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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Stadt und Land

Kunstdünger, Beschlagnahme des gesamten Brotgetreides und Verbrauchseinteilung.
Die Führung der Landwirtschaft hatte also sofort den Kern der Sache erfaßt.
Ein ganzer Stand, der die verschiedensten Bildungsstufen in sich vereinigt, bot
einmütig aus freiem Antrieb das Opfer dar, eine durch nie erlebte Umstände
ins Ungemessene gesteigerte Gewmnmöglichkeit auf das zum erzeugungskräftigen
Fortbestehen unbedingt notwendige Maß zu beschränken und auf Eigentums¬
und Verfügungsrecht zu verzichten. Gewiß: des Vaterlandes Not stand vor
uns, -- so war es selbstverständlich. Aber man nenne mir in der Geschichte
aller Länder und Völker eine ähnliche Großtat! Der Kommunismus der ersten
Christengemeinde muß, wenn man Wirtschafts- und sonstige Umstände vergleicht,
dagegen wie ein Kinderspiel erscheinen. Und -- wieviele Volksgenossen kennen
diese Tatsache? Gegenüber der verlogensten Hetze hat kein Mund für uns
gezeugt. Kein "Hände weg!" aus Regierungskreisen.

Was tat die Regierung gegenüber diesem Angebot? -- Nichts! einfach --
nichts! Sie erwägte sicherlich die etwa nötigen Schritte. Endlich -- im Spät¬
oktober -- kamen Höchstpreise auf -- ach nur auf Brodgetreide. Von Mehl
und Brot wurde nicht geredet; sie stiegen weiter, und der Städter schalt auf
den Bauern, der damit gar nichts zu tun hatte. Der Preis aller landwirt¬
schaftlichen Bedürfnisse stieg auch lustig weiter, so daß die meist wirtschaftenden
Altväter, Frauen und Buben völlig den Überblick und den Wirtschaftsmut ver¬
loren. Das war der zweite -- nicht nötige -- Schlag gegen die Erzeugung.

Der Februar 1915 brachte endlich -- in elfter Stunde -- die Beschlag¬
nahme des Getreides. Und selbst in diesem kritischen Zeitpunkte noch mußte
diese Maßnahme aus einem Umweg von den Führern des Bundes der Land¬
wirte -- man kann fast sagen -- erpreßt werden. Dieser Februar brachte aber
auch den berüchtigten Schweinemord. Ich halte es heute noch für wahr, daß
damals etwas zu viele Schweine vorhanden waren. Aber die planlose Art
des Vorgehens wirkte vernichtend. An praktischen Vorschlägen von der Fachseite
hat es auch damals nicht gefehlt. Durch die Hilflosigkeit der verantwortlichen
Stellen war jedoch in gut vaterländischen aber unfachmännischen Kreisen geradezu
eine Tollheit ausgebrochen. Konnte man doch neben den schönen Stichworten
wie "das Schwein unser neunter Feind" einen hochangesehenen Professor in
öffentlichem Vortrag in Berlin sagen hören, man solle die Schweine totschlagen
selbst auf die Gefahr hin, sie aus Mangel an augenblicklicher Verwendbarkeit
vergraben zu müssen. Als man nach dieser Radikalkur zur Vernunft und zur
Übersicht des volkswirtschaftlichen Schadens kam, da lud eine geschickte Presse
die unliebsame Angelegenheit auf einen anderen Karren: "Ja, wenn die Land¬
wirte namentlich die Kartoffeln bauenden Großagrarier des Ostens -- ihre
Kartoffelvorräte richtig angegeben hätten, dann -- usw. Aber die Landwirt¬
schaft hat die Kartoffeln unterschlagen, um eine Preiserhöhung durchzusetzen."

Wie lag die Sache in Wirklichkeit? Die Landwirte hatten bei der amt¬
lichen Taxaufnahme im Winter pflichtgemäß den gewohnten Winterverluft --


Stadt und Land

Kunstdünger, Beschlagnahme des gesamten Brotgetreides und Verbrauchseinteilung.
Die Führung der Landwirtschaft hatte also sofort den Kern der Sache erfaßt.
Ein ganzer Stand, der die verschiedensten Bildungsstufen in sich vereinigt, bot
einmütig aus freiem Antrieb das Opfer dar, eine durch nie erlebte Umstände
ins Ungemessene gesteigerte Gewmnmöglichkeit auf das zum erzeugungskräftigen
Fortbestehen unbedingt notwendige Maß zu beschränken und auf Eigentums¬
und Verfügungsrecht zu verzichten. Gewiß: des Vaterlandes Not stand vor
uns, — so war es selbstverständlich. Aber man nenne mir in der Geschichte
aller Länder und Völker eine ähnliche Großtat! Der Kommunismus der ersten
Christengemeinde muß, wenn man Wirtschafts- und sonstige Umstände vergleicht,
dagegen wie ein Kinderspiel erscheinen. Und — wieviele Volksgenossen kennen
diese Tatsache? Gegenüber der verlogensten Hetze hat kein Mund für uns
gezeugt. Kein „Hände weg!" aus Regierungskreisen.

Was tat die Regierung gegenüber diesem Angebot? — Nichts! einfach —
nichts! Sie erwägte sicherlich die etwa nötigen Schritte. Endlich — im Spät¬
oktober — kamen Höchstpreise auf — ach nur auf Brodgetreide. Von Mehl
und Brot wurde nicht geredet; sie stiegen weiter, und der Städter schalt auf
den Bauern, der damit gar nichts zu tun hatte. Der Preis aller landwirt¬
schaftlichen Bedürfnisse stieg auch lustig weiter, so daß die meist wirtschaftenden
Altväter, Frauen und Buben völlig den Überblick und den Wirtschaftsmut ver¬
loren. Das war der zweite — nicht nötige — Schlag gegen die Erzeugung.

