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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Monopolisierung des Getreidehandels

ein einziges Mal gegen diese notorischen Gesetzesverletzer eingeschritten ist. An
Material wird es sicherlich nicht gefehlt haben; denn man scheute sich an der
Produktenbörse nicht, die Namen derer offen auszusprechen, die die Gesetze
ständig übertraten. Ja es herrschte sogar ein förmlicher Wettbewerb in der Art,
wie man die gesetzlichen Bestimmungen umging. Im Juniheft der Zeitschrift
"Das neue Deutschland" habe ich einige der wesentlichsten Arten der Gesetzes¬
übertretungen aufgezählt, die dadurch erfolgten, daß man besondere Qualitäts¬
vergütungen erstattete, Säcke doppelt bezahlte und dergleichen. Die Tatsache,
daß solche Geschäfte täglich in breitester Öffentlichkeit der Börse abgeschlossen
und bekannt wurden, ohne daß die Disziplinarbehörden der Börse dagegen
einschritten, läßt gewisse Schlußfolgerungen zu, die hier nur angedeutet werden
können.

Man hat in der letzten Zeit darauf hingewiesen, daß gerade im Metall¬
handel so erheblich viele Überschreitungen erfolgt sind, die eine strasrichterliche
Ahndung gefunden haben. Da nun verhältnismäßig wenige Getreidehändler
den Strafrichter während des Krieges beschäftigt haben, so wollte man daraus
den Schluß ziehen, daß im Metallhandel besonders viele Sünder an der Arbeit
waren, im Gegensatz zum Getreidehandel. Diese Schlußfolgerung ist aber völlig
falsch. Die Tatsache, daß im Metallhandel die Zahl der Bestrafungen der
Gesetzesübertretungen größer ist als im Getreidehandel, hängt nicht damit zu¬
sammen, daß der Getreidehandel weniger Verstöße gegen das Gesetz begangen
hat, als der Metallhandel. Der Grund hierfür ist vielmehr darin zu suchen,
daß bei den Metallhändlern nachträglich Revisionen der Bücher erfolgten, bei
denen festgestellt wurde, wo Überschreitungen der Befugnisse eingetreten sind,
die alsdann zur Anzeige gelangten. Beim Getreidehandel sind solche Revisionen
nicht vorgenommen worden und daher erklärt sich auch die verhältnismäßig
geringe Zahl des strafrichterlichen Einschreitens.

Die ständige Ueberschreitung der Höchstpreise zwang die Regierung zum
zweiten Male einzuschreiten. Es blieb kein anderer Ausweg, als die Ver¬
staatlichung des ganzen Getreidehandels und die Ausschaltung der privaten
Initiative. Für diesen Weg sprachen u. a. auch die Gründe der Sparsamkeit
im Verbrauch. Der Handel bot keine Möglichkeit, rationell innerhalb der
Kriegswirtschaft zu arbeiten oder gar die Vorräte gleichmäßig zu verteilen.
Das Höchstpreis-System hatte beim freien Handel Schiffbruch gelitten und die
Gefahren, die daraus folgten, mußten eine Lehre bieten. Eine Verteilung
der Vorräte in gleichen Mengen unter die Verbraucher war aber um so not¬
wendiger, als sonst die Gefahr nahegerückt wurde, daß die Getreidebestände zur
Deckung des laufenden Bedarfes nicht ausreichen würden. Nach langen Be¬
ratungen entschloß sich die Negierung im Januar 1915 zu einer Monopolisierung
des gesamten Getreidehandels. Sie schuf eine Organisation, wie sie die Welt¬
geschichte nicht kennt: denn die "Kriegsgetreide-Gesellschaft" erhielt die Ausgabe,
ein Volk von 68 Millionen Menschen mit Getreide und Mehl zu versorgen und


Die Monopolisierung des Getreidehandels

ein einziges Mal gegen diese notorischen Gesetzesverletzer eingeschritten ist. An
Material wird es sicherlich nicht gefehlt haben; denn man scheute sich an der
Produktenbörse nicht, die Namen derer offen auszusprechen, die die Gesetze
ständig übertraten. Ja es herrschte sogar ein förmlicher Wettbewerb in der Art,
wie man die gesetzlichen Bestimmungen umging. Im Juniheft der Zeitschrift
„Das neue Deutschland" habe ich einige der wesentlichsten Arten der Gesetzes¬
übertretungen aufgezählt, die dadurch erfolgten, daß man besondere Qualitäts¬
vergütungen erstattete, Säcke doppelt bezahlte und dergleichen. Die Tatsache,
daß solche Geschäfte täglich in breitester Öffentlichkeit der Börse abgeschlossen
und bekannt wurden, ohne daß die Disziplinarbehörden der Börse dagegen
einschritten, läßt gewisse Schlußfolgerungen zu, die hier nur angedeutet werden
können.

Man hat in der letzten Zeit darauf hingewiesen, daß gerade im Metall¬
handel so erheblich viele Überschreitungen erfolgt sind, die eine strasrichterliche
Ahndung gefunden haben. Da nun verhältnismäßig wenige Getreidehändler
den Strafrichter während des Krieges beschäftigt haben, so wollte man daraus
den Schluß ziehen, daß im Metallhandel besonders viele Sünder an der Arbeit
waren, im Gegensatz zum Getreidehandel. Diese Schlußfolgerung ist aber völlig
falsch. Die Tatsache, daß im Metallhandel die Zahl der Bestrafungen der
Gesetzesübertretungen größer ist als im Getreidehandel, hängt nicht damit zu¬
sammen, daß der Getreidehandel weniger Verstöße gegen das Gesetz begangen
hat, als der Metallhandel. Der Grund hierfür ist vielmehr darin zu suchen,
daß bei den Metallhändlern nachträglich Revisionen der Bücher erfolgten, bei
denen festgestellt wurde, wo Überschreitungen der Befugnisse eingetreten sind,
die alsdann zur Anzeige gelangten. Beim Getreidehandel sind solche Revisionen
nicht vorgenommen worden und daher erklärt sich auch die verhältnismäßig
geringe Zahl des strafrichterlichen Einschreitens.

