Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie die Geburt in einem Staate erwürbe, sonst müßte es auch das Kind, der Das Wort "allgemein" stimmt, wie vorhin angedeutet, nicht genau; ^ Mehr ausgeführt in meinem Buche- "Organisation". Heidelberg, Winter. 1817.
Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie die Geburt in einem Staate erwürbe, sonst müßte es auch das Kind, der Das Wort „allgemein" stimmt, wie vorhin angedeutet, nicht genau; ^ Mehr ausgeführt in meinem Buche- „Organisation". Heidelberg, Winter. 1817.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331956"/> <fw type="header" place="top"> Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie</fw><lb/> <p xml:id="ID_286" prev="#ID_285"> die Geburt in einem Staate erwürbe, sonst müßte es auch das Kind, der<lb/> Soldat, jedes weibliche Wesen, ja der Geisteskranke oder Verbrecher besitzen.<lb/> Vielmehr ist es ein Recht des Bürgers und zwar ein sogenanntes Ehrenrecht,<lb/> da ja bekanntlich bei Bestrafungen „die bürgerlichen Ehrenrechte" aberkannt<lb/> werden. Es wäre hier aber nur heilsam, wenn man sich heute einmal von<lb/> der historischen Auffassung losmachte; in unserer Zeit wird viel gewählt, über¬<lb/> reichlich in Gemeinde, Bundesstaat und Reich nebst allen möglichen Privat-<lb/> gclegenheiten. so daß dieses Recht völlig gesichert? erscheint und also ruhig<lb/> einmal rein theoretisch betrachtet werden könnte 8me ira et 8wäio.</p><lb/> <p xml:id="ID_287" next="#ID_288"> Das Wort „allgemein" stimmt, wie vorhin angedeutet, nicht genau;<lb/> höchstens etwa sür alle erwachsenen Bürger, wobei aber noch die aktiven<lb/> Soldaten aus Angst, die Disziplin könne sie zu stark beeinflussen, ausgenommen<lb/> find. So ist es mehr eine klingende Phrase, als etwas Tatsächliches, wenn<lb/> das allgemeine Wahlrecht gefordert wird; macht man aber irgendwelche Aus¬<lb/> nahmen, so kann mit diesem Schlagwort nichts bewiesen werden; jedenfalls<lb/> eher eine Pflicht als ein Recht. Verlangt wird die Beteiligung an einer Hand-<lb/> lung. die lebhaftes Interesse am Staat und seiner Regierung bekundet; reine<lb/> "Ästheten", weltabgewandte Schwärmer, echte Internationalisten wollen nicht<lb/> wählen, und die Gleichgültigkeit gegen den Staat stellt den größten Prozentsatz<lb/> der NichtWähler. Es wäre entschieden zu erwägen, bei einer Neuordnung<lb/> den Pflichtgedanken herauszukehren, mit Geldstrafen gegen Säumige vorzu¬<lb/> gehen, was den Parteien viele Mühe und Kosten des Heranschleppens ersparen<lb/> würde, und so den Wahlvorgang zu einem Erziehungsmittel zu echter Staats¬<lb/> gesinnung zu machen. Ein theoretisches Bedenken gegen eine solche Behandlung<lb/> der Sache gibt es jedenfalls nicht, und dann bekäme das Wort „allgemein"<lb/> einen tieferen Sinn; von dieser Pflicht befreit wären dann bestimmte Gruppen,<lb/> während sie prinzipiell allen auferlegt wäre. Deutsche Staatsauffassung*) leitet<lb/> durchgängig Rechte aus Pflichten ab und gewährt jene nur. solange diese er-<lb/> füllt werden; erst aus irgendwie nützlicher Tätigkeit erwächst dem Bürger das<lb/> Wahlrecht, wobei allerdings der Begriff „Leistung" nicht überspannt werden<lb/> darf. Der Staat sind wir alle, und keiner sollte seine Vorteile genießen dürfen,<lb/> der sich herausnimmt, ihn sonst zu ignorieren, und so sollte er sich auch ent-<lb/> scheiden müssen, wenn die Volksvertretung gebildet wird. Gar nchts hat da¬<lb/> gegen das Wahlrecht mit der Militärdienstpflicht zu tun. womit es Agitations-<lb/> reden immer zusammenbringen, und zwar weder geschichtlich noch theoretisch;<lb/> daß sich beide im Bewußtsein des Volkes sittlich ergänzten, ist eine nichtige<lb/> Phrase. In vielen Ländern wird seit langer Zeit „allgemein" (im unscharfen<lb/> Wortsinn) gewählt, die die Wehrpflicht nicht kannten oder aber erst eingeführt<lb/> haben. Auch diese verkehrte Verquicwng verschiedener Fragen wäre durch eine<lb/> Betonung der Wahlpflicht abgewiesen, die völlig unabhängig davon bestände.</p><lb/> <note xml:id="FID_13" place="foot"> ^ Mehr ausgeführt in meinem Buche- „Organisation". Heidelberg, Winter. 1817.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0114]
Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie
die Geburt in einem Staate erwürbe, sonst müßte es auch das Kind, der
Soldat, jedes weibliche Wesen, ja der Geisteskranke oder Verbrecher besitzen.
