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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Stadt und Land

durch Frost, Krankheiten, Eintrocknung -- in Ansatz gebracht mit erfahrungs¬
gemäß ungefähr 12 Prozent. Als die Mieter im Frühjahr geöffnet wurden,
stellte sich zur freudigen Überraschung ein Verlust von noch nicht 2 Prozent
heraus. (!^. v. Gleiches habe ich in zwanzigjähriger Praxis nicht erlebt.)
Statt Gott zu danken für diese Gnade, benutzte man sie zur Verleumdung
unseres Standes. Und -- die Negierung schwieg. Das war der dritte Schlag
gegen unsere Erzeugungskraft.

Die Folgezeit will ich ganz kurz zusammenfassen; der Entwicklungsboden
des Unheils ist ja genügend gekennzeichnet. Es kam die an sich unumgängliche
Gründung der Kriegswirtschaftsgesellschaften, aber -- mit einem Mehltau
erzeugungslähmender Verordnungen. Kaum ein Wirtschafter kann heute noch
überschauen, ob er nicht längst reif für den Staatsanwalt ist. Denn, daß die
Leiter dieser Gesellschaften fast nur aus den Kreisen der Waren umsetzenden
Berufe gewählt wurden unter fast völligem Ausschluß des Berufes, der die zu
bewirtschaftenden Werte schafft, das hatte unglaubliche Verständnislofigkeiten zur
Folge und mußte auf der Bahn der Erzeugungsbehinderung rettungslos weiter-
treiben. Man denke sich nur einmal das genaue Gegenstück. Was wäre ge¬
schehen, wenn man, wie uns, dem Heer, der Industrie, der Geldwirtschaft ihre
altvertraute und jahrzehntelang erprobte Führung genommen und sie Neulingen
anvertraut hätte zu bedingungslosen Gehorsam? Man mühte sich ehrlich um
eine gewissenhafte Verteilung, die Förderung der Erzeugung blieb in mehr oder
minder verständnisvollen Worten stecken. Und man mag alle möglichen fördernden
Maßnahmen ausklügeln, sie sind alle nur Tropfen auf glühendem Stein, fo
lange nicht die Grundlage alles landwirtschaftlichen Fortschrittes wieder her¬
gestellt wird: Dungkraft, Arbeitskraft und Verstandeskraft, die die beiden ersten
richtig anzuwenden weiß. . Daran hängt alles. So lange man sich nicht ent¬
schließt, die Kosten der Kunstdüngerherstellung als Kriegskosten zu verrechnen,
so lange es vorkommen kann, daß, wie in diesem Herbst, eine Verordnung
herauskommt, der Landwirtschaft 25 Prozent der knapp zugewiesenen Kriegs¬
gefangenen zu entziehen, während noch tausende Hektar von Hackfrucht im Felde
standen, so lange die Freigabe der Wirtschaftsleiter bei Kv.-Eigenschaft fast
unmöglich ist, so lange ist eine Sicherung der Volksernährung auf die Dauer
aussichtslos. Man gewinne doch endlich Klarheit darüber, daß es hohe Zeit
ist. Selbst wenn man heute mit einem Ruck alles ins richtige Gleis heben
könnte, so würde eine für die Allgemeinheit fühlbare Besserung wahrscheinlich
erst mit der Ernte 1913 eintreten. Um Tatsachen kann man sich nicht herum¬
drücken. Hunger tut im Frieden genau so weh wie im Kriege und, wenn
morgen die Friedensglocken läuteten, so wäre dadurch auf dem äußerst knappen
Weltmarkt kein Kilo Getreide für uns zu haben, gar nicht zu reden davon, daß
unser derzeitiger Getreidepreis etwa ein Drittel unter Weltmarktpreis steht.
Man überlege mal die natürliche Folge. Die allgemeine Lage ist heute so,
daß auch der heiligste gute Wille der Landwirtschaft in der Gesamtheit vom


