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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Stadt und Laud

auf diesen Gebieten, Groß- und Kleinbesitzer, Beamte und Arbeiter, jede Klasse
in sich und gegeneinander grundverschieden nach Lebensauffassung und -Be¬
dürfnissen. Kurz: unser Stand ist das Spiegelbild aller Volksschichten mit
allen Vorzügen, aber auch mit allen Schwächen und Mängeln. Und da will
man für die Fehler einzelner, mag ihre Zahl auch nicht Nein sein, den ganzen
Beruf verantwortlich machen? Das hieße, sich den Fehler unserer Feinde zu
eigen machen, die in dem langjährigen Verhalten der Sozialdemokratie und in
dem Gebaren eines^ zum Teil gänzlich aus der Haltung gekommenen Reichs¬
tages zurzeit der Zabernschmach den Beweis völliger Vermorschung des Deutsch¬
tums erblickten, die ihnen diesen kriegerischen Meuchelmord aussichtsvoll er¬
scheinen ließ.

Nein! Statt Vorwürfe zu erheben, sollte die Volksgesamtheit den land¬
wirtschaftlichen Berufsvertretungen ehrlichen Dank wissen. Wie gering ist die
Zahl derer im ganzen Volk, die schon einmal darüber nachgedacht haben, daß
die Möglichkeit, in diesem gewissenlosesten aller Kriege der ganzen Welt stand¬
zuhalten, ihre Voraussetzung in der ungeahnten Kraft unserer Landwirtschaft
hat! Und -- die Hauptsache --, daß diese Kraft von unserer selbsterkorenen
Führerschaft in jahrzehntelangem zum Teil erbittertem Ringen gegen mißgünstige
oder urteilsschwache aber mächtige Volkskreise und selbst Regierungsstellen er¬
zwungen worden ist! Wäre die Gegnerschaft nicht allzu stark gewesen, so hätten wir
unter anderem seit vielen Jahren eine gewaltige Kriegskornreserve angelegt, die
uns die entsetzliche Mißernte von 1915 nicht hätte fühlen lassen. Gleichzeitig
damit war eine Preisregelung auf mittlerer Linie beabsichtigt, die eine Stetigkeit
landwirtschaftlicher Erzeugungssteigerung verbürgt hätte, die jeden Gedanken
an Aushungerung lächerlich erscheinen ließ. Aber wer -- selbst aus den ge¬
bildetsten Kreisen -- weiß heute etwas von diesen zähe verfolgten, leider nicht
erreichten Zielen?

Nun kam durch Englands Neid auf die Blüte von Deutschlands Industrie
und Handel der Krieg. Es kann nicht genug betont werden: Nicht unsere
blühende Landwirtschaft reizte Englands Zorn! -- Ein agrarisches Deutsch¬
land konnte seinem Geldbeutel nicht schaden. Nein! Dieser Krieg ist geplant
und begonnen zur Vernichtung des deutschen Handels und der deutschen In¬
dustrie. Er wird von uns geführt zu ihrer Erhaltung und damit zugleich für
die Lebensmöglichkeiten der deutschen Arbeiterschaft. Die Landwirtschaft hätte
die üblen Folgen eines sogenannten "ehrenvollen" Friedens im Sinne des
Wedelschen Nationalausschusses erst in allerletzter Linie zu fühlen. Für die
nicht ländlichen zwei Drittel des deutschen Volkes aber gibt es nichts Ver¬
hängnisvolleres als diese und die Scheidemannsche Friedenssehnsucht. Der
erbitterte stille Kampf gegen diese Schwächlichkeiten, in dessen vorderster Reihe
die deutsche Landwirtschaft steht, beweist wieder, daß wir wie seit Jahrzehnten
weit über Berufsinteressen hinaus unbeirrt den Blick aufs Ganze gerichtet
halten, daß des Vaterlandes Herrlichkeit unser höchstes Streben ist.