Der Februar 1915 brachte endlich — in elfter Stunde — die Beschlag¬
nahme des Getreides. Und selbst in diesem kritischen Zeitpunkte noch mußte
diese Maßnahme aus einem Umweg von den Führern des Bundes der Land¬
wirte — man kann fast sagen — erpreßt werden. Dieser Februar brachte aber
auch den berüchtigten Schweinemord. Ich halte es heute noch für wahr, daß
damals etwas zu viele Schweine vorhanden waren. Aber die planlose Art
des Vorgehens wirkte vernichtend. An praktischen Vorschlägen von der Fachseite
hat es auch damals nicht gefehlt. Durch die Hilflosigkeit der verantwortlichen
Stellen war jedoch in gut vaterländischen aber unfachmännischen Kreisen geradezu
eine Tollheit ausgebrochen. Konnte man doch neben den schönen Stichworten
wie „das Schwein unser neunter Feind" einen hochangesehenen Professor in
öffentlichem Vortrag in Berlin sagen hören, man solle die Schweine totschlagen
selbst auf die Gefahr hin, sie aus Mangel an augenblicklicher Verwendbarkeit
vergraben zu müssen. Als man nach dieser Radikalkur zur Vernunft und zur
Übersicht des volkswirtschaftlichen Schadens kam, da lud eine geschickte Presse
die unliebsame Angelegenheit auf einen anderen Karren: „Ja, wenn die Land¬
wirte namentlich die Kartoffeln bauenden Großagrarier des Ostens — ihre
Kartoffelvorräte richtig angegeben hätten, dann — usw. Aber die Landwirt¬
schaft hat die Kartoffeln unterschlagen, um eine Preiserhöhung durchzusetzen."

Wie lag die Sache in Wirklichkeit? Die Landwirte hatten bei der amt¬
lichen Taxaufnahme im Winter pflichtgemäß den gewohnten Winterverluft —


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[0087] Stadt und Land Kunstdünger, Beschlagnahme des gesamten Brotgetreides und Verbrauchseinteilung. Die Führung der Landwirtschaft hatte also sofort den Kern der Sache erfaßt. Ein ganzer Stand, der die verschiedensten Bildungsstufen in sich vereinigt, bot einmütig aus freiem Antrieb das Opfer dar, eine durch nie erlebte Umstände ins Ungemessene gesteigerte Gewmnmöglichkeit auf das zum erzeugungskräftigen Fortbestehen unbedingt notwendige Maß zu beschränken und auf Eigentums¬ und Verfügungsrecht zu verzichten. Gewiß: des Vaterlandes Not stand vor uns, — so war es selbstverständlich. Aber man nenne mir in der Geschichte aller Länder und Völker eine ähnliche Großtat! Der Kommunismus der ersten Christengemeinde muß, wenn man Wirtschafts- und sonstige Umstände vergleicht, dagegen wie ein Kinderspiel erscheinen. Und — wieviele Volksgenossen kennen diese Tatsache? Gegenüber der verlogensten Hetze hat kein Mund für uns gezeugt. Kein „Hände weg!" aus Regierungskreisen. Was tat die Regierung gegenüber diesem Angebot? — Nichts! einfach — nichts! Sie erwägte sicherlich die etwa nötigen Schritte. Endlich — im Spät¬ oktober — kamen Höchstpreise auf — ach nur auf Brodgetreide. Von Mehl und Brot wurde nicht geredet; sie stiegen weiter, und der Städter schalt auf den Bauern, der damit gar nichts zu tun hatte. Der Preis aller landwirt¬ schaftlichen Bedürfnisse stieg auch lustig weiter, so daß die meist wirtschaftenden Altväter, Frauen und Buben völlig den Überblick und den Wirtschaftsmut ver¬ loren. Das war der zweite — nicht nötige — Schlag gegen die Erzeugung. Der Februar 1915 brachte endlich — in elfter Stunde — die Beschlag¬ nahme des Getreides. Und selbst in diesem kritischen Zeitpunkte noch mußte diese Maßnahme aus einem Umweg von den Führern des Bundes der Land¬ wirte — man kann fast sagen — erpreßt werden. Dieser Februar brachte aber auch den berüchtigten Schweinemord. Ich halte es heute noch für wahr, daß damals etwas zu viele Schweine vorhanden waren. Aber die planlose Art des Vorgehens wirkte vernichtend. An praktischen Vorschlägen von der Fachseite hat es auch damals nicht gefehlt. Durch die Hilflosigkeit der verantwortlichen Stellen war jedoch in gut vaterländischen aber unfachmännischen Kreisen geradezu eine Tollheit ausgebrochen. Konnte man doch neben den schönen Stichworten wie „das Schwein unser neunter Feind" einen hochangesehenen Professor in öffentlichem Vortrag in Berlin sagen hören, man solle die Schweine totschlagen selbst auf die Gefahr hin, sie aus Mangel an augenblicklicher Verwendbarkeit vergraben zu müssen. Als man nach dieser Radikalkur zur Vernunft und zur Übersicht des volkswirtschaftlichen Schadens kam, da lud eine geschickte Presse die unliebsame Angelegenheit auf einen anderen Karren: „Ja, wenn die Land¬ wirte namentlich die Kartoffeln bauenden Großagrarier des Ostens — ihre Kartoffelvorräte richtig angegeben hätten, dann — usw. Aber die Landwirt¬ schaft hat die Kartoffeln unterschlagen, um eine Preiserhöhung durchzusetzen." Wie lag die Sache in Wirklichkeit? Die Landwirte hatten bei der amt¬ lichen Taxaufnahme im Winter pflichtgemäß den gewohnten Winterverluft —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/87>, abgerufen am 23.07.2024.