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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie

ein zweiter Punkt; sehr schwer ist es, sich ein Urteil zu bilden, inwieweit
eine wirkliche Politisierung der Frau schon tatsächlich bei uns vorliegt und
über ein bißchen Mitreden hinausgeht; mit anderen Worten, ob eine beträcht¬
liche Zahl im vorhin erörterten Sinne schon politisch reif ist. Sehr erwägens¬
wert erschiene mir ein Versuch, diesen Widersprüchen dadurch zu entrinnen, daß
man das passive Wahlrecht den Frauen noch vorenthält, bis größere Leistungen
von Frauen auf diesem Gebiet vorliegen, das aktive dagegen nur denjenigen
Frauen zuspricht, die sich in männerähnlicher Weise dauernd betätigen. In
die Familie trüge es nur Unfrieden und einen Keim der noch weiteren Zer¬
setzung der Ehe; der gesteigerten Leistung von Frauen in öffentlichen Berufen
aber wäre Rechnung getragen. Nicht nur das Alter, sondern irgendeine
Leistung für den Staat müßte die Grundlage bilden, wie das ja eigentlich
auch bei den Männern der Fall sein sollte, wo Nichtstuer und Drohnen auch
ausgeschlossen werden sollten. Wäre dieses Prinzip eines teilweisen Frauen¬
wahlrechts erst angenommen, so würde sich für eine genaue Begrenzung und
Paragraphierung leicht eine Formel finden, wie das immer der Fall ist. Und
sollte in Zukunft sich die tatsächliche Grundlage ändern, so könnte auch dem
leicht Rechnung getragen werden.

Muß also bei dem Vorgang des Wöhlens der Hauptnachdruck auf die
politische Urteilsfähigkeit gelegt werden, so führt die Idee der Stellvertretung
auch für persönliche Wünsche auf den Gegensatz von direkter und indirekter
Wahl. Es ist ganz falsch, ihn immer mit dem Dreiklassensystem zu verquicken,
mit dem er äußerlich in Preußen zusammenhängt, logisch aber gar nichts zu
tun hat, wie Amerika zeigt. Vielmehr entspringt der Gedanke der indirekten
Wahl im Grunde echt volkstümlichen Erwägungen: der Wähler möchte und
sollte eigentlich die Persönlichkeit und den Charakter des Kandidaten genau
kennen, und das ist bei den vielen Wahlmänmrn weit eher möglich als bei
den wenigen Abgeordneten. Deren Person besteht für den Wühler jetzt häufig
nur aus dem Namen, der Parteizugehörigkeit und ein paar Vorurteilen oder
gar Anekvoten aus seinem Leben; die Wahlversammlungen, in denen er sich
vorstellt, sind nur ein ungenügender Ersatz für eine Kenntnis etwa aus lang¬
jährigem Zusammenleben in Dorf und Stadt. Doch ist leider bei uns das
Vorurteil gegen die indirekte Wahl so groß, daß theoretische Erwägung da¬
gegen auszukommen wenig Aussicht hat.

Andere Bezöge ergeben sich, wenn man ethische Gedanken heranzieht, wie
es ja teilweise schon bei der Frau geschehen ist. Zwar für direkte oder in¬
direkte Wahl läßt sich da nichts gewinnen, wohl aber für die Begriffe allge¬
meines Wahlrecht und geheimer Wahlakt. Und zwar muß man von dem
Grundurteil ausgehen, ob wählen ein Recht, eine Pflicht oder beides ist?
Historisch erscheint es immer nur als ein Recht, weil es dem Absolutismus
abgerungen sich gegen die im Besitz der Staatsgewalt Befindlichen behaupten
mußte. Allein ein Menschenrecht ist es keinenfalls, das man lediglich durch


Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie

ein zweiter Punkt; sehr schwer ist es, sich ein Urteil zu bilden, inwieweit
eine wirkliche Politisierung der Frau schon tatsächlich bei uns vorliegt und
über ein bißchen Mitreden hinausgeht; mit anderen Worten, ob eine beträcht¬
liche Zahl im vorhin erörterten Sinne schon politisch reif ist. Sehr erwägens¬
wert erschiene mir ein Versuch, diesen Widersprüchen dadurch zu entrinnen, daß
man das passive Wahlrecht den Frauen noch vorenthält, bis größere Leistungen
von Frauen auf diesem Gebiet vorliegen, das aktive dagegen nur denjenigen
Frauen zuspricht, die sich in männerähnlicher Weise dauernd betätigen. In
die Familie trüge es nur Unfrieden und einen Keim der noch weiteren Zer¬
setzung der Ehe; der gesteigerten Leistung von Frauen in öffentlichen Berufen
aber wäre Rechnung getragen. Nicht nur das Alter, sondern irgendeine
Leistung für den Staat müßte die Grundlage bilden, wie das ja eigentlich
auch bei den Männern der Fall sein sollte, wo Nichtstuer und Drohnen auch
ausgeschlossen werden sollten. Wäre dieses Prinzip eines teilweisen Frauen¬
wahlrechts erst angenommen, so würde sich für eine genaue Begrenzung und
Paragraphierung leicht eine Formel finden, wie das immer der Fall ist. Und
sollte in Zukunft sich die tatsächliche Grundlage ändern, so könnte auch dem
leicht Rechnung getragen werden.