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durch Frost, Krankheiten, Eintrocknung — in Ansatz gebracht mit erfahrungs¬
gemäß ungefähr 12 Prozent. Als die Mieter im Frühjahr geöffnet wurden,
stellte sich zur freudigen Überraschung ein Verlust von noch nicht 2 Prozent
heraus. (!^. v. Gleiches habe ich in zwanzigjähriger Praxis nicht erlebt.)
Statt Gott zu danken für diese Gnade, benutzte man sie zur Verleumdung
unseres Standes. Und — die Negierung schwieg. Das war der dritte Schlag
gegen unsere Erzeugungskraft.

Die Folgezeit will ich ganz kurz zusammenfassen; der Entwicklungsboden
des Unheils ist ja genügend gekennzeichnet. Es kam die an sich unumgängliche
Gründung der Kriegswirtschaftsgesellschaften, aber — mit einem Mehltau
erzeugungslähmender Verordnungen. Kaum ein Wirtschafter kann heute noch
überschauen, ob er nicht längst reif für den Staatsanwalt ist. Denn, daß die
Leiter dieser Gesellschaften fast nur aus den Kreisen der Waren umsetzenden
Berufe gewählt wurden unter fast völligem Ausschluß des Berufes, der die zu
bewirtschaftenden Werte schafft, das hatte unglaubliche Verständnislofigkeiten zur
Folge und mußte auf der Bahn der Erzeugungsbehinderung rettungslos weiter-
treiben. Man denke sich nur einmal das genaue Gegenstück. Was wäre ge¬
schehen, wenn man, wie uns, dem Heer, der Industrie, der Geldwirtschaft ihre
altvertraute und jahrzehntelang erprobte Führung genommen und sie Neulingen
anvertraut hätte zu bedingungslosen Gehorsam? Man mühte sich ehrlich um
eine gewissenhafte Verteilung, die Förderung der Erzeugung blieb in mehr oder
minder verständnisvollen Worten stecken. Und man mag alle möglichen fördernden
Maßnahmen ausklügeln, sie sind alle nur Tropfen auf glühendem Stein, fo
lange nicht die Grundlage alles landwirtschaftlichen Fortschrittes wieder her¬
gestellt wird: Dungkraft, Arbeitskraft und Verstandeskraft, die die beiden ersten
richtig anzuwenden weiß. . Daran hängt alles. So lange man sich nicht ent¬
schließt, die Kosten der Kunstdüngerherstellung als Kriegskosten zu verrechnen,
so lange es vorkommen kann, daß, wie in diesem Herbst, eine Verordnung
herauskommt, der Landwirtschaft 25 Prozent der knapp zugewiesenen Kriegs¬
gefangenen zu entziehen, während noch tausende Hektar von Hackfrucht im Felde
standen, so lange die Freigabe der Wirtschaftsleiter bei Kv.-Eigenschaft fast
unmöglich ist, so lange ist eine Sicherung der Volksernährung auf die Dauer
aussichtslos. Man gewinne doch endlich Klarheit darüber, daß es hohe Zeit
ist. Selbst wenn man heute mit einem Ruck alles ins richtige Gleis heben
könnte, so würde eine für die Allgemeinheit fühlbare Besserung wahrscheinlich
erst mit der Ernte 1913 eintreten. Um Tatsachen kann man sich nicht herum¬
drücken. Hunger tut im Frieden genau so weh wie im Kriege und, wenn
morgen die Friedensglocken läuteten, so wäre dadurch auf dem äußerst knappen
Weltmarkt kein Kilo Getreide für uns zu haben, gar nicht zu reden davon, daß
unser derzeitiger Getreidepreis etwa ein Drittel unter Weltmarktpreis steht.
Man überlege mal die natürliche Folge. Die allgemeine Lage ist heute so,
daß auch der heiligste gute Wille der Landwirtschaft in der Gesamtheit vom


