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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit
Professor Vf. Albert Verum ghoff von

er große Krieg, in den unser Volk, Europa und die ganze
Welt seit mehr denn zwei Jahren sich verstrickt sehen, hat mit
der Ausdehnung seiner Schauplätze zu Wasser und zu Lande,
mit seinen Einwirkungen auf alle Daseinsbedingungen der Mensch¬
heit den Inhalt und die Tragweite eines Wortes zum Bewußt¬
sein gebracht, dessen Gebrauch vordem verhältnismäßig beschränkt geblieben
war, Inhalt und Tragweite des Wortes "Imperialismus". Wir Deutschen
haben nun einmal, Gott sei es geklagt, eine merkwürdige Vorliebe für Wort¬
bildungen mit der schönen Endung "ismus", weil sie im Glänze solchen
Schmuckes sofort als Fremdgut, als eingeführte Ware sich zu erkennen geben,
weil sie dadurch als von weither gekennzeichnet sind, wofür wir ja nach
Bismarcks Bemerkung geradezu schwärmen In der Tat stammt das Wort
Imperialismus aus England. Das vereinigte Königreich Großbritannien er¬
schien zu klein und erweckte den Wunsch nach einem "Größeren Britannien",
das dann in einem empire, einem Imperium zusammengefaßt werden sollte^).
Imperialismus ist zu denses: Weltmachtswachstumswille, und dieser "hat zur
Voraussetzung eine Weltmacht, die beseelt ist von demi Willen, sich auszu-
wachsen gemäß den Bedürfnissen ihres Volkstums und ihrer Volkswirtschaft^)".

In diesem Sinne aber ist der Imperialismus des neunzehnten und
zwanzigsten Jahrhunderts nicht das Sondervermögen von England geblieben.
Er ist die Triebkraft auch für das Deutsche Reich, für Frankreich, für Italien,
für Österreich-Ungarn, für Rußland, für die Vereinigten Staaten von Amerika
und für Japan. Jeder dieser Staaten hat das Bedürfnis, seinen Einflußkleis
und seine wirtschaftliche Betätigung auszubreiten. Jeder von ihnen umspannt
mit seinen Blicken die gesamte Welt; denn sein Bestehen als Weltreich hängt
davon ab, daß es von überall her dem eigenen Zentrum neue Mittel der
Ernährung und der Produktion zuführe; überall muß es Stützpunkte seiner
Macht sich zu schaffen trachten, Landbesitz oder Flottenstationen. Abnahmestätten
für seine Industrie oder Plätze für seinen Handel; überall sucht es zinsen¬
zahlende Schuldner sich zu verpflichten, durch Wort, Bild und Schrift sein
Ansehen zu heben und zu mehren, freilich auch oft durch Lüge und Verleumdung
dem Nebenbuhler Abbruch zu tun. Schon in den Zeiten des Friedens brandete
und wogte der Wettbewerb der einzelnen Imperien unter-, neben- und gegen¬
einander, nur daß es gelang, durch geschickt beschlagnahmte und abgesteckte




Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit
Professor Vf. Albert Verum ghoff von

er große Krieg, in den unser Volk, Europa und die ganze
Welt seit mehr denn zwei Jahren sich verstrickt sehen, hat mit
der Ausdehnung seiner Schauplätze zu Wasser und zu Lande,
mit seinen Einwirkungen auf alle Daseinsbedingungen der Mensch¬
heit den Inhalt und die Tragweite eines Wortes zum Bewußt¬
sein gebracht, dessen Gebrauch vordem verhältnismäßig beschränkt geblieben
war, Inhalt und Tragweite des Wortes „Imperialismus". Wir Deutschen
haben nun einmal, Gott sei es geklagt, eine merkwürdige Vorliebe für Wort¬
bildungen mit der schönen Endung „ismus", weil sie im Glänze solchen
Schmuckes sofort als Fremdgut, als eingeführte Ware sich zu erkennen geben,
weil sie dadurch als von weither gekennzeichnet sind, wofür wir ja nach
Bismarcks Bemerkung geradezu schwärmen In der Tat stammt das Wort
Imperialismus aus England. Das vereinigte Königreich Großbritannien er¬
schien zu klein und erweckte den Wunsch nach einem „Größeren Britannien",
das dann in einem empire, einem Imperium zusammengefaßt werden sollte^).
Imperialismus ist zu denses: Weltmachtswachstumswille, und dieser „hat zur
Voraussetzung eine Weltmacht, die beseelt ist von demi Willen, sich auszu-
wachsen gemäß den Bedürfnissen ihres Volkstums und ihrer Volkswirtschaft^)".

In diesem Sinne aber ist der Imperialismus des neunzehnten und
zwanzigsten Jahrhunderts nicht das Sondervermögen von England geblieben.
Er ist die Triebkraft auch für das Deutsche Reich, für Frankreich, für Italien,
für Österreich-Ungarn, für Rußland, für die Vereinigten Staaten von Amerika
und für Japan. Jeder dieser Staaten hat das Bedürfnis, seinen Einflußkleis
und seine wirtschaftliche Betätigung auszubreiten. Jeder von ihnen umspannt
mit seinen Blicken die gesamte Welt; denn sein Bestehen als Weltreich hängt
davon ab, daß es von überall her dem eigenen Zentrum neue Mittel der
Ernährung und der Produktion zuführe; überall muß es Stützpunkte seiner
Macht sich zu schaffen trachten, Landbesitz oder Flottenstationen. Abnahmestätten
für seine Industrie oder Plätze für seinen Handel; überall sucht es zinsen¬
zahlende Schuldner sich zu verpflichten, durch Wort, Bild und Schrift sein
Ansehen zu heben und zu mehren, freilich auch oft durch Lüge und Verleumdung
dem Nebenbuhler Abbruch zu tun. Schon in den Zeiten des Friedens brandete
und wogte der Wettbewerb der einzelnen Imperien unter-, neben- und gegen¬
einander, nur daß es gelang, durch geschickt beschlagnahmte und abgesteckte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/119>, abgerufen am 28.12.2024.