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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Zur baltischen Frage

Neben die zwei Bände der vorerwähnten Sammlung "Ostsee und Ostlaud",
die der bildenden Kunst der Ostseeprovinzen gewidmet sind, treten zwei weitere
die einen Eindruck der baltischen Dichtkunst vermitteln. Der zweite Band
"Novellen und Dramen", herausgegeben von Hellmuth Krüger, sammelt eine
Reihe von Prosadichtungen, die durch zwei Dramoletts eingerahmt sind. Die
Tonleiter der Stimmungen, die der Leser dabei durchläuft, wird in der liebens¬
würdig preziösen Einleitung bereits leicht angeschlagen, zugleich durch einen Appell
vom schlecht unterrichteten Leser act melius inkormeuiäum die schiefe kahle
convenue vom "Deutschrussentum" zurechtgerückt. Eduard Graf Keyserlings
Ruf brauchte nicht erst durch diese Proben seiner reifen Kunst begründet zu
werden. Partenius' brave Hausmannskost hat wohl den Höhepunkt ihrer
Wertung außerhalb des Baltikums jedenfalls bereits überschritten, wird aber
immer noch dankbare Leser finden. Zu den wertvollsten, obschon nicht gerade
für das Baltentum charakteristischsten Stücken der Sammlung gehört die Novelle
"Julia" des frühverstorbenen Erich v. Mendelssohn. Als Milieu- und Schick¬
salsschilderung aus dem alten, Kurland spricht Eva v. Nadeckis "Krippenreiter"
besonders unmittelbar an. Die Beiträge von Gustav Specht und Herbert
von Hoerner verdienen als kleine Kabinettstücke einer erlesenen anmutig zieren
Prosa Erwähnung, panäaemonium dermanicum, ein kraftgenialischesDramolett
von Goethes Jugendfreunde Lenz, fällt als einziges älteres Stück etwas aus
dem Rahmen des Ganzen heraus.

Durchaus auf die Gegenwart und innerhalb ihrer auf die Jüngsten be¬
schränkt sich der vierte Band "Die jungen Ballen", der nur Lyrik bringt. Die
Einleitung des Herausgebers Bruno Goetz. die oft recht ins Gekünstelte und
Prätentiöse ausschlägt, befriedigt nicht durchaus. Auch an der Auswahl wäre
hier mehr auszusetzen als bei den früheren Bänden. Die jungen Dichter,
deren bunte Schar sich hier zusammengefunden hat. sind nur zum Teil wie der
allzu jung verstorbene Kurt Bertels oder Otto Graf Taube der Öffentlichkeit
bereits durch selbständige Publikationen bekannt. Neben manchem Ansprechenden
und reichlichem modern-lyrischem Mittelgut findet sich in dieser Sammlung doch
auch viel Verzerrtes. Eine entschiedene Gegnerschaft gegen den bürgerlich-
literarischen Hausgeschmack, der innerhalb der konservativen baltischen Kultur
noch eine stärkere Macht bedeutet als in den großstädtischen Literaturkreisen
Deutschlands, verbindet diese zum großen Teil noch recht unausgereiften Talente,
von deren vielfach verheißungsvollem Können sich nach den wenigen Proben
schwer ein abgerundetes Bild geben läßt. Bemerkenswert ist, daß die erwähnte
Gegnerschaft in weitem Maße einen Gegensatz gegen das heimische Milien be¬
dingt. Es verwundert deshalb nicht, daß eine große Zahl dieser jungen Ballen
in reichsdeulschen Großstädten ansässig geworden ist und damit auch äußerlich
der kulturellen Heimatluft stark entwächst. Als Wurzelboden freilich schimmert
auch hier die späte Reife der aristokratischen Kultur des Baltikums allenthalben
hindurch.


Zur baltischen Frage

Neben die zwei Bände der vorerwähnten Sammlung „Ostsee und Ostlaud",
die der bildenden Kunst der Ostseeprovinzen gewidmet sind, treten zwei weitere
die einen Eindruck der baltischen Dichtkunst vermitteln. Der zweite Band
„Novellen und Dramen", herausgegeben von Hellmuth Krüger, sammelt eine
Reihe von Prosadichtungen, die durch zwei Dramoletts eingerahmt sind. Die
Tonleiter der Stimmungen, die der Leser dabei durchläuft, wird in der liebens¬
würdig preziösen Einleitung bereits leicht angeschlagen, zugleich durch einen Appell
vom schlecht unterrichteten Leser act melius inkormeuiäum die schiefe kahle
convenue vom „Deutschrussentum" zurechtgerückt. Eduard Graf Keyserlings
Ruf brauchte nicht erst durch diese Proben seiner reifen Kunst begründet zu
werden. Partenius' brave Hausmannskost hat wohl den Höhepunkt ihrer
Wertung außerhalb des Baltikums jedenfalls bereits überschritten, wird aber
immer noch dankbare Leser finden. Zu den wertvollsten, obschon nicht gerade
für das Baltentum charakteristischsten Stücken der Sammlung gehört die Novelle
„Julia" des frühverstorbenen Erich v. Mendelssohn. Als Milieu- und Schick¬
salsschilderung aus dem alten, Kurland spricht Eva v. Nadeckis „Krippenreiter"
besonders unmittelbar an. Die Beiträge von Gustav Specht und Herbert
von Hoerner verdienen als kleine Kabinettstücke einer erlesenen anmutig zieren
Prosa Erwähnung, panäaemonium dermanicum, ein kraftgenialischesDramolett
von Goethes Jugendfreunde Lenz, fällt als einziges älteres Stück etwas aus
dem Rahmen des Ganzen heraus.

