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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Monopolisierung des Getreidehandels

höher stand, als ihr eigenes Interesse. Aber man kann nicht behaupten, daß
sich diese Männer in der Mehrzahl befunden haben. Im Gegenteil, sie standen
abseits der großen Menge und beteiligten sich nicht am Geschäft. Sie mußten
zusehen, wie diejenigen, die ihre Auffassung nicht teilten, Millionenumsätze hundelt
konnten. Die Mehrzahl der maßgebenden Männer hatte damals nicht die
genügende volkswirtschaftliche Einsicht. Nur so erklärt es sich, daß an der
Getreidebörse nichts erfolgte, um den schädlichen Preistreibereien Einhalt zu tun,
um vor allem das Interesse des deutschen Komsums zu schützen. Ja, es gab
sogar Männer, die sich nicht scheuten, auszusprechen, "daß. je teurer das Getreide
sei, um so mehr schränke sich der Konsum ein und daß eine solche Politik im
Interesse unserer Kriegswirtschaft liege". Die Getreidebörse war nicht der einzige
Ort, wo man solchen falschen Theorien vertraute. Es ist bekannt, daß auch an
anderen Stellen der Vorschlag gemacht wurde, "man solle den Getreidepreis
noch 50 Mark pro Tonne steigen lassen und das Ernährungßproblem sei gelöst".
Auf das völlig Unsoziale dieser Vorschläge ist man damals nicht gekommen. Man
hielt es durchaus für angebracht, den Getreidepreis emporschnellen zu lassen auf
Kosten des Konsums, wobei der Zwischenhandel einen großen Teil des Gewinnes
eingeheimst hätte. Ein erheblicher Teil des Börsenvorstandes huldigte damals
ganz falschen manchesterlichen Anschauungen, wollte von einem Eingriff in die
natürliche Bewegung der Preise nichts wissen, trotzdem sich das Verhältnis von
Angebot und Nachfrage ganz gewaltig verschoben hatte. Gegen die Spekulanten
wurde nicht eingeschritten, im Gegenteil, der Börsenvorstand sah untätig den
ganzen Vorkommnissen zu, die, wie sich später gezeigt hat, für das deutsche
Börsenwesen von verderblicher Wirkung waren. Das zwang die Regierung
zum Einschreiten. Sie drohte zunächst durch die ihr nahestehende Presse mit
der Einführung von Höchstpreisen. Aber es zeigte sich, daß diese Drohung
nicht den gewünschten Erfolg hatte, im Gegenteil, die Preise stiegen andauernd
weiter, und so mußte denn die Regierung gesetzliche Vorschriften erlassen, die
auf eine Preisbegrenzung für Getreide hinausliefen. Wiederum mußte die
Regierung um eine schlechte Erfahrung reicher werden. Hatte man vorher ge¬
glaubt, sich auf den Handel verlassen zu können, so mußte man jetzt einsehen,
daß der Handel selbst nicht einmal Gesetze respektierte. Zwar gab es anch an
der Berliner Getreidebörse Firmen, die sofort bei Bekanntwerden der Höchst¬
preise ihre geschäftliche Tätigkeit einstellten, da sie mit denjenigen, die die Höchst¬
preise ständig überschritten, nicht in Wettbewerb treten wollten. Das waren
aber nur sehr wenige, die übrigen Händler trieben ein munteres Spiel und
überboten sich gegenseitig in der "Technik" der Überschreitung der Höchstpreise.
Schließlich kam es dahin, daß am Getreidemarkt überhaupt kaum noch ein
Geschäft abgeschlossen wurde, das den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Fast
jedes Geschäft bedeutete einen Verstoß gegen die bestehenden Verordnungen.
Es wurden fast nur Abschlüsse unter Umgehung der Höchstpreise bekannt. Es
ist heute noch unverständlich, weshalb der Vorstand der Berliner Börse nicht


