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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Stadt und Land

Ich muß zurückgreifen auf Kriegsbeginn. Der 1. August 1914 nahm der
deutschen Landwirtschaft die halbe Manneskraft, die halbe Gespannkraft und
-- was noch mehr ins Gewicht fällt -- die Hälfte der denkenden Köpfe. Das
war der erste aber unvermeidliche Schlag gegen die Erzeugung. Trotz dieser
Behinderung, die mit längerer Kriegsdauer sich noch gewaltig vergrößern
mußte, sollte die Landwirtschaft die Kriegsversorgung des Reiches unter Wegfall
der bisherigen Auslandszufuhr leisten. Ich muß hier daran erinnern, daß unsere
ganze Ernährungswirtschaft gegen den Willen der Landwirtschaft auf diese Zu¬
fuhr zugeschnitten war. Hatte doch sogar ein Mann von der Bedeutung
Helfferichs in den Zolldebatten die heute fast grotesk-komische Ansicht gegen die
Landwirtschaft vertreten, unsere Grenzlinien und das Wirken unserer Diplomatie
seien uns untrügliche Gewähr gegen eine Absperrung vom Weltmarkte. Es war
also klar, daß die Ernährungs wirtschaft sich nicht in den bisherigen unbeschränkten
Bahnen weiter bewegen konnte ohne schwere Gefahr für die Gesamtheit.

Was tat die städtische Bevölkerung? Es setzte ein ganz unerhört wahn¬
sinniger Verschwendungstaumel -- zum Teil aus gutem aber unverständigen
Herzen -- ein, und bis zum 1. Februar 1915 hatten wir statt der normalen
Halbjahrsration eine reichliche Dreivierteljahrsration verzehrt. Das Ergebnis
der Bestandsaufnahme am 1. Februar 1915 löste eine unerhörte, aber von der
Regierung geduldete Preßhetze gegen die Landwirtschaft aus. Der gesamte
Fehlbetrag sollte zum Teil verfüttert, zum andern Teil versteckt worden sein.

Was tat das Landvolk? Als die erste Erschütterung überstanden war, da
stand die Sorge vor uns: Wer birgt die Ernte? Die Erntehilfe der Städter
sei hier dankbar anerkannt, es muß aber festgestellt werden, daß bei der geringsten
Witterungsungunst diese ungeübten Kräfte hätten versagen müssen und eine
Katastrophe unvermeidlich gewesen wäre. Das ist für eine spätere Zeit wichtig,
auch für die praktische Ausgestaltung des neuen Hilfsdienstpflichtgesetzes. Der
Ernteertrag blieb um ein Viertel gegen das Vorjahr zurück, in allen Zeitungen
war aber von einer überreichen Ernte zu lesen, und dem entsprach ja der
Verschwendungstaumel in den Städten. Da waren es wahrhaftig nicht die
Schlechtesten, sondern die Besten im Lande, die "zurückhielten". Die Regierung
tat keinen Einhalt. Da kam ein dumpfes Mißtrauen und ein böser Groll über
uns; denn diese -- nach unserem Bauernverstand -- tolle Gesellschaft, weil sie
die einfachste Pflicht nicht begriff, überbot sich in gehässigsten Beschuldigungen,
während uns die Sorge zerfraß. Diese entsetzliche gegenseitige Stimmung
wurde erzeugt und blieb, weil die Negierung kein entschiedenes Wort der
Mahnung und Aufklärung fand.

Was taten die Berufsvertretungen der Landwirtschaft?

Bereits am 14. August traten sie vor die Regierung mit einem wohl¬
überlegten Wirtschaftsplan, der, wenn nicht mehr, so doch wenigstens die nötige
Grundlage bot. Als Hauptforderung war aufgestellt: Festsetzung von Höchst¬
preisen für Getreide, Mehl und Brot, aber auch für alle Futtermehle und für


Stadt und Land

Ich muß zurückgreifen auf Kriegsbeginn. Der 1. August 1914 nahm der
deutschen Landwirtschaft die halbe Manneskraft, die halbe Gespannkraft und
— was noch mehr ins Gewicht fällt — die Hälfte der denkenden Köpfe. Das
war der erste aber unvermeidliche Schlag gegen die Erzeugung. Trotz dieser
Behinderung, die mit längerer Kriegsdauer sich noch gewaltig vergrößern
mußte, sollte die Landwirtschaft die Kriegsversorgung des Reiches unter Wegfall
der bisherigen Auslandszufuhr leisten. Ich muß hier daran erinnern, daß unsere
ganze Ernährungswirtschaft gegen den Willen der Landwirtschaft auf diese Zu¬
fuhr zugeschnitten war. Hatte doch sogar ein Mann von der Bedeutung
Helfferichs in den Zolldebatten die heute fast grotesk-komische Ansicht gegen die
Landwirtschaft vertreten, unsere Grenzlinien und das Wirken unserer Diplomatie
seien uns untrügliche Gewähr gegen eine Absperrung vom Weltmarkte. Es war
also klar, daß die Ernährungs wirtschaft sich nicht in den bisherigen unbeschränkten
Bahnen weiter bewegen konnte ohne schwere Gefahr für die Gesamtheit.

Was tat die städtische Bevölkerung? Es setzte ein ganz unerhört wahn¬
sinniger Verschwendungstaumel — zum Teil aus gutem aber unverständigen
Herzen — ein, und bis zum 1. Februar 1915 hatten wir statt der normalen
Halbjahrsration eine reichliche Dreivierteljahrsration verzehrt. Das Ergebnis
der Bestandsaufnahme am 1. Februar 1915 löste eine unerhörte, aber von der
Regierung geduldete Preßhetze gegen die Landwirtschaft aus. Der gesamte
Fehlbetrag sollte zum Teil verfüttert, zum andern Teil versteckt worden sein.