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[0088] Stadt und Land durch Frost, Krankheiten, Eintrocknung — in Ansatz gebracht mit erfahrungs¬ gemäß ungefähr 12 Prozent. Als die Mieter im Frühjahr geöffnet wurden, stellte sich zur freudigen Überraschung ein Verlust von noch nicht 2 Prozent heraus. (!^. v. Gleiches habe ich in zwanzigjähriger Praxis nicht erlebt.) Statt Gott zu danken für diese Gnade, benutzte man sie zur Verleumdung unseres Standes. Und — die Negierung schwieg. Das war der dritte Schlag gegen unsere Erzeugungskraft. Die Folgezeit will ich ganz kurz zusammenfassen; der Entwicklungsboden des Unheils ist ja genügend gekennzeichnet. Es kam die an sich unumgängliche Gründung der Kriegswirtschaftsgesellschaften, aber — mit einem Mehltau erzeugungslähmender Verordnungen. Kaum ein Wirtschafter kann heute noch überschauen, ob er nicht längst reif für den Staatsanwalt ist. Denn, daß die Leiter dieser Gesellschaften fast nur aus den Kreisen der Waren umsetzenden Berufe gewählt wurden unter fast völligem Ausschluß des Berufes, der die zu bewirtschaftenden Werte schafft, das hatte unglaubliche Verständnislofigkeiten zur Folge und mußte auf der Bahn der Erzeugungsbehinderung rettungslos weiter- treiben. Man denke sich nur einmal das genaue Gegenstück. Was wäre ge¬ schehen, wenn man, wie uns, dem Heer, der Industrie, der Geldwirtschaft ihre altvertraute und jahrzehntelang erprobte Führung genommen und sie Neulingen anvertraut hätte zu bedingungslosen Gehorsam? Man mühte sich ehrlich um eine gewissenhafte Verteilung, die Förderung der Erzeugung blieb in mehr oder minder verständnisvollen Worten stecken. Und man mag alle möglichen fördernden Maßnahmen ausklügeln, sie sind alle nur Tropfen auf glühendem Stein, fo lange nicht die Grundlage alles landwirtschaftlichen Fortschrittes wieder her¬ gestellt wird: Dungkraft, Arbeitskraft und Verstandeskraft, die die beiden ersten richtig anzuwenden weiß. . Daran hängt alles. So lange man sich nicht ent¬ schließt, die Kosten der Kunstdüngerherstellung als Kriegskosten zu verrechnen, so lange es vorkommen kann, daß, wie in diesem Herbst, eine Verordnung herauskommt, der Landwirtschaft 25 Prozent der knapp zugewiesenen Kriegs¬ gefangenen zu entziehen, während noch tausende Hektar von Hackfrucht im Felde standen, so lange die Freigabe der Wirtschaftsleiter bei Kv.-Eigenschaft fast unmöglich ist, so lange ist eine Sicherung der Volksernährung auf die Dauer aussichtslos. Man gewinne doch endlich Klarheit darüber, daß es hohe Zeit ist. Selbst wenn man heute mit einem Ruck alles ins richtige Gleis heben könnte, so würde eine für die Allgemeinheit fühlbare Besserung wahrscheinlich erst mit der Ernte 1913 eintreten. Um Tatsachen kann man sich nicht herum¬ drücken. Hunger tut im Frieden genau so weh wie im Kriege und, wenn morgen die Friedensglocken läuteten, so wäre dadurch auf dem äußerst knappen Weltmarkt kein Kilo Getreide für uns zu haben, gar nicht zu reden davon, daß unser derzeitiger Getreidepreis etwa ein Drittel unter Weltmarktpreis steht. Man überlege mal die natürliche Folge. Die allgemeine Lage ist heute so, daß auch der heiligste gute Wille der Landwirtschaft in der Gesamtheit vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/88>, abgerufen am 23.07.2024.