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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie

stillschweigend angenommen, wir, wiewir früher waren, oder ein anderes Volk sei noch
mchtreif; es könnte ja auch ein Volk schon überreif sein und damit wären wieder
andere Bedingungen gegeben. Mit anderen Worten: die Frage wird in eine
Entwicklung gestellt und es wird angenommen, das Wahlrecht müsse dem jeweiligen
geistigen Zustand eines Volkes angemessen sein. Dann aber ist eine endgültige
Entscheidung, welches ein für allemal das beste sein soll, unmöglich, und die
Sache wird relativ. Erklären wir uns endlich aus eigenem Urteil heraus nach
der ungeheuren Leistung dieses Krieges für reif, für auf der Höhe stehend,
für des Besten würdig, so würde es sich immer noch fragen, welche Form diesem
besten Zustand entspricht.

Der Gedanke des Wählers hat eine Art von Stellvertretung zur Grund¬
lage und eine Handlung des Wählenden, durch die er einen anderen dazu
bestimmt, seine persönlichen Interessen wie die des ganzen Vaterlandes zu ver-
treten. Das setzt also voraus, daß der Wähler sich ein Urteil gebildet hat
nicht nur über seine eigenen Wünsche, was leicht ist. sondern auch über politische
Verhältnisse, wenigstens in ihren wichtigsten Umrissen. Das kommt ja auch
Zum Ausdruck in der Festsetzung einer Altersgrenze, unterhalb welcher eine
solche Urteilsreife nicht angenommen werden kann, und die heute eher zu niedrig
als zu hoch bemessen ist. Und es sollte der leitende Gesichtspunkt sein auch
bei den anderen Entscheidungen; denn wenn das Ideal, das Wählen aus
voller Überzeugung und politischem Urteil heraus, gänzlich ausgeschlossen er-
scheint, so verfällt der Vorgang notwendig sei es der Überredung
und Beeinflussung, sti es der Gewinnung eines Vorteils, ja der direkten
Bestechung und dem Stimmenkauf, wie er im "freien" Amerika, das in Wahr-
heit die denkbar schlechtesten politischen Einrichtungen hat, üblich ist. Schon
die Gleichgültigkeit in politischen Dingen ist ein Hindernis eines ernsthaften
Wahlvorgangs; sinnvolles Handeln ist von Motiven geleitet und solche poli¬
tischer Art müssen also vorhanden sein, wenn das Wählen nicht der größte
Schwindel sein soll, den unsere Kultur jemals erzeugt hat.

Das scheint mir wichtig für die Frage des Frauenwahlrechts. Tatsache
ist zweifellos, daß unzählige Frauen sich ihr Lebtag nicht um Politik kümmern,
nicht minder, daß für eine kleine Minorität, die allerdings durch die Verhält¬
nisse während des Krieges sicher gewachsen ist. sowohl durch das Eintreten
von Frauen im Männerberufe als auch durch reicheres Lesen. Hören und
Reden über politische Fragen, das Gegenteil gilt. Dann aber kann man
diese Beziehung auch in eine Forderung verwandeln: die Ehefrau, die Haus¬
frau, die Mutter soll sich nicht mit Politik befassen, die Hände davon und diese
Plage dem Manne lassen; Politik verdirbt den Charakter, jedenfalls aber den
der Frau; echte Weiblichkeit und Parteihader sind unvereinbar; die Frau soll
versöhnend, ausgleichend, mildernd wirken u, s, f. nach Belieben. Ob man eine
solche Normierung auch auf die unverheiratet bleibenden, in einem öffentlichen
"der gar wissenschaftlichen Beruf dauernd tätigen Frauen ausdehnen will, ist


Das Wahlrecht im Lichte der Philosophie

stillschweigend angenommen, wir, wiewir früher waren, oder ein anderes Volk sei noch
mchtreif; es könnte ja auch ein Volk schon überreif sein und damit wären wieder
andere Bedingungen gegeben. Mit anderen Worten: die Frage wird in eine
Entwicklung gestellt und es wird angenommen, das Wahlrecht müsse dem jeweiligen
geistigen Zustand eines Volkes angemessen sein. Dann aber ist eine endgültige
Entscheidung, welches ein für allemal das beste sein soll, unmöglich, und die
Sache wird relativ. Erklären wir uns endlich aus eigenem Urteil heraus nach
der ungeheuren Leistung dieses Krieges für reif, für auf der Höhe stehend,
für des Besten würdig, so würde es sich immer noch fragen, welche Form diesem
besten Zustand entspricht.

Der Gedanke des Wählers hat eine Art von Stellvertretung zur Grund¬
lage und eine Handlung des Wählenden, durch die er einen anderen dazu
bestimmt, seine persönlichen Interessen wie die des ganzen Vaterlandes zu ver-
treten. Das setzt also voraus, daß der Wähler sich ein Urteil gebildet hat
nicht nur über seine eigenen Wünsche, was leicht ist. sondern auch über politische
Verhältnisse, wenigstens in ihren wichtigsten Umrissen. Das kommt ja auch
Zum Ausdruck in der Festsetzung einer Altersgrenze, unterhalb welcher eine
solche Urteilsreife nicht angenommen werden kann, und die heute eher zu niedrig
als zu hoch bemessen ist. Und es sollte der leitende Gesichtspunkt sein auch
bei den anderen Entscheidungen; denn wenn das Ideal, das Wählen aus
voller Überzeugung und politischem Urteil heraus, gänzlich ausgeschlossen er-
scheint, so verfällt der Vorgang notwendig sei es der Überredung
und Beeinflussung, sti es der Gewinnung eines Vorteils, ja der direkten
Bestechung und dem Stimmenkauf, wie er im „freien" Amerika, das in Wahr-
heit die denkbar schlechtesten politischen Einrichtungen hat, üblich ist. Schon
die Gleichgültigkeit in politischen Dingen ist ein Hindernis eines ernsthaften
Wahlvorgangs; sinnvolles Handeln ist von Motiven geleitet und solche poli¬
tischer Art müssen also vorhanden sein, wenn das Wählen nicht der größte
Schwindel sein soll, den unsere Kultur jemals erzeugt hat.

Das scheint mir wichtig für die Frage des Frauenwahlrechts. Tatsache
ist zweifellos, daß unzählige Frauen sich ihr Lebtag nicht um Politik kümmern,
nicht minder, daß für eine kleine Minorität, die allerdings durch die Verhält¬
nisse während des Krieges sicher gewachsen ist. sowohl durch das Eintreten
von Frauen im Männerberufe als auch durch reicheres Lesen. Hören und
Reden über politische Fragen, das Gegenteil gilt. Dann aber kann man
diese Beziehung auch in eine Forderung verwandeln: die Ehefrau, die Haus¬
frau, die Mutter soll sich nicht mit Politik befassen, die Hände davon und diese
Plage dem Manne lassen; Politik verdirbt den Charakter, jedenfalls aber den
der Frau; echte Weiblichkeit und Parteihader sind unvereinbar; die Frau soll
versöhnend, ausgleichend, mildernd wirken u, s, f. nach Belieben. Ob man eine
solche Normierung auch auf die unverheiratet bleibenden, in einem öffentlichen
»der gar wissenschaftlichen Beruf dauernd tätigen Frauen ausdehnen will, ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/112>, abgerufen am 06.01.2025.