Stadt und Laud

auf diesen Gebieten, Groß- und Kleinbesitzer, Beamte und Arbeiter, jede Klasse
in sich und gegeneinander grundverschieden nach Lebensauffassung und -Be¬
dürfnissen. Kurz: unser Stand ist das Spiegelbild aller Volksschichten mit
allen Vorzügen, aber auch mit allen Schwächen und Mängeln. Und da will
man für die Fehler einzelner, mag ihre Zahl auch nicht Nein sein, den ganzen
Beruf verantwortlich machen? Das hieße, sich den Fehler unserer Feinde zu
eigen machen, die in dem langjährigen Verhalten der Sozialdemokratie und in
dem Gebaren eines^ zum Teil gänzlich aus der Haltung gekommenen Reichs¬
tages zurzeit der Zabernschmach den Beweis völliger Vermorschung des Deutsch¬
tums erblickten, die ihnen diesen kriegerischen Meuchelmord aussichtsvoll er¬
scheinen ließ.

Nein! Statt Vorwürfe zu erheben, sollte die Volksgesamtheit den land¬
wirtschaftlichen Berufsvertretungen ehrlichen Dank wissen. Wie gering ist die
Zahl derer im ganzen Volk, die schon einmal darüber nachgedacht haben, daß
die Möglichkeit, in diesem gewissenlosesten aller Kriege der ganzen Welt stand¬
zuhalten, ihre Voraussetzung in der ungeahnten Kraft unserer Landwirtschaft
hat! Und — die Hauptsache —, daß diese Kraft von unserer selbsterkorenen
Führerschaft in jahrzehntelangem zum Teil erbittertem Ringen gegen mißgünstige
oder urteilsschwache aber mächtige Volkskreise und selbst Regierungsstellen er¬
zwungen worden ist! Wäre die Gegnerschaft nicht allzu stark gewesen, so hätten wir
unter anderem seit vielen Jahren eine gewaltige Kriegskornreserve angelegt, die
uns die entsetzliche Mißernte von 1915 nicht hätte fühlen lassen. Gleichzeitig
damit war eine Preisregelung auf mittlerer Linie beabsichtigt, die eine Stetigkeit
landwirtschaftlicher Erzeugungssteigerung verbürgt hätte, die jeden Gedanken
an Aushungerung lächerlich erscheinen ließ. Aber wer — selbst aus den ge¬
bildetsten Kreisen — weiß heute etwas von diesen zähe verfolgten, leider nicht
erreichten Zielen?

Nun kam durch Englands Neid auf die Blüte von Deutschlands Industrie
und Handel der Krieg. Es kann nicht genug betont werden: Nicht unsere
blühende Landwirtschaft reizte Englands Zorn! — Ein agrarisches Deutsch¬
land konnte seinem Geldbeutel nicht schaden. Nein! Dieser Krieg ist geplant
und begonnen zur Vernichtung des deutschen Handels und der deutschen In¬
dustrie. Er wird von uns geführt zu ihrer Erhaltung und damit zugleich für
die Lebensmöglichkeiten der deutschen Arbeiterschaft. Die Landwirtschaft hätte
die üblen Folgen eines sogenannten „ehrenvollen" Friedens im Sinne des
Wedelschen Nationalausschusses erst in allerletzter Linie zu fühlen. Für die
nicht ländlichen zwei Drittel des deutschen Volkes aber gibt es nichts Ver¬
hängnisvolleres als diese und die Scheidemannsche Friedenssehnsucht. Der
erbitterte stille Kampf gegen diese Schwächlichkeiten, in dessen vorderster Reihe
die deutsche Landwirtschaft steht, beweist wieder, daß wir wie seit Jahrzehnten
weit über Berufsinteressen hinaus unbeirrt den Blick aufs Ganze gerichtet
halten, daß des Vaterlandes Herrlichkeit unser höchstes Streben ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/85>, abgerufen am 23.07.2024.