Durchaus auf die Gegenwart und innerhalb ihrer auf die Jüngsten be¬
schränkt sich der vierte Band „Die jungen Ballen", der nur Lyrik bringt. Die
Einleitung des Herausgebers Bruno Goetz. die oft recht ins Gekünstelte und
Prätentiöse ausschlägt, befriedigt nicht durchaus. Auch an der Auswahl wäre
hier mehr auszusetzen als bei den früheren Bänden. Die jungen Dichter,
deren bunte Schar sich hier zusammengefunden hat. sind nur zum Teil wie der
allzu jung verstorbene Kurt Bertels oder Otto Graf Taube der Öffentlichkeit
bereits durch selbständige Publikationen bekannt. Neben manchem Ansprechenden
und reichlichem modern-lyrischem Mittelgut findet sich in dieser Sammlung doch
auch viel Verzerrtes. Eine entschiedene Gegnerschaft gegen den bürgerlich-
literarischen Hausgeschmack, der innerhalb der konservativen baltischen Kultur
noch eine stärkere Macht bedeutet als in den großstädtischen Literaturkreisen
Deutschlands, verbindet diese zum großen Teil noch recht unausgereiften Talente,
von deren vielfach verheißungsvollem Können sich nach den wenigen Proben
schwer ein abgerundetes Bild geben läßt. Bemerkenswert ist, daß die erwähnte
Gegnerschaft in weitem Maße einen Gegensatz gegen das heimische Milien be¬
dingt. Es verwundert deshalb nicht, daß eine große Zahl dieser jungen Ballen
in reichsdeulschen Großstädten ansässig geworden ist und damit auch äußerlich
der kulturellen Heimatluft stark entwächst. Als Wurzelboden freilich schimmert
auch hier die späte Reife der aristokratischen Kultur des Baltikums allenthalben
hindurch.


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[0107] Zur baltischen Frage Neben die zwei Bände der vorerwähnten Sammlung „Ostsee und Ostlaud", die der bildenden Kunst der Ostseeprovinzen gewidmet sind, treten zwei weitere die einen Eindruck der baltischen Dichtkunst vermitteln. Der zweite Band „Novellen und Dramen", herausgegeben von Hellmuth Krüger, sammelt eine Reihe von Prosadichtungen, die durch zwei Dramoletts eingerahmt sind. Die Tonleiter der Stimmungen, die der Leser dabei durchläuft, wird in der liebens¬ würdig preziösen Einleitung bereits leicht angeschlagen, zugleich durch einen Appell vom schlecht unterrichteten Leser act melius inkormeuiäum die schiefe kahle convenue vom „Deutschrussentum" zurechtgerückt. Eduard Graf Keyserlings Ruf brauchte nicht erst durch diese Proben seiner reifen Kunst begründet zu werden. Partenius' brave Hausmannskost hat wohl den Höhepunkt ihrer Wertung außerhalb des Baltikums jedenfalls bereits überschritten, wird aber immer noch dankbare Leser finden. Zu den wertvollsten, obschon nicht gerade für das Baltentum charakteristischsten Stücken der Sammlung gehört die Novelle „Julia" des frühverstorbenen Erich v. Mendelssohn. Als Milieu- und Schick¬ salsschilderung aus dem alten, Kurland spricht Eva v. Nadeckis „Krippenreiter" besonders unmittelbar an. Die Beiträge von Gustav Specht und Herbert von Hoerner verdienen als kleine Kabinettstücke einer erlesenen anmutig zieren Prosa Erwähnung, panäaemonium dermanicum, ein kraftgenialischesDramolett von Goethes Jugendfreunde Lenz, fällt als einziges älteres Stück etwas aus dem Rahmen des Ganzen heraus. Durchaus auf die Gegenwart und innerhalb ihrer auf die Jüngsten be¬ schränkt sich der vierte Band „Die jungen Ballen", der nur Lyrik bringt. Die Einleitung des Herausgebers Bruno Goetz. die oft recht ins Gekünstelte und Prätentiöse ausschlägt, befriedigt nicht durchaus. Auch an der Auswahl wäre hier mehr auszusetzen als bei den früheren Bänden. Die jungen Dichter, deren bunte Schar sich hier zusammengefunden hat. sind nur zum Teil wie der allzu jung verstorbene Kurt Bertels oder Otto Graf Taube der Öffentlichkeit bereits durch selbständige Publikationen bekannt. Neben manchem Ansprechenden und reichlichem modern-lyrischem Mittelgut findet sich in dieser Sammlung doch auch viel Verzerrtes. Eine entschiedene Gegnerschaft gegen den bürgerlich- literarischen Hausgeschmack, der innerhalb der konservativen baltischen Kultur noch eine stärkere Macht bedeutet als in den großstädtischen Literaturkreisen Deutschlands, verbindet diese zum großen Teil noch recht unausgereiften Talente, von deren vielfach verheißungsvollem Können sich nach den wenigen Proben schwer ein abgerundetes Bild geben läßt. Bemerkenswert ist, daß die erwähnte Gegnerschaft in weitem Maße einen Gegensatz gegen das heimische Milien be¬ dingt. Es verwundert deshalb nicht, daß eine große Zahl dieser jungen Ballen in reichsdeulschen Großstädten ansässig geworden ist und damit auch äußerlich der kulturellen Heimatluft stark entwächst. Als Wurzelboden freilich schimmert auch hier die späte Reife der aristokratischen Kultur des Baltikums allenthalben hindurch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/107>, abgerufen am 10.01.2025.