Vielmehr ist es ein Recht des Bürgers und zwar ein sogenanntes Ehrenrecht,
da ja bekanntlich bei Bestrafungen „die bürgerlichen Ehrenrechte" aberkannt
werden. Es wäre hier aber nur heilsam, wenn man sich heute einmal von
der historischen Auffassung losmachte; in unserer Zeit wird viel gewählt, über¬
reichlich in Gemeinde, Bundesstaat und Reich nebst allen möglichen Privat-
gclegenheiten. so daß dieses Recht völlig gesichert? erscheint und also ruhig
einmal rein theoretisch betrachtet werden könnte 8me ira et 8wäio.
Das Wort „allgemein" stimmt, wie vorhin angedeutet, nicht genau;
höchstens etwa sür alle erwachsenen Bürger, wobei aber noch die aktiven
Soldaten aus Angst, die Disziplin könne sie zu stark beeinflussen, ausgenommen
find. So ist es mehr eine klingende Phrase, als etwas Tatsächliches, wenn
das allgemeine Wahlrecht gefordert wird; macht man aber irgendwelche Aus¬
nahmen, so kann mit diesem Schlagwort nichts bewiesen werden; jedenfalls
eher eine Pflicht als ein Recht. Verlangt wird die Beteiligung an einer Hand-
lung. die lebhaftes Interesse am Staat und seiner Regierung bekundet; reine
"Ästheten", weltabgewandte Schwärmer, echte Internationalisten wollen nicht
wählen, und die Gleichgültigkeit gegen den Staat stellt den größten Prozentsatz
der NichtWähler. Es wäre entschieden zu erwägen, bei einer Neuordnung
den Pflichtgedanken herauszukehren, mit Geldstrafen gegen Säumige vorzu¬
gehen, was den Parteien viele Mühe und Kosten des Heranschleppens ersparen
würde, und so den Wahlvorgang zu einem Erziehungsmittel zu echter Staats¬
gesinnung zu machen. Ein theoretisches Bedenken gegen eine solche Behandlung
der Sache gibt es jedenfalls nicht, und dann bekäme das Wort „allgemein"
einen tieferen Sinn; von dieser Pflicht befreit wären dann bestimmte Gruppen,
während sie prinzipiell allen auferlegt wäre. Deutsche Staatsauffassung*) leitet
durchgängig Rechte aus Pflichten ab und gewährt jene nur. solange diese er-
füllt werden; erst aus irgendwie nützlicher Tätigkeit erwächst dem Bürger das
Wahlrecht, wobei allerdings der Begriff „Leistung" nicht überspannt werden
darf. Der Staat sind wir alle, und keiner sollte seine Vorteile genießen dürfen,
der sich herausnimmt, ihn sonst zu ignorieren, und so sollte er sich auch ent-
scheiden müssen, wenn die Volksvertretung gebildet wird. Gar nchts hat da¬
gegen das Wahlrecht mit der Militärdienstpflicht zu tun. womit es Agitations-
reden immer zusammenbringen, und zwar weder geschichtlich noch theoretisch;
daß sich beide im Bewußtsein des Volkes sittlich ergänzten, ist eine nichtige
Phrase. In vielen Ländern wird seit langer Zeit „allgemein" (im unscharfen
Wortsinn) gewählt, die die Wehrpflicht nicht kannten oder aber erst eingeführt
haben. Auch diese verkehrte Verquicwng verschiedener Fragen wäre durch eine
Betonung der Wahlpflicht abgewiesen, die völlig unabhängig davon bestände.
^ Mehr ausgeführt in meinem Buche- „Organisation". Heidelberg, Winter. 1817.
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