Die ständige Ueberschreitung der Höchstpreise zwang die Regierung zum
zweiten Male einzuschreiten. Es blieb kein anderer Ausweg, als die Ver¬
staatlichung des ganzen Getreidehandels und die Ausschaltung der privaten
Initiative. Für diesen Weg sprachen u. a. auch die Gründe der Sparsamkeit
im Verbrauch. Der Handel bot keine Möglichkeit, rationell innerhalb der
Kriegswirtschaft zu arbeiten oder gar die Vorräte gleichmäßig zu verteilen.
Das Höchstpreis-System hatte beim freien Handel Schiffbruch gelitten und die
Gefahren, die daraus folgten, mußten eine Lehre bieten. Eine Verteilung
der Vorräte in gleichen Mengen unter die Verbraucher war aber um so not¬
wendiger, als sonst die Gefahr nahegerückt wurde, daß die Getreidebestände zur
Deckung des laufenden Bedarfes nicht ausreichen würden. Nach langen Be¬
ratungen entschloß sich die Negierung im Januar 1915 zu einer Monopolisierung
des gesamten Getreidehandels. Sie schuf eine Organisation, wie sie die Welt¬
geschichte nicht kennt: denn die „Kriegsgetreide-Gesellschaft" erhielt die Ausgabe,
ein Volk von 68 Millionen Menschen mit Getreide und Mehl zu versorgen und


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[0092] Die Monopolisierung des Getreidehandels ein einziges Mal gegen diese notorischen Gesetzesverletzer eingeschritten ist. An Material wird es sicherlich nicht gefehlt haben; denn man scheute sich an der Produktenbörse nicht, die Namen derer offen auszusprechen, die die Gesetze ständig übertraten. Ja es herrschte sogar ein förmlicher Wettbewerb in der Art, wie man die gesetzlichen Bestimmungen umging. Im Juniheft der Zeitschrift „Das neue Deutschland" habe ich einige der wesentlichsten Arten der Gesetzes¬ übertretungen aufgezählt, die dadurch erfolgten, daß man besondere Qualitäts¬ vergütungen erstattete, Säcke doppelt bezahlte und dergleichen. Die Tatsache, daß solche Geschäfte täglich in breitester Öffentlichkeit der Börse abgeschlossen und bekannt wurden, ohne daß die Disziplinarbehörden der Börse dagegen einschritten, läßt gewisse Schlußfolgerungen zu, die hier nur angedeutet werden können. Man hat in der letzten Zeit darauf hingewiesen, daß gerade im Metall¬ handel so erheblich viele Überschreitungen erfolgt sind, die eine strasrichterliche Ahndung gefunden haben. Da nun verhältnismäßig wenige Getreidehändler den Strafrichter während des Krieges beschäftigt haben, so wollte man daraus den Schluß ziehen, daß im Metallhandel besonders viele Sünder an der Arbeit waren, im Gegensatz zum Getreidehandel. Diese Schlußfolgerung ist aber völlig falsch. Die Tatsache, daß im Metallhandel die Zahl der Bestrafungen der Gesetzesübertretungen größer ist als im Getreidehandel, hängt nicht damit zu¬ sammen, daß der Getreidehandel weniger Verstöße gegen das Gesetz begangen hat, als der Metallhandel. Der Grund hierfür ist vielmehr darin zu suchen, daß bei den Metallhändlern nachträglich Revisionen der Bücher erfolgten, bei denen festgestellt wurde, wo Überschreitungen der Befugnisse eingetreten sind, die alsdann zur Anzeige gelangten. Beim Getreidehandel sind solche Revisionen nicht vorgenommen worden und daher erklärt sich auch die verhältnismäßig geringe Zahl des strafrichterlichen Einschreitens. Die ständige Ueberschreitung der Höchstpreise zwang die Regierung zum zweiten Male einzuschreiten. Es blieb kein anderer Ausweg, als die Ver¬ staatlichung des ganzen Getreidehandels und die Ausschaltung der privaten Initiative. Für diesen Weg sprachen u. a. auch die Gründe der Sparsamkeit im Verbrauch. Der Handel bot keine Möglichkeit, rationell innerhalb der Kriegswirtschaft zu arbeiten oder gar die Vorräte gleichmäßig zu verteilen. Das Höchstpreis-System hatte beim freien Handel Schiffbruch gelitten und die Gefahren, die daraus folgten, mußten eine Lehre bieten. Eine Verteilung der Vorräte in gleichen Mengen unter die Verbraucher war aber um so not¬ wendiger, als sonst die Gefahr nahegerückt wurde, daß die Getreidebestände zur Deckung des laufenden Bedarfes nicht ausreichen würden. Nach langen Be¬ ratungen entschloß sich die Negierung im Januar 1915 zu einer Monopolisierung des gesamten Getreidehandels. Sie schuf eine Organisation, wie sie die Welt¬ geschichte nicht kennt: denn die „Kriegsgetreide-Gesellschaft" erhielt die Ausgabe, ein Volk von 68 Millionen Menschen mit Getreide und Mehl zu versorgen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/92>, abgerufen am 23.07.2024.