Die Monopolisierung des Getreidehandels

höher stand, als ihr eigenes Interesse. Aber man kann nicht behaupten, daß
sich diese Männer in der Mehrzahl befunden haben. Im Gegenteil, sie standen
abseits der großen Menge und beteiligten sich nicht am Geschäft. Sie mußten
zusehen, wie diejenigen, die ihre Auffassung nicht teilten, Millionenumsätze hundelt
konnten. Die Mehrzahl der maßgebenden Männer hatte damals nicht die
genügende volkswirtschaftliche Einsicht. Nur so erklärt es sich, daß an der
Getreidebörse nichts erfolgte, um den schädlichen Preistreibereien Einhalt zu tun,
um vor allem das Interesse des deutschen Komsums zu schützen. Ja, es gab
sogar Männer, die sich nicht scheuten, auszusprechen, „daß. je teurer das Getreide
sei, um so mehr schränke sich der Konsum ein und daß eine solche Politik im
Interesse unserer Kriegswirtschaft liege". Die Getreidebörse war nicht der einzige
Ort, wo man solchen falschen Theorien vertraute. Es ist bekannt, daß auch an
anderen Stellen der Vorschlag gemacht wurde, „man solle den Getreidepreis
noch 50 Mark pro Tonne steigen lassen und das Ernährungßproblem sei gelöst".
Auf das völlig Unsoziale dieser Vorschläge ist man damals nicht gekommen. Man
hielt es durchaus für angebracht, den Getreidepreis emporschnellen zu lassen auf
Kosten des Konsums, wobei der Zwischenhandel einen großen Teil des Gewinnes
eingeheimst hätte. Ein erheblicher Teil des Börsenvorstandes huldigte damals
ganz falschen manchesterlichen Anschauungen, wollte von einem Eingriff in die
natürliche Bewegung der Preise nichts wissen, trotzdem sich das Verhältnis von
Angebot und Nachfrage ganz gewaltig verschoben hatte. Gegen die Spekulanten
wurde nicht eingeschritten, im Gegenteil, der Börsenvorstand sah untätig den
ganzen Vorkommnissen zu, die, wie sich später gezeigt hat, für das deutsche
Börsenwesen von verderblicher Wirkung waren. Das zwang die Regierung
zum Einschreiten. Sie drohte zunächst durch die ihr nahestehende Presse mit
der Einführung von Höchstpreisen. Aber es zeigte sich, daß diese Drohung
nicht den gewünschten Erfolg hatte, im Gegenteil, die Preise stiegen andauernd
weiter, und so mußte denn die Regierung gesetzliche Vorschriften erlassen, die
auf eine Preisbegrenzung für Getreide hinausliefen. Wiederum mußte die
Regierung um eine schlechte Erfahrung reicher werden. Hatte man vorher ge¬
glaubt, sich auf den Handel verlassen zu können, so mußte man jetzt einsehen,
daß der Handel selbst nicht einmal Gesetze respektierte. Zwar gab es anch an
der Berliner Getreidebörse Firmen, die sofort bei Bekanntwerden der Höchst¬
preise ihre geschäftliche Tätigkeit einstellten, da sie mit denjenigen, die die Höchst¬
preise ständig überschritten, nicht in Wettbewerb treten wollten. Das waren
aber nur sehr wenige, die übrigen Händler trieben ein munteres Spiel und
überboten sich gegenseitig in der „Technik" der Überschreitung der Höchstpreise.
Schließlich kam es dahin, daß am Getreidemarkt überhaupt kaum noch ein
Geschäft abgeschlossen wurde, das den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Fast
jedes Geschäft bedeutete einen Verstoß gegen die bestehenden Verordnungen.
Es wurden fast nur Abschlüsse unter Umgehung der Höchstpreise bekannt. Es
ist heute noch unverständlich, weshalb der Vorstand der Berliner Börse nicht


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[0091] Die Monopolisierung des Getreidehandels höher stand, als ihr eigenes Interesse. Aber man kann nicht behaupten, daß sich diese Männer in der Mehrzahl befunden haben. Im Gegenteil, sie standen abseits der großen Menge und beteiligten sich nicht am Geschäft. Sie mußten zusehen, wie diejenigen, die ihre Auffassung nicht teilten, Millionenumsätze hundelt konnten. Die Mehrzahl der maßgebenden Männer hatte damals nicht die genügende volkswirtschaftliche Einsicht. Nur so erklärt es sich, daß an der Getreidebörse nichts erfolgte, um den schädlichen Preistreibereien Einhalt zu tun, um vor allem das Interesse des deutschen Komsums zu schützen. Ja, es gab sogar Männer, die sich nicht scheuten, auszusprechen, „daß. je teurer das Getreide sei, um so mehr schränke sich der Konsum ein und daß eine solche Politik im Interesse unserer Kriegswirtschaft liege". Die Getreidebörse war nicht der einzige Ort, wo man solchen falschen Theorien vertraute. Es ist bekannt, daß auch an anderen Stellen der Vorschlag gemacht wurde, „man solle den Getreidepreis noch 50 Mark pro Tonne steigen lassen und das Ernährungßproblem sei gelöst". Auf das völlig Unsoziale dieser Vorschläge ist man damals nicht gekommen. Man hielt es durchaus für angebracht, den Getreidepreis emporschnellen zu lassen auf Kosten des Konsums, wobei der Zwischenhandel einen großen Teil des Gewinnes eingeheimst hätte. Ein erheblicher Teil des Börsenvorstandes huldigte damals ganz falschen manchesterlichen Anschauungen, wollte von einem Eingriff in die natürliche Bewegung der Preise nichts wissen, trotzdem sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage ganz gewaltig verschoben hatte. Gegen die Spekulanten wurde nicht eingeschritten, im Gegenteil, der Börsenvorstand sah untätig den ganzen Vorkommnissen zu, die, wie sich später gezeigt hat, für das deutsche Börsenwesen von verderblicher Wirkung waren. Das zwang die Regierung zum Einschreiten. Sie drohte zunächst durch die ihr nahestehende Presse mit der Einführung von Höchstpreisen. Aber es zeigte sich, daß diese Drohung nicht den gewünschten Erfolg hatte, im Gegenteil, die Preise stiegen andauernd weiter, und so mußte denn die Regierung gesetzliche Vorschriften erlassen, die auf eine Preisbegrenzung für Getreide hinausliefen. Wiederum mußte die Regierung um eine schlechte Erfahrung reicher werden. Hatte man vorher ge¬ glaubt, sich auf den Handel verlassen zu können, so mußte man jetzt einsehen, daß der Handel selbst nicht einmal Gesetze respektierte. Zwar gab es anch an der Berliner Getreidebörse Firmen, die sofort bei Bekanntwerden der Höchst¬ preise ihre geschäftliche Tätigkeit einstellten, da sie mit denjenigen, die die Höchst¬ preise ständig überschritten, nicht in Wettbewerb treten wollten. Das waren aber nur sehr wenige, die übrigen Händler trieben ein munteres Spiel und überboten sich gegenseitig in der „Technik" der Überschreitung der Höchstpreise. Schließlich kam es dahin, daß am Getreidemarkt überhaupt kaum noch ein Geschäft abgeschlossen wurde, das den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Fast jedes Geschäft bedeutete einen Verstoß gegen die bestehenden Verordnungen. Es wurden fast nur Abschlüsse unter Umgehung der Höchstpreise bekannt. Es ist heute noch unverständlich, weshalb der Vorstand der Berliner Börse nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/91>, abgerufen am 25.08.2024.