Muß also bei dem Vorgang des Wöhlens der Hauptnachdruck auf die
politische Urteilsfähigkeit gelegt werden, so führt die Idee der Stellvertretung
auch für persönliche Wünsche auf den Gegensatz von direkter und indirekter
Wahl. Es ist ganz falsch, ihn immer mit dem Dreiklassensystem zu verquicken,
mit dem er äußerlich in Preußen zusammenhängt, logisch aber gar nichts zu
tun hat, wie Amerika zeigt. Vielmehr entspringt der Gedanke der indirekten
Wahl im Grunde echt volkstümlichen Erwägungen: der Wähler möchte und
sollte eigentlich die Persönlichkeit und den Charakter des Kandidaten genau
kennen, und das ist bei den vielen Wahlmänmrn weit eher möglich als bei
den wenigen Abgeordneten. Deren Person besteht für den Wühler jetzt häufig
nur aus dem Namen, der Parteizugehörigkeit und ein paar Vorurteilen oder
gar Anekvoten aus seinem Leben; die Wahlversammlungen, in denen er sich
vorstellt, sind nur ein ungenügender Ersatz für eine Kenntnis etwa aus lang¬
jährigem Zusammenleben in Dorf und Stadt. Doch ist leider bei uns das
Vorurteil gegen die indirekte Wahl so groß, daß theoretische Erwägung da¬
gegen auszukommen wenig Aussicht hat.

Andere Bezöge ergeben sich, wenn man ethische Gedanken heranzieht, wie
es ja teilweise schon bei der Frau geschehen ist. Zwar für direkte oder in¬
direkte Wahl läßt sich da nichts gewinnen, wohl aber für die Begriffe allge¬
meines Wahlrecht und geheimer Wahlakt. Und zwar muß man von dem
Grundurteil ausgehen, ob wählen ein Recht, eine Pflicht oder beides ist?
Historisch erscheint es immer nur als ein Recht, weil es dem Absolutismus
abgerungen sich gegen die im Besitz der Staatsgewalt Befindlichen behaupten
mußte. Allein ein Menschenrecht ist es keinenfalls, das man lediglich durch


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[0113] Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie ein zweiter Punkt; sehr schwer ist es, sich ein Urteil zu bilden, inwieweit eine wirkliche Politisierung der Frau schon tatsächlich bei uns vorliegt und über ein bißchen Mitreden hinausgeht; mit anderen Worten, ob eine beträcht¬ liche Zahl im vorhin erörterten Sinne schon politisch reif ist. Sehr erwägens¬ wert erschiene mir ein Versuch, diesen Widersprüchen dadurch zu entrinnen, daß man das passive Wahlrecht den Frauen noch vorenthält, bis größere Leistungen von Frauen auf diesem Gebiet vorliegen, das aktive dagegen nur denjenigen Frauen zuspricht, die sich in männerähnlicher Weise dauernd betätigen. In die Familie trüge es nur Unfrieden und einen Keim der noch weiteren Zer¬ setzung der Ehe; der gesteigerten Leistung von Frauen in öffentlichen Berufen aber wäre Rechnung getragen. Nicht nur das Alter, sondern irgendeine Leistung für den Staat müßte die Grundlage bilden, wie das ja eigentlich auch bei den Männern der Fall sein sollte, wo Nichtstuer und Drohnen auch ausgeschlossen werden sollten. Wäre dieses Prinzip eines teilweisen Frauen¬ wahlrechts erst angenommen, so würde sich für eine genaue Begrenzung und Paragraphierung leicht eine Formel finden, wie das immer der Fall ist. Und sollte in Zukunft sich die tatsächliche Grundlage ändern, so könnte auch dem leicht Rechnung getragen werden. Muß also bei dem Vorgang des Wöhlens der Hauptnachdruck auf die politische Urteilsfähigkeit gelegt werden, so führt die Idee der Stellvertretung auch für persönliche Wünsche auf den Gegensatz von direkter und indirekter Wahl. Es ist ganz falsch, ihn immer mit dem Dreiklassensystem zu verquicken, mit dem er äußerlich in Preußen zusammenhängt, logisch aber gar nichts zu tun hat, wie Amerika zeigt. Vielmehr entspringt der Gedanke der indirekten Wahl im Grunde echt volkstümlichen Erwägungen: der Wähler möchte und sollte eigentlich die Persönlichkeit und den Charakter des Kandidaten genau kennen, und das ist bei den vielen Wahlmänmrn weit eher möglich als bei den wenigen Abgeordneten. Deren Person besteht für den Wühler jetzt häufig nur aus dem Namen, der Parteizugehörigkeit und ein paar Vorurteilen oder gar Anekvoten aus seinem Leben; die Wahlversammlungen, in denen er sich vorstellt, sind nur ein ungenügender Ersatz für eine Kenntnis etwa aus lang¬ jährigem Zusammenleben in Dorf und Stadt. Doch ist leider bei uns das Vorurteil gegen die indirekte Wahl so groß, daß theoretische Erwägung da¬ gegen auszukommen wenig Aussicht hat. Andere Bezöge ergeben sich, wenn man ethische Gedanken heranzieht, wie es ja teilweise schon bei der Frau geschehen ist. Zwar für direkte oder in¬ direkte Wahl läßt sich da nichts gewinnen, wohl aber für die Begriffe allge¬ meines Wahlrecht und geheimer Wahlakt. Und zwar muß man von dem Grundurteil ausgehen, ob wählen ein Recht, eine Pflicht oder beides ist? Historisch erscheint es immer nur als ein Recht, weil es dem Absolutismus abgerungen sich gegen die im Besitz der Staatsgewalt Befindlichen behaupten mußte. Allein ein Menschenrecht ist es keinenfalls, das man lediglich durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/113>, abgerufen am 04.01.2025.