Was tat das Landvolk? Als die erste Erschütterung überstanden war, da
stand die Sorge vor uns: Wer birgt die Ernte? Die Erntehilfe der Städter
sei hier dankbar anerkannt, es muß aber festgestellt werden, daß bei der geringsten
Witterungsungunst diese ungeübten Kräfte hätten versagen müssen und eine
Katastrophe unvermeidlich gewesen wäre. Das ist für eine spätere Zeit wichtig,
auch für die praktische Ausgestaltung des neuen Hilfsdienstpflichtgesetzes. Der
Ernteertrag blieb um ein Viertel gegen das Vorjahr zurück, in allen Zeitungen
war aber von einer überreichen Ernte zu lesen, und dem entsprach ja der
Verschwendungstaumel in den Städten. Da waren es wahrhaftig nicht die
Schlechtesten, sondern die Besten im Lande, die „zurückhielten". Die Regierung
tat keinen Einhalt. Da kam ein dumpfes Mißtrauen und ein böser Groll über
uns; denn diese — nach unserem Bauernverstand — tolle Gesellschaft, weil sie
die einfachste Pflicht nicht begriff, überbot sich in gehässigsten Beschuldigungen,
während uns die Sorge zerfraß. Diese entsetzliche gegenseitige Stimmung
wurde erzeugt und blieb, weil die Negierung kein entschiedenes Wort der
Mahnung und Aufklärung fand.

Was taten die Berufsvertretungen der Landwirtschaft?

Bereits am 14. August traten sie vor die Regierung mit einem wohl¬
überlegten Wirtschaftsplan, der, wenn nicht mehr, so doch wenigstens die nötige
Grundlage bot. Als Hauptforderung war aufgestellt: Festsetzung von Höchst¬
preisen für Getreide, Mehl und Brot, aber auch für alle Futtermehle und für


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[0086] Stadt und Land Ich muß zurückgreifen auf Kriegsbeginn. Der 1. August 1914 nahm der deutschen Landwirtschaft die halbe Manneskraft, die halbe Gespannkraft und — was noch mehr ins Gewicht fällt — die Hälfte der denkenden Köpfe. Das war der erste aber unvermeidliche Schlag gegen die Erzeugung. Trotz dieser Behinderung, die mit längerer Kriegsdauer sich noch gewaltig vergrößern mußte, sollte die Landwirtschaft die Kriegsversorgung des Reiches unter Wegfall der bisherigen Auslandszufuhr leisten. Ich muß hier daran erinnern, daß unsere ganze Ernährungswirtschaft gegen den Willen der Landwirtschaft auf diese Zu¬ fuhr zugeschnitten war. Hatte doch sogar ein Mann von der Bedeutung Helfferichs in den Zolldebatten die heute fast grotesk-komische Ansicht gegen die Landwirtschaft vertreten, unsere Grenzlinien und das Wirken unserer Diplomatie seien uns untrügliche Gewähr gegen eine Absperrung vom Weltmarkte. Es war also klar, daß die Ernährungs wirtschaft sich nicht in den bisherigen unbeschränkten Bahnen weiter bewegen konnte ohne schwere Gefahr für die Gesamtheit. Was tat die städtische Bevölkerung? Es setzte ein ganz unerhört wahn¬ sinniger Verschwendungstaumel — zum Teil aus gutem aber unverständigen Herzen — ein, und bis zum 1. Februar 1915 hatten wir statt der normalen Halbjahrsration eine reichliche Dreivierteljahrsration verzehrt. Das Ergebnis der Bestandsaufnahme am 1. Februar 1915 löste eine unerhörte, aber von der Regierung geduldete Preßhetze gegen die Landwirtschaft aus. Der gesamte Fehlbetrag sollte zum Teil verfüttert, zum andern Teil versteckt worden sein. Was tat das Landvolk? Als die erste Erschütterung überstanden war, da stand die Sorge vor uns: Wer birgt die Ernte? Die Erntehilfe der Städter sei hier dankbar anerkannt, es muß aber festgestellt werden, daß bei der geringsten Witterungsungunst diese ungeübten Kräfte hätten versagen müssen und eine Katastrophe unvermeidlich gewesen wäre. Das ist für eine spätere Zeit wichtig, auch für die praktische Ausgestaltung des neuen Hilfsdienstpflichtgesetzes. Der Ernteertrag blieb um ein Viertel gegen das Vorjahr zurück, in allen Zeitungen war aber von einer überreichen Ernte zu lesen, und dem entsprach ja der Verschwendungstaumel in den Städten. Da waren es wahrhaftig nicht die Schlechtesten, sondern die Besten im Lande, die „zurückhielten". Die Regierung tat keinen Einhalt. Da kam ein dumpfes Mißtrauen und ein böser Groll über uns; denn diese — nach unserem Bauernverstand — tolle Gesellschaft, weil sie die einfachste Pflicht nicht begriff, überbot sich in gehässigsten Beschuldigungen, während uns die Sorge zerfraß. Diese entsetzliche gegenseitige Stimmung wurde erzeugt und blieb, weil die Negierung kein entschiedenes Wort der Mahnung und Aufklärung fand. Was taten die Berufsvertretungen der Landwirtschaft? Bereits am 14. August traten sie vor die Regierung mit einem wohl¬ überlegten Wirtschaftsplan, der, wenn nicht mehr, so doch wenigstens die nötige Grundlage bot. Als Hauptforderung war aufgestellt: Festsetzung von Höchst¬ preisen für Getreide, Mehl und Brot, aber auch für alle Futtermehle und für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/86>, abgerufen am 23.07.2024.