreich, eben dem deutschen, werden Luft, Licht und Sonne. Atemholen und Entfaltung gemeldet. Wir haben keine andere Wahl, als durch den Sieg zu wachsen oder durch eine Niederlage zu verkümmern; ein drittes gibt es nicht, — diese Er¬ kenntnis ist uns eingerammt, ist der Sporn zu Wille und Leistung jedes ein¬ zelnen in unserem Volke. Der Begriff des gegenwärtigen Imperialismus und seine Voraussetzung, das Weltreich, deuten an, daß von ihnen zu sprechen wir in einer Zeit fähig sind, sür welche die ganze Erde den geographischen Horizont abgibt, in einer Zeit, die aus allen Teilen der Erde die Bedingungen weltmachtspolitischer Tätigkeit und Bestrebung zusammentrügt. I- weiter ein Volk seinen Horizont spannt, um so ausgedehnter und eindringender zugleich wird sein imperialistisches Mühen und Ringen sein, weil es eben erkannt hat, daß seine Bedürfnisse und folglich seine Arbeit, um diese Bedürfnisse zu erfüllen, immer größeren Spielraum benötigen. Wie Brandenburg - Preußen einst dank dem Großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen in den Kreis der europäischen Staaten eintrat, so bedeutete die Aufrichtung des neuen Deutschen Reiches durch Bismarck eine Erstarkung der Mitte Europas. Diese aber mußte hinausstreben auf und über das Weltmeer, in ferne Erdteile, — unsere Feinde sprechen heuchlerisch von einem Gleichgewicht auf dem Festlande Europas, das sie aufrechterhalten wollen, als wäre es für sie mehr denn eine Phrase, hinter deren Vorhang sie ein Gleichgewicht der europäischen Mächte insgesamt auf der ganzen Erde verhindern wollen, weil diese nur ihnen, wenn nicht gar Eng¬ land allein vorbehalten sein soll. Durch den Gang der Entwicklung darüber belehrt, daß wir in Erdteilen zu denken haben, begreifen wir, daß der Imperialismus unserer Gegenwart naturgemäß universalistische Tendenzen haben muß. Mag sein Träger im einzelnen dieses oder jenes Weltreich sein, immer umspannt und durchdringt sein Wollen zum Wachsen und Herrschen das Universum, das Ganze der Erde. Erst an ihren Grenzen findet er die eigene Beschränkung, um auf solche Weise zu bezeugen, daß nur die Periode der Gegenwart Weltgeschichte im wahrsten Sinne dieses gewaltigen Wortes mit der unendlichen Summe gegenseitiger Abstoßung und Verbindung schaffen konnte. Selbstverliebt in unsere Zeit sind wir geneigt, den Imperialismus eine Schöpfung zu nennen, die nicht älter sein soll als die von uns durchmessenen. unbestimmten Tage von nur kurzer Spannweite. Das ist zutreffend, versteht man ihn als gerichtet auf die gesamte Erde im Ausmaß unseres geographischen Horizonts, der sie in ihrer ganzen Ausdehnung dem menschlichen Wissen. Be¬ herrschen. Ausnutzen zugänglich gemacht hat. Imperialismus kann aber ohne Scheu auch das Streben solcher Zeiten genannt werden, deren geographischer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/120>, abgerufen am 